Prozess gegen Ärztin Kristina Hänel: „Werbung“ für Abtreibungen
Die Ärztin Kristina Hänel kommt vor Gericht – weil auf ihrer Webseite steht, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt.
Abtreibungen sind in Deutschland eine Straftat, wenn auch unter bestimmten Bedingungen straffrei. Viele Menschen wissen das nicht – vielleicht, weil es lange keine große öffentliche Debatte über Schwangerschaftsabbrüche mehr gab. Das könnte sich jetzt ändern. Am 24. November steht in Gießen die Ärztin Kristina Hänel vor Gericht. Vorwurf: Werbung für Abtreibungen. Drohende Strafe: bis zu zwei Jahre Gefängnis oder Geldstrafe.
„Es ist doch niemand für Abtreibungen“, sagte die Allgemeinmedizinerin jüngst der taz, „weder ich noch die Frauen, die zu mir kommen.“ Es gebe aber Situationen, in denen eine Frau eine Abtreibung brauche. „Es ist doch meine verdammte Pflicht, diese Frauen medizinisch zu versorgen.“ Das tut sie seit mehr als 30 Jahren.
Was Hänel vor Gericht gebracht hat, ist vordergründig das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ auf ihrer Homepage. Hintergründig sind es radikale Abtreibungsgegner_innen, die reihenweise Ärzt_innen, die Abbrüche durchführen, diffamieren und anzeigen. Denn laut Paragraf 219a des Strafgesetzbuches ist das Werben für Abtreibungen zum eigenen Vermögensvorteil in Deutschland verboten. Meist kommt es nicht zum Prozess, weil Staatsanwaltschaften keine Anklage erheben.
„Dass die sachliche Information als Werbung ausgelegt wird, ist ein Skandal“, sagt Hänel. „Das beschränkt Frauen in ihrer Informationsfreiheit und in ihrem Recht auf freie Arztwahl. Wenn dieser Paragraf so interpretiert wird, dann muss er weg oder geändert werden.“ Wer im Netz nach Informationen zu Abtreibungen sucht, landet wegen des Verbots selten auf den Seiten von Ärzt_innen – umso eher aber auf denen von Abtreibungsgegner_innen, die Bilder von blutigen Föten und Mordvorwürfe posten. „Das ist doch unzumutbar“, sagt Hänel. Mit der Juristin Monika Frommel will sie notfalls durch alle Instanzen gehen.
„Gewünscht habe ich mir das alles nicht“, sagt die 61-Jährige. Lieber sei ihr ein ruhiges Leben mit ihren Enkelkindern und ihrer Arbeit gewesen – Hänel arbeitet auch im Rettungsdienst und bietet therapeutisches Reiten für traumatisierte Kinder oder solche mit Behinderung an. „Aber dieser Paragraf ist Unrecht. Und wenn ich da jetzt durchmuss, dann muss ich es halt – damit andere später nicht mehr darunter leiden müssen.“
In einer Petition auf der Plattform change.org fordert Hänel den Bundestag auf, den Paragrafen 219a zu ändern. Nach nur wenigen Tagen hatten am Sonntagmittag mehr als 59.000 Menschen unterschrieben. Auch privat erreichen sie zahlreiche Zuschriften, sagt Hänel. „Ich bin unheimlich gerührt.“
Auf der anderen Seite stehen die Zuschriften von Lebensschützer_innen und Diffamierungen auf deren Webseiten. Als „Tötungsspezialistin für ungeborene Kinder“ etwa wird Hänel auf der Webseite abtreiber.com bezeichnet. Abschrecken lässt sie sich nicht: „Ich gehe gestärkt in diesen Prozess“, sagt sie. „Und als Marathonläuferin habe ich einen langen Atem.“
Leser*innenkommentare
Andreas Säger
Ein Thema, bei dem die Trolle schweigen. Ein Thema, mit dem man die AfD stellen könnte.
Wer sind diese "Abtreibungsgegner"?
danny schneider
Wer wohl, gibt ja nur 2 Kandidaten
a.) religiöse Fanatiker , denen nicht mal Milliarden an Überbevölkerung ein Denkanstoß geben können.
b.) rechte Fanatiker, die Angst haben das das schön durchmischte "reine Arische [Arier = Volksgruppe im Iran] Blut" durch die islamische Invasion aus stirbt.
yohak yohak
Ich glaube, es gibt im StGB eine ganze Reihe von Paragraphen, die man einfach streichen könnte und sollte. Dazu gehört auch der §219a.
Generell sollte man lieber dreimal nachdenken, eher man irgendwas unter Strafe stellt.
disenchanted
Hier vefängt sich die Autorin in juristischen Details. Die Klage ist lächerlich aber eine weitere Debatte über angeblich fehlende Rechte im Bezug auf Abtreibungen ist es, nach jetzigem Informationsstand, ebenfalls.
Operationen aka Schwere Körperverletzung sind in Deutschland eine Straftat, wenn auch unter bestimmten Umständen Straffrei. Mit diesen „bestimmten Umständen“ ist nichts anderes gemeint als eine Notwendigkeit.
Das es eine Klage gibt heißt nicht das diese auch berechtigt ist. Der ganze Sinn eines Prozesses ist es ja festzustellen ob die Klage berechtigt ist oder nicht. Das es einen Prozess gibt ist ärgerlich für Frau Hänel aber am Ende des Tages können Abtreibungsgegner klagen so viel sie wollen, kein deutsches Gericht wird sachliche Informationen als Werbung betrachten. Wenn Sie verurteilt wird dann würde ich die Petition auch unterschreiben. Momentan betrachte ich diese aber eher als einen Lösungsansatz für ein Problem das es nicht gibt.
60440 (Profil gelöscht)
Gast
@disenchanted Sollten Sie mit "Klage" eine Anklage meinen, bedenken Sie bitte, dass zuvor eine Strafanzeige erstattet, eine Anklageschrift verfasst und ein Gericht die Zulassung dieser Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen haben muss. Das geht nur, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer späteren Verurteilung besteht. Mindestens zwei Juristen sehen diese Wahrscheinlichkeit und damit die Möglichkeit, dass in dem blossen Hinweis auf das ärztliche Tun eine Werbung liegen kann. Das ist allerdings problematisch und auch belastend für die Angeklagte.
Franzi
@disenchanted Wenn das so wäre, wäre es wunderbar. Ich bin von einem deutschen Gericht schon 2 x genau aus diesem Grund zu hohen Strafen verurteilt worden
danny schneider
Ohne Ehrliche offene Information, wie sollen Eltern denn einen Arzt finden, der frei und offen informiert. Sonst gerät man an einen religiösen Fanatiker der das womöglich noch mit fachlicher Rhetorik gut verdeckt und so den Eltern nicht die Beste sondern seine bevorzugte Lösung aufprägt... Aber stimmt ja, das ist ja gewollt - von ganz oben, wo das Spitzenpersonal immer wieder die eigene Religiösität betont. Hier in Esslingen gabs mal zu Wahl Prospekte zu den Politikern... min. 80% sind im Kirchenvorstand.
Hier werden Eltern und vor allem Frauen noch immer zum Spielball der Machterhaltung des Klerus.