■ Daumenkino: Provinz-Königin
Sie war die Königin der Provinz. Sie war ein Star und doch bodenständig. Sie wollte hoch hinaus und ist böse gefallen. Aber: „Lieber eine Königin in der Provinz“, sagt ihr früherer Toningenieur, der nun schon lange Exproduzent, Exmanager und Witwer ist, „als eine Niete in der Großstadt.“ Daß sich Renate Kern alias Nancy Wood, drei Tage nachdem sie 1991 aus einer Nervenheilanstalt entlassen worden war, erhängte, hat auch er nicht verhindern können.
Das Leben des Schlagersternchens, die zur Countrysängerin mutierte, aber mit dem Leben auf der Bühne nie zurechtkam, ist eigentlich so gar keine westdeutsche Karriere. Vielleicht gerade deshalb lernt man in „Und vor mir die Sterne – Das Leben der Schlagersängerin Renate Kern“ so viel über die bundesrepublikanische Gesellschaft seit den ausgehenden 60ern, als Kern ihre ersten Erfolge feierte.
Mit ihrem leicht zitternden Timbre fuhr sie Hit auf Hit ein, die auch schon mal rührend die Hippie-Ideologie in einen schrankwandbewehrten Wohnzimmerkontext übersetzten: „Alle Blumen brauchen Sonne“. Einen von Kern vorgeschlagenen Imagewechsel hin zu einer deutschen Piaf lehnte die Plattenfirma ab, solange das Landei-Erfolgsrezept noch funktionierte. Als die großen Umsätze ausblieben, war es zu spät, und sie wurde vom Produzenten-Ehemann zur Hausfrau zurückgestuft, die die Kunden des heimischen Aufnahmestudios mit belegten Broten verpflegen durfte. Dem folgte ein kurzer Ausflug nach Memphis, ein einmaliger Erfolg in den US- Country-Charts und der gescheiterte Versuch, dieses Momentum nach Deutschland zu übertragen. Nach drei Wochen Unterhaltungsdienst auf einer Fähre notiert sie in ihrem Tagebuch: „Countrymusik mit einer bulgarischen Tanzband ist auch mal was Neues.“
Feministisch läßt sich dieser Film lesen oder auch als psychosoziale Fallstudie, vor der die Filmemacher Ulrike Franke und Michael Loeken allerdings in letzter Konsequenz zurückschreckten. Sie mischten altes Fernseh- und Radiomaterial, Briefe und Tagebuchaufzeichnungen sowie Songtexte und einen Off-Kommentar, der die vorgeblich heile Schlagerwelt mit den seelischen Leiden der Interpretin kontrastriert. Thomas Winkler
„Und vor mir die Sterne“. Produktion: Franke/Loeken, Deutschland 1998, 88 Min.
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