Prozess gegen Freitaler Rechtsextreme: „Ein bisschen eskalieren“
Ein turbulenter Auftakt: Erst muss ein Sprengstoffverdacht ausgeräumt werden. Dann attackieren die Verteidiger das Gericht scharf.
Neben Wilhelm sitzt dessen Mandantin Maria K. Die 28-Jährige mit Undercut und Nasenpiercing kann sich ein Grinsen kaum verkneifen. Maria K. sei freizulassen, fordert Wilhelm. „Es ist an den Haaren herbeigezogen, die Angeklagten mit RAF oder NSU zu vergleichen.“
Die Bundesanwaltschaft sieht das anders. Sie hält Maria K. und die sieben anderen, die am Dienstag in Dresden vor dem Oberlandesgericht sitzen, für Rechtsterroristen. Mit einer Anschlagsserie gegen Flüchtlingsunterkünfte und Linken-Politiker habe die Gruppe im Sommer 2015 die sächsische Kleinstadt Freital überzogen.
Es war Timo S., der mutmaßliche Rädelsführer, der am Morgen in Handschellen als Erster den Gerichtssaal betreten hatte. Er presst die Lippen zusammen, der Blick ist angespannt. Nach und nach werden auch die anderen aus Hafträumen im Untergeschoss hereingeführt, abgeschirmt von den Zuhörern durch eine Glaswand.
Nervöse Gesichter auch hier. Maria K. verbirgt ihres hinter einer Aktenmappe, der Mitangeklagte Mike S. zieht die Kapuze bis über die Nase. Mehrere Angeklagte haben sich ordentlich Hemden angezogen, Timo S. trägt ein rotes, dazu eine schwarze Krawatte.
Ein „Gegenfanal“
Sehen so Terroristen aus? Die Angeklagten, das sind: zwei Busfahrer, ein Pizzalieferant, ein Altenpfleger, ein Paketzusteller, ein Gleisbauer-Azubi, ein Gemüseschnitzer. Und Maria K., arbeitslos. Sieben Männer, eine Frau, 19 bis 39 Jahre alt. Drei von ihnen haben vereinzelte Vorstrafen.
Die Anklage der Bundesanwaltschaft ist denn auch ein Signal. Vor zwei Jahren war die Gewalt gegen Flüchtlinge in Deutschland eskaliert. Rund 1.000 Angriffe auf Asylunterkünfte zählte das BKA 2015, im Folgejahr erneut so viele. In Dresden heizte Pegida die Stimmung an, Brandsätze flogen bundesweit auf Unterkünfte.
Verteidiger Endrik Wilhelm
Schon länger hatte Generalbundesanwalt Peter Frank ein „Gegenfanal“ angekündigt. Dann folgte die Freital-Anklage – erstmals mit einem Terrorvorwurf für eine Attacke auf eine Asylunterkunft.
Am Dienstag mündet das in einen der größten Prozesse, die es in Sachsen je gab. Das Oberlandesgericht Dresden ließ eigens einen neuen Verhandlungssaal bauen, weil es die eigenen für zu klein befand. Nun sitzen Timo S., Maria K. und die anderen just in einer im Bau befindlichen Flüchtlingsunterkunft – im umfunktionierten Speisesaal – ganz am Stadtrand, neben der JVA.
Schon mehr als drei Stunden vor Prozessbeginn warten am Morgen erste Zuhörer vor dem Gericht, unter ihnen Freunde und Szenebekannte der Angeklagten. Die Antifa baut eine kleine Kundgebung auf. Eine „lückenlose Aufklärung“ des rechten Terrors fordert ein Redner.
Anklage: versuchter Mord
Dann gibt es Aufregung. Im Gebäude schlagen zwei Sprengstoffspürhunde in einer Toilette an, das LKA wird gerufen. Es folgt Entwarnung: Es war nur ein Gummipflegemittel.
Als Richter Thomas Fresemann schließlich die Verhandlung eröffnet, geht es sofort hoch her. Es ist Verteidiger Wilhelm, der sich als Erster zu Wort meldet: Man wolle umgehend einen Befangenheitsantrag stellen, noch vor der Anklage und deren „Prangerwirkung“. Fresemann: Das gehe auch danach. Wilhelm: „Nein, Sie brechen Recht.“ Fresemann hält dagegen: „Ich breche kein Recht.“ So wird sich der Tag fortsetzen.
Flüchtlingshilfe
Erst nach zähem Ringen kann Bundesanwalt Jörn Hauschild seine Anklage verlesen. Ab Juli 2015 habe die Gruppe in Freital, nur wenige Kilometer von Dresden entfernt, zwei Anschlägen mit illegalen Böllern auf Flüchtlingsunterkünfte verübt, trägt er vor. Das Auto eines Linken-Stadtrats habe sie gesprengt, sein Parteibüro verwüstet. In Dresden sei zudem das linke Hausprojekt Mangelwirtschaft mit Böllern und Buttersäure beworfen worden.
Ein „Klima der Angst“ habe die Gruppe schaffen wollen, sagt Hauschild. Sie habe sich konspirativ verhalten, ihre Taten genau geplant und die Tötung von Menschen „billigend in Kauf“ genommen. Die Anklage laute deshalb auch auf versuchten Mord.
Die Angeklagten verfolgen Hauschilds Worte ungerührt. Sie kennen die Vorwürfe seit Monaten. Bis auf einen weigern sich alle, überhaupt nur ihren Namen zu nennen. Aussagen wird an diesem Tag keiner von ihnen.
„Unglaubliche Bagatellisierung“
Erst als ihre Verteidiger zur Attacke übergeben, horchen die Angeklagten auf, verfolgen das Geschehen teils amüsiert. Seine Mandantin Maria K. habe „Schuld auf sich geladen“ und werde sich dafür entschuldigen, sagt Wortführer Wilhelm. Die Justiz aber schieße mit dem Prozess „weit übers Ziel hinaus“.
Tatsächlich hatte die anfangs ermittelte Generalstaatsanwaltschaft Dresden in den Freitaler Taten keinen Terrorismus erkannt, erst die Bundesanwaltschaft erhob diesen Vorwurf. Nun gehe es nur noch darum, dies „abzuurteilen“, wettert Wilhelm. Er kritisiert die Sicherheitsvorkehrungen vor Gericht und den Saal, für den „fünf Millionen Euro verbrannt wurden“, teilt auch gegen die „unerfahrenen“ Richter aus. Irgendwann interveniert Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann, der einen syrischen Flüchtling vertritt, und fordert, „diese große Show“ und die „unglaubliche Bagatellisierung“ zu beenden.
Mehrere Verteidiger schließen sich indes Wilhelm an und stellen ebenfalls Befangenheitsanträge gegen die Richter, welche die Anklage auf Rechtsterrorismus zuließen. Die Frage, ob die Angeklagten tatsächlich als Terroristen handelten, sie wird den Prozess, der bis September angesetzt ist, bis zum Schluss umtreiben.
In ihren verschlüsselten Chats wussten die Angeklagten aber offenbar genau, was sie taten. Deren Mitglieder waren dort für sie: „ausschließlich die Terroristen“. Wichtig sei, schrieb ein Angeklagter damals, „dass der Naziterror weitergeht“.
130-fach stärker als normales Silvesterfeuerwerk
Über Wochen hatte sich da bereits die Stimmung in Freital hochgeschaukelt, nachdem die Unterbringung von Flüchtlingen angekündigt worden war. Es gab wüste Proteste, eine Bürgerwehr gründete sich – und die jetzt angeklagte Zelle. Man wolle „ein bisschen eskalieren“, hieß es in deren Chat. Als „Viehzeug“ wurden Flüchtlinge dort bezeichnet. Ein Mitglied schrieb: „Nigger! Alle töten, diese elenden Parasiten!“
Ihre illegalen Böller postierte die Gruppe direkt an die Fensterscheiben der Asylunterkünfte. Einmal explodierten diese in einer leeren Küche, einmal retteten sich die Flüchtlinge nur, weil sie rechtzeitig die brennende Lunte sahen. Ein Syrer erlitt dennoch Schnittwunden im Gesicht. Wie „Splitterbomben“ hätten die Böller gewirkt, betont Bundesanwalt Hauschild. Ihre Wirkung sei 130-fach stärker als normales Silvesterfeuerwerk gewesen.
Unter den Zuhörern verfolgt auch Steffi Brachtel den Prozesstag. Die 41-jährige Kellnerin organisierte die Flüchtlingshilfe in Freital, auch sie wurde von den jetzt Angeklagten bedroht. „Das waren keine Dummejungenstreiche, was in Freital passiert ist, das war Terror“, sagt Brachtel. Auch sie habe damals Angst gehabt. „Aber heute will ich zeigen: Ich bin hier, ich lasse mich nicht einschüchtern.“
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