Provinzler in der Stadt: Payback time, Freunde
Im Sommer strömten die Städter aufs Land. Im Winter ist es genau andersherum. Und wir wollen jetzt kein Gemaule hören.
E s sind dies die Tage des Jahreszeitenwechsels. Der Sommer klappt in den Herbst, man spürt es an der morgendlichen Kühle, dem Tau im Gras und der Wäsche, die nicht recht trocknen will. Schon wird der Garten überprüft: Was muss beschnitten werden, was kompostiert? Schaffen die Tomatenpflanzen noch ein paar Früchte? Und juhu, das Pfaffenhütchen ist auch wieder da – in Pink und Orange, wie es sich gehört.
Abends, wenn es dunkel wird – und das tut es jetzt immer früher –, ziehen wir Dörfler die Strickjacken fest um unsere Schultern und schauen trübe in die Finsternis. Das war's jetzt schon wieder mit dem Sommer? Nicht mehr draußen plauschen und grillen und abends noch den Sprenger laufen lassen?
Und dann fällt uns wieder ein, dass es da ja noch die Stadt gibt. Den Ort, der auch abends hell erleuchtet ist und wo sie in den Restaurants richtig gut kochen können und wo es Theater gibt und Kinos. Der Ort, an dem die Hunde beim Gassigehen keine blinkenden Halsbänder brauchen, damit sie nicht übersehen werden. Wir machen uns also auf in die Stadt.
Die herbstliche und winterliche Gastro- und Kulturreise des Provinzlers in die Metropole ist gewissermaßen unser unangekündigter Gegenbesuch bei euch Städtern.
Geben und nehmen
Monatelang haben wir euch in unseren Wäldern, an unseren Stränden und in unseren Badeseen bei eurem Treiben zugeschaut. Wir haben getan, als hätten wir euch nicht bemerkt, als ihr indiskret und durchaus ein bisschen gierig über die Hecke in unseren Garten gestarrt habt. Haben nichts gesagt, wenn ihr stundenlang vor uns in der Schlange mit euren (sorry!) inkompetenten Kindern über die Eissorten sowie deren Darreichungsform (Waffel! – Nein, Becher!) verhandelt habt. Und an jedem Montag haben unsere Gemeindearbeiter eure Pfandflaschen, Pizzakartons und kaputten Luftmatratzen aus den Mülleimern gepolkt. Ja nee, klar. Kein Ding!
Aber jetzt ist Payback time, Freunde. Achtung, wir kommen jetzt zu euch rein! Und wir wollen kein Gemaule hören, wenn wir nicht rechtzeitig vor euren sirrenden Falträdern vom Radweg springen. Auch nicht, wenn wir euch nach dem Weg fragen oder uns miteinander lautstark in der Straßenbahn unterhalten, während ihr unter euren Bose-Kopfhörern schmort.
Ihr müsst das als ein Geben und Nehmen betrachten: Wir haben euch einen Sommer lang unsere Provinz geliehen, jetzt hätten wir über den Herbst und den Winter gern eure Metropole zur Verfügung gestellt. Und keine Sorge, ihr habt auch was davon. Wir marschieren in eure schönen Museen und subventionierten Theater und die schrillen Restaurants, und was wir dort sehen, nehmen wir mit und stecken unsere nagelneue kulturelle Kompetenz in eine noch schönere Provinz. Und wenn ihr nächsten Frühling wiederkommt, gibt's vielleicht, vielleicht endlich Hafermilch statt Sprühsahne auf den Cappuccino. Also, bis gleich in eurer Nähe! Wir sehen uns.
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