Prozess gegen Neonazi in Berlin: Dem Arier rutschte die Hose
Ein Neonazi soll eine Familie in der S-Bahn mit beleidigt und dann auf sie uriniert haben. Der Angeklagte gibt im Prozess das Meiste davon zu.
Dies bestätigt Christoph Sch., einer der Angeklagten, am Freitag vor dem Amtsgericht Tiergarten. Von seinem Verteidiger bestreiten lässt er indes den Vorwurf, er habe absichtlich seinen Unterleib entblößt und sogar auf seine Opfer uriniert. „Das stimmt nicht. Meine Hose war nur herunter gerutscht.“ Der Fall hatte große Beachtung in den Medien gefunden.
Im weißen Hoodie und ungewaschenen Haaren sitzt der Angeklagte hinter seinen beiden Verteidigern. Er gibt an, arbeitslos und Vater eines 14-jährigen Kindes zu sein, das bei dessen Mutter lebt. Weitere persönliche Details will er angesichts der zahlreich erschienenen Journalisten nicht kundtun. Er habe genügend Ärger mit der Presse, deren Vertreter bereits bei ihm zu Hause recherchiert hätten. Auch im Gefängnis, in dem er seit sechs Monaten sitzt, dürfte es für ihn in Anwesenheit der mehrheitlich ausländischen Insassen nicht allzu gemütlich sein.
Seit 16 Jahren beschäftigt der 33-Jährige aus Sömmerda die Justiz, 19 Einträge weist sein Register auf. Die Verurteilungen betreffen alle Bereiche des Strafrechts, auch eine Vergewaltigung geht auf sein Konto. Immer wieder stand er wegen Volksverhetzung und des Verwendens von verfassungswidriger Zeichen vor Gericht, ein Delikt, das er insbesondere unter dem Einfluss von Alkohol beging.
Auch Zeugen haben den Übergriff an jenem Sommerabend verfolgt. Eine 35-Jährige mit bunt gefärbten Haaren schildert dem Gericht, wie Christoph Sch. zu seinen Opfern gesagt hatte: „Du unarisches Ding!“ Die Mutter der beiden Kinder habe mit osteuropäischen Akzent geantwortet: „ Mein Sohn ist kein Ding. Du bist ein Ding!“
Urteil am Dienstag
Eine 31-jährige Mitfahrerin berichtete, wie der Angeklagte sich der an einem Waggonausgang stehenden Familie näherte, seine Hose bis zu den Knien herunter ließ und sich an sein Genital fasste. Daraufhin habe der Begleiter des Provokateurs gesagt: „Du willst die jetzt nicht anpissen? Das sind doch nur Asylanten! Die haben deine Pisse nicht verdient!“ Ob der hinter einer Trennwand stehende Sch. wirklich urinierte, konnte die Zeugin nicht erkennen. Sie habe später aber eine Lache gesehen.
An der Haltestelle Storkower Straße stieg die kleine Familie aus. Der Freund einer Zeugin rief die Polizei, die dazu riet, den Nothalt zu betätigen, so dass die Personalien der beiden Nazis an der Station Frankfurter Allee festgestellt wurden. Dann aber setzte die Polizei beide wieder auf freien Fuß. Erst als Christoph Sch. am 3. August auf der Bärgida-Demo den Hitler-Gruß entbot, war das Maß offensichtlich voll. Anfang Oktober erwirkte die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl, Ende Oktober wurde der Angeklagte festgenommen. Im Januar wurde er wegen dem Bärgida-Vorfall, einem Schnapsdiebstahl und Schwarzfahren zu neun Monaten Haft verurteilt.
Am Dienstag soll im Pinkler-Prozess das Urteil fallen. Es dürfte vor allem um die Höhe des weiteren Strafzuschlags gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen