Prozess gegen Hausbesetzer: „Sie haben nicht das Wort“
In Hamburg stehen Hausbesetzer wegen versuchten Totschlags vor Gericht. Sie sollen Polizisten mit Böllern, Farbe und Brettern beworfen haben.
Genau ein Jahr später beginnt nun der Prozess – unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen im Staatsschutzsaal der Hamburger Strafjustiz. 50 UnterstützerInnen verfolgen den Prozess, bis der Richter den Saal räumen lässt. Unter Protest lassen sich die ZuschauerInnen hinaustragen. Zwei Züge der Bereitschaftspolizei sind vor Ort, eine Person wird festgenommen.
Der 27. August 2014 war der Vorabend der „Squatting Days“ – eines Hausbesetzerkongresses, zu dem rund 300 AktivistInnen in Hamburg zusammengekommen waren, für ein Wochenende mit Workshops, Diskussionen und Aktionen. Am Abend besetzte eine Gruppe ein seit Jahren leer stehendes Haus in Altona.
Erst nach vier Stunden gelang es der Polizei, ins Haus zu gelangen. Während die BeamtInnen damit beschäftigt waren, die Tür aufzusägen und die Barrikaden zu räumen, flogen aus den oberen Stockwerken Böller, Farbe, Bretter, Porzellanteile und ein Feuerlöscher auf die Straße. Nach Angaben der Polizei wurde niemand ernsthaft verletzt, mehrere BeamtInnen trugen allerdings Knalltraumata und leichte Prellungen davon.
Im Haus traf die Polizei schließlich niemanden mehr an – die BesetzerInnen waren über das Dach geflohen. Kurz darauf nahm sie fünf Personen hinter dem Haus fest. Zwei von ihnen kamen in Untersuchungshaft, einer von beiden blieb über 90 Tage im Gefängnis. Im November verhaftete die Polizei einen weiteren Verdächtigen und ließ ihn erst nach sechs Monaten Untersuchungshaft frei.
Beide Seiten schreien sich an
Zum Auftakt des Prozesses ist die Stimmung angespannt. Nach einer Dreiviertelstunde stehen noch immer UnterstützerInnen vor der Tür und warten darauf, durch die Sicherheitsschleusen in den Besucherraum gelassen zu werden. Die Öffentlichkeit sei nicht hergestellt, argumentieren die Anwälte und beantragen Vertagung.
Ein Verteidiger beantragt eine andere Sitzordnung, ein anderer will Stellung zu einer Aussage des Richters beziehen. Aber der wehrt alles ab: „Sie haben nicht das Wort“, sagt er jedes Mal, stellt den Anwälten das Mikrofon ab und ordnet am Ende die Räumung an.
Aber die BesucherInnen wollen nicht gehen, es gibt Gerangel, die Situation eskaliert. Die BeamtInnen schubsen einen Zuschauer gegen eine Bank, ein anderer hebt den Schlagstock gegen eine Zuschauerin, beide Seiten schreien sich an. Einige UnterstützerInnen ducken sich hinter Bänken. Die Räumung dauert 40 Minuten, danach ist nur noch die Presse im Saal.
Die Anklage wird verlesen, dann ist Pause. Bis Ende des Jahres sind fast 30 Verhandlungstermine geplant. Am Freitag sollen die Angeklagten die Möglichkeit haben, sich zu äußern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé