Protokoll eines Greenpeace-Mitarbeiters: „Wir sind Gegen-Lobbyisten“

Tobias Austrup von Greenpeace erklärt seinen Job in deren „politischer Vertretung“ in Berlin. Und der sei eben kein normaler Lobbyismus.

Der Erfolg von spektakulären Aktionen wird erst am Telefon gemacht Foto: Peter Endig/dpa

BREMEN taz | Auf meinem Schreibtisch liegt gerade die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und zudem steht der nationale Klimaschutzplan 2050 an. Die Bundesregierung will darin definieren, wie der Klimaschutz bis zum Jahr 2050 vonstatten gehen soll. Mein drittes Thema ist der Abgas-Skandal. Wir haben vor ein paar Tagen das „Schwarzbuch Autolobby“ herausgegeben, wo wir zeigen, wie die Autoindustrie auf die politische Gesetzgebung Einfluss nimmt, sich Zugänge und Wissen einkauft, etwa durch ehemalige hochrangige Mitarbeiter der Kanzlerin. Deren Lobbyismus findet auf einem sehr viel höherrangigen Niveau und mit direkteren Kontakten statt, als wir es jemals könnten.

Wir sind eine kleine Abteilung in der Greenpeace-Welt – sechs Leute in Berlin im Vergleich zu den rund 200, die in Hamburg arbeiten. Man nennt uns die „politische Vertretung“ von Greenpeace in Berlin. Wir beobachten den politischen Prozess, um zu wissen, welche Gesetzesvorhaben da in den nächsten Wochen und Monaten auf uns zukommen. Das Hauptquartier, die Fachreferenten und Campaigner, erarbeiten dann eine Position.

Unsere andere Aufgabe ist es, diese Position von Greenpeace in die Politik einzubringen – in die Ministerien, bei den Referenten, die an dem Entwurf arbeiten, aber natürlich auch gegenüber Abgeordneten. Im Grunde sind wir die Lautsprecher für Umweltbelange im politischen System, die Anwälte der Umwelt.

Verständnis für den Gesetzgebungsprozess

Dafür ist ein politisches Verständnis wichtig, wie ein Gesetzgebungsprozess funktioniert, wer der relevante Akteur ist und zu welchem Zeitpunkt ich eingreifen muss. Wir sprechen zumeist mit der Arbeitsebene – den Referenten in Ministerien und Mitarbeitern der Abgeordneten.

Man darf sich keine falsche Vorstellungen machen: dass ich einen Sigmar Gabriel treffe, kommt vielleicht einmal im Jahr vor und dann in einer großen Runde mit anderen Umweltorganisationen. Ich darf dann vielleicht fünf Minuten sprechen. Ins Kaminzimmer werde ich nicht eingeladen.

Gerade im deutschsprachigen Raum hat der Lobbyismus keinen guten Ruf. Und wir haben zwar Instrumente, wie sie ein Industrie-Lobbyist auch nutzt: das bilaterale Gespräch, Veranstaltungen, Briefe, Positionspapiere, aber der große Unterschied ist – und der ist uns sehr wichtig –, dass wir ein anderes Ziel haben. Der normale Unternehmens-Lobbyist tritt gegen stärkere Regulierungen und für höhere Gewinne seines Unternehmens ein.

Für die Allgemeinheit

Ein klarer Eigennutz. Wir hingegen lobbyieren nicht dafür, dass Greenpeace als Organisation einen Vorteil hat. Es geht uns zum Beispiel nicht um irgendwelche Fördertöpfe – weil wir uns nicht fördern lassen und weder Geld vom Staat, noch von Unternehmen annehmen. Wir versuchen, einem Gemeinwohl-Interesse eine Stimme zu geben. Denn von gesunder Luft, sauberen Flüssen, einem eingedämmten Klimawandel profitiert die Allgemeinheit. Insofern sind wir eher Gegen-Lobbyisten.

Von der Politik werden wir ernst genommen, weil wir sinnvolle Argumente und Lösungsvorschläge vorbringen können. Dafür, Interessensgruppen anzuhören, gibt es gute Gründe, das ist pluralistischer Austausch und kann die Politikergebnisse verbessern. Im Wirtschaftsministerium kümmern sich zum Beispiel zehn oder zwanzig Leute um erneuerbare Energien – um alle Detailfragen. Die können nicht alles wissen. Das Problem ist vielmehr, dass die Ressourcen im Lobbyismus nicht gleich verteilt sind und es nicht transparent zugeht. Wir wollen das ändern und veröffentlichen unsere Positionspapiere und Studien.

Es geht um Vertrauen

Es geht beim Lobbying immer auch um Vertrauen. Das ist ein wichtiger Punkt, warum die Politiker und Ministeriumsmitarbeiter mit uns sprechen wollen. Und natürlich, weil wir eine Unterstützung durch die Öffentlichkeit erfahren: Greenpeace hat knapp 600.000 Fördermitglieder – die meisten Volksparteien haben weniger Mitglieder.

Wenn Greenpeace nicht in der Lage wäre, für die Gegenseite schmerzhafte Kampagnen und Aktionen durchzuführen, würde so manche Tür im politischen Berlin verschlossen bleiben und ich würde eingeordnet wie der normale Bürger, der eine nette, allgemein gehaltene Briefantwort bekommt – aber eben keinen Gesprächstermin.

Erpressungsargumente, wie sie ein Industrie-Lobbyist bemüht, können wir nicht vorbringen. Wir können nicht damit drohen, Arbeitsplätze zu verlagern und für Deals haben wir nichts anzubieten. Das einzige, womit wir Druck erzeugen können, ist die Skandalisierung. Das heißt, die Ehrenamtlichen und Aktivisten, die hinter uns stehen, sind ein wichtiges Instrument, um unseren Argumenten Gehör zu verschaffen.

Sich nicht reinziehen lassen

Natürlich gibt es immer wieder Versuche, uns von unserer Position abzubringen, aber man darf sich da nicht reinziehen lassen. Das ist auch einer der Gründe, warum der Hauptsitz von Greenpeace in Hamburg ist. Einerseits gab es bei der Gründung von Greenpeace Deutschland sehr aktive Leute in Hamburg. Hinzu kommt die enge Verbindung zum Wasser – wir sind auf Schiffen groß geworden. Hamburg ist da ein identitätsstiftender Standort.

Aber ein wichtiger Punkt ist eben auch die geografische Entfernung von dieser Käseglocke des politischen Kosmos in Berlin. Dass man davon einen gewissen Abstand hält und sich nicht in den Konsens-Sog der Berliner Politik reinziehen lässt, sondern den kühlen, analytischen Blick behält.

Wir sind keine Lobby-Organisation, sondern eine Kampagnen-Organisation. Die beiden Instrumente spielen jedoch zusammen: Ohne Kampagnen kann ich nicht lobbyieren, ohne Lobbying versanden die Kampagnen. Denn es bringt oft mehr, umweltpolitische Auflagen für eine ganze Branche zu verbessern, als ein einzelnes Umweltverbrechen zu verhindern.

Hohe Frustrationstoleranz

Ich habe Politik studiert und über Interessensvertretung in Umweltverbänden meine Abschlussarbeit geschrieben. Zunächst war ich bei einer kleineren Umwelt- und Entwicklungsorganisation: Germanwatch. Mit einem Umweg über Campact bin ich dann zu Greenpeace gekommen. Man braucht eine Überzeugung und muss für die Sache einstehen. Sonst ist man kein guter Lobbyist. Ich kann mir nicht vorstellen, irgendwann in einer Lobby-Kanzlei zu arbeiten, die zehn Auftraggeber aus der Industrie hat, um da völlig willkürlich Politik-Prozesse zu beeinflussen.

Allerdings muss man eine hohe Frustrationstoleranz besitzen. Auch wenn wir uns professionalisiert haben, ist es immer noch ein Kampf David gegen Goliath. Unsere Themen sind meist nicht an der ersten Stelle, oftmals verliert man. Aber wenn man sich die Energiewende anschaut oder das, was in Fragen der Atompolitik passiert ist, sieht man, dass wir langfristig richtig lagen und etwas zum Besseren verändern können.

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