Prozess gegen Daniela Klette: Verhandeln statt Reiten
Der zehnte Verhandlungstag im Klette-Prozess ist der erste am neu erstellten Gerichtssaal in Verden. Warum das für Kritik sorgt.

Der Prozess gegen Daniela Klette lockt am zehnten Prozesstag wieder etwas mehr Presse an als zuletzt. Verhandelt wird erstmals im neuen Gerichtssaal in Verden – bisher wurde der Staatsschutzsaal im 80 Kilometer entfernten Celle genutzt; das Land Niedersachsen hatte die vorhandenen Gerichtsräume im zuständigen Verden nicht für passend befunden. Nun ist die eigens angemietete Reithalle fertig umgebaut. Etwas über 20 Leute sind gekommen, Journalist*innen, interessierte Zuschauer*innen, Menschen, die ihre Solidarität mit Klette zeigen wollen.
Daniela Klettes Mitgliedschaft bei der RAF ist nicht Gegenstand des Verfahrens; untersucht werden sollen nur die 13 Überfälle auf Banken und Geldtransporter, die zwischen 1999 und 2016 in Norddeutschland stattgefunden haben; mit der Beute sollen sich Klette und ihre Mitstreiter Burkhard Garweg und Volker Staub ihr Leben in der Illegalität finanziert haben.
Inhaltlich geht es derzeit um den schwersten Tatvorwurf, die Anklage wegen versuchten Mordes: Während eines gescheiterten Überfalls auf einen Geldtransporter in Stuhr im Juni 2015 hatte einer der Täter auf die Scheiben des verschlossenen Geldtransporters geschossen, während der Fahrer dahintersaß.
3,6 Millionen Euro für den Umbau
Für den größeren Zündstoff sorgt am zehnten Verhandlungstag zunächst die Halle selbst. Gericht und Staatsanwaltschaft betonen seit Prozessbeginn, dass es bei den Untersuchungen rund um die Raubüberfälle um ein ganz normales Verfahren gehe. Doch Klette und ihre Verteidiger sehen einen politischen Prozess – und begründen das mit dem neuen Saal.
Die Angeklagte äußert sich mit ihrer Kritik selbst. „Welche Wahnsinnigen haben das zu verantworten?“, fragt sie. In diesem „Monstrum von umgebauter Reithalle“ gehe die „Farce eines ‚ganz normalen Verfahrens‘ in die nächste Runde“, moniert Klette. Immerhin 3,6 Millionen Euro wurden für den Umbau fällig – das sei mehr, als sie und ihre Mitstreiter für 24 Jahre im Untergrund gebraucht haben sollen. Geld, das laut Klette lieber für Schwimmbäder, Frauenhäuser oder Geflüchtete ausgegeben werden solle.
Auch ihr Verteidiger Ulrich von Klinggräf spricht von gigantischen Dimensionen: „Die habe ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet.“ Ein bisschen rhetorische Übertreibung ist wohl dabei: Während der Pandemie gab es teils Verhandlungen in größeren Sälen. Gebraucht wird der Platz dennoch nicht. Von den rund 90 Plätzen im Zuschauersaal ist nicht mal ein Drittel belegt; und im Verhandlungssaal reihen sich neben den Staatsanwältinnen zahlreiche leere Tische und Stühle auf.
Die Staatsanwaltschaft verteidigt die überdimensionierte Halle: Theoretisch könnten bis zu 30 Nebenklagevertreter*innen am Prozess teilnehmen. Faktisch sind es nur vier – aber vorbereitet müsse man sein.
Anwalt spricht von „Stammheim-Miniatur“
Auch auf der anderen Seite, neben Klette und ihrem Anwaltsteam gibt einen leeren Tisch. Er ist laut Staatsanwaltschaft für Burkhard Garweg gedacht. „Sie wissen alle, dass eine Zielfahndung läuft“, erklärt Staatsanwältin Annette Marquardt. Ob so eine erweiterte Anklagebank mitten im laufenden Prozess rechtlich möglich wäre, stellt ein Klette-Anwalt kurz infrage.
Gravierender als die schiere Größe der Halle ist womöglich der Aufwand, den das Land drumherum betrieben hat. Das gesamte vier Hektar große Gelände am Rande der Stadt ist mit Stacheldraht und Sichtschutz umgeben; am Eingang vermitteln Polizist*innen mit Einsatzhelm und Brandschutzmaske einen martialischen Eindruck. Der Prozessraum ist vom Zuschauerbereich durch eine Glasscheibe strikt getrennt.
Dieses „sicherheitstechnisch aufgeblähte Ambiente“ suggeriere, so Klette: „Wer unter solchen Vorkehrungen vor Gericht steht, muss hart verurteilt werden.“ „Unsere Mandantin“, so Klettes Anwalt von Klinggräf, „wird in dieser Stammheim-Miniatur in den Mittelpunkt eines Jahrhundertprozesses gestellt und als Top-Terroristin verkauft.“
Klettes Anwält*innen beantragen die Verlegung des Prozesses ins reguläre Landgericht – und argumentieren mit der Strafprozessordnung. Schließlich muss auch die Wahl des Gerichtsortes im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen.
Das Gericht will über den Antrag in den kommenden Tagen entscheiden.
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