Prozess gegen Juventus Turin: Zeitspiel vor Gericht
Nach der Sportjustiz kümmern sich staatliche Gerichte um Juventus Turin wegen Betrugsdelikten. Deren Anwälte starten mit taktischen Manövern.
Andrea Agnelli, dem früheren Präsidenten von Juventus Turin, drohen wegen Bilanzfälschung und anderen Delikten bis zu zwölf Jahre Haft. Im Turiner Gerichtssaal war er am Montag ebenso wenig zu sehen wie der Ex-Vize Pavel Nedved und die anderen zehn Angeklagten. Im Stadion suchten sie stets die Öffentlichkeit, hier aber überließen sie lieber den Advokaten das Terrain.
Es geht vor Gericht um Beachtliches. Die vier Hauptanklagepunkte lauten: falsche Angaben eines börsennotierten Unternehmens, Behinderung von Aufsichtsorganen, falsche Rechnungslegung und Manipulation des Marktes. Deshalb ließ sich auch die Börsenaufsicht Consob als Nebenkläger eintragen. Die hatte schon früher geschönte Bilanzen von Juventus moniert. Letzte Motivation, in den Ring zu steigen, gaben abgehörte Telefongespräche der Juventus-Manager. Die hatten untereinander geprahlt, wie sie mit Spielertransfers zu Fantasiewerten die Börsenaufsicht in die Irre führen würden.
Das Geschäft läuft gewöhnlich so ab: Klub A verkauft einen Spieler an Klub B und Klub B zeitgleich einen anderen an Klub A. „Ob du da die Zahl 4 oder 10 reinschreibst, ist egal“, äußerte sich laut Telefonabhörungen ein Juve-Manager. Den Buchwert für den abgegebenen Spieler konnte man sofort den Bilanzen gutschreiben, den für den erworbenen Spieler über die Jahre der Vertragslaufzeit verteilen. Mit solchen Methoden konnte sowohl die Lizenz für den Spielbetrieb in Italien jedes Jahr gesichert als auch die etwas ermittlungsfreudiger werdenden Kontrolleure des Financial Fairplay der Uefa auf Abstand gehalten werden.
Dieser Aspekt führte bereits zur Verurteilung durch die italienische Sportjustiz – und die Aberkennung von 15 Punkten in der Meisterschaft. Juventus, ohne die Sanktion Tabellenzweiter, dümpelt seither im Mittelfeld der Tabelle. Eine Hoffnung hegen die Juventus-Anwälte noch: Auf den 19. April ist der Termin vor dem Berufungsgericht festgelegt. Juventus, vertreten durch neue Anwälte, die vom neuen Management ausgewählt wurden, hält den Punktabzug für unbegründet.
Haft- oder Geldstrafe?
Im Gerichtssaal in Turin ging es nun um die strafrechtliche Seite. Dafür lief am Montag eine andere Advokatenauswahl auf: die Anwälte der alten Juventus-Führung. Für ihre Mandanten geht es um mehrere Jahre Haft. Bilanzfälschung wird mit drei bis acht Jahren bestraft, falsche Rechnungslegung mit vier bis acht Jahren, Manipulation des Marktes mit einem bis sechs Jahren, Behinderung von Aufsichtsorganen mit einem bis vier Jahren. Realistisch sind erstinstanzliche Strafen von zwölf Jahren Haft für Agnelli & Co. Die dürften im Instanzenweg weiter reduziert werden. Am Ende läuft es vielleicht doch nur auf eine – wenngleich dicke – Geldstrafe hinaus.
Angesagt ist deshalb, auf Zeit zu spielen. Dieses Jura-Catenaccio beherrschen die Verteidiger der alten Managergarde perfekt. Sie zweifelten erst einmal die Zuständigkeit des Gerichts in Turin an. Sitz der Börse sei Mailand, deshalb müsse dort verhandelt werden, machten sie am Montag geltend. Alternativ auch Rom, weil dort die PR-Agentur angesiedelt ist, die die beanstandeten Mitteilungen veröffentlicht hat. Die Ankläger von der Wirtschaftsstaatsanwalt Turin halten weiter Turin für den rechten Verhandlungsort; schließlich ist dort auch ein gewisser Juventus FC beheimatet.
Die Verzögerungstaktik zumindest macht sich bezahlt. Nächster Prozesstag ist der 10. Mai. Da ist die Saison der Serie A schon fast zu Ende.
Bemerkenswert am Prozessauftakt war noch, dass sich Minderheitsaktionäre von Juventus um die Anerkennung als Nebenkläger bemühen. Vermisst wurden hingegen die Anwälte von Cristiano Ronaldo und Paulo Dybala. Die Entourage der beiden Ex-Juve-Spieler hatte Neigung erkennen lassen, Gehaltsnachzahlungen zu fordern, die auf Nebenabsprachen beruhen.
Die Schummelei mit den Gehältern könnte zu einem weiteren Prozess der Sportjustiz – und damit weiterem Punktabzug – führen. Allerdings sind die Ermittler dabei auf Kooperation einzelner Spieler angewiesen. Weil anderen Spielern, die irreguläre Verträge unterschrieben haben, dann aber auch Sanktionen drohen, ist hier kollektives Schweigen wahrscheinlich. Darauf deutet das Fernbleiben von Ronaldos und Dybalas Anwälten am Montag hin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen