Protestwelle gegen rechts: Brandenburg gegen rechts
4.500 Menschen gingen in Frankfurt (Oder) auf die Straße. In Berlin werden es am Samstag noch sehr viel mehr sein.
Es sieht so schön aus“, sagt eine ältere Dame zur anderen. „Ja, es ist überwältigend.“ Die beiden spazieren in der Frankfurter Innenstadt, als ein bunter Protestzug mit „Nie wieder ist jetzt!“-Rufen vom Bahnhof zum Stadtzentrum einbiegt. „Zu wenig, immer noch viel zu wenig!“, ruft dagegen eine Teilnehmerin.
4.500 Menschen haben sich laut Polizeiangaben am 27. Januar in Frankfurt (Oder) zur Demonstration für Demokratie versammelt. Das ist eine der größten Demos in der Oderstadt. Auch in Berlin wird für diesen Samstag zu einer Demo am Reichstag mobilisiert.
Die deutschlandweite Demowelle hat den äußersten Osten des Landes erreicht. An fünf Stationen sprechen Aktivist*innen, von Rassismus Betroffene, Vertreter*innen der Kirchen, von Kultureinrichtungen, der Universität und der Stadt. Die meisten Demonstrierenden kommen aus Frankfurt und Umgebung, aus den Erstaufnahmeeinrichtungen der Ausländerbehörde, aus Wohnheimen der Uni oder auch gediegenen Eigenheimsiedlungen, aus dem Zentrum und den Dörfern.
Janine Lange und ihre Tochter Fiona aus Frankfurt sind mit ihren Freundinnen Kirstin Seifert und Tochter Lotta aus Ziltendorf bei Eisenhüttenstadt zur Demo gekommen. „Wir wollen unsere Stimmen erheben, zeigen, dass nicht der ganze Osten rechts ist und dass sich auch Ausländer hier wohl fühlen sollen“, betont Mutter Kirstin Seifert. „Ich hoffe, das bringt unsichere Menschen zum Umdenken.“ Tochter Lotta dazu: „Hauptsache, nicht rechts wählen.“
Die Gruppe der Antidemokrat*innen ist klein, doch sie ist da
Olivia Höthke, seit Herbst an der Europa-Universität Viadrina, sagt: „Wir müssen Präsenz zeigen, wir haben jetzt die Chance, dagegen zu kämpfen.“ In ihrer Heimatstadt Osnabrück demonstrieren gerade 25.000 Menschen. „Das muss in der Politik ankommen.“ Die Studentin wünscht sich ein AfD-Verbot: „Deren Ziele haben hier nichts zu suchen.“
Am Rande steht ein Dutzend Personen um den Frankfurter AfD-Landtagsabgeordneten Wilko Möller. Eben warfen sie noch auf dem Marktplatz Grundgesetzbücher in einen Mülleimer neben einem schwarzen Sarg, wie sie stolz in einem Facebook-Video zeigen. Die Gruppe der Antidemokrat*innen ist klein, doch sie ist da. Nicht nur online, sondern auch im Stadtalltag, und zwar zunehmend gewalttätig. Das zeigt die neue „Chronik rechter und rassistischer Vorfälle“ vom Verein Utopia.
Seit 2021 nimmt eine eigens eingerichtete Meldestelle Hinweise von Betroffenen und Zeug*innen entgegen. Dazu werden Polizeimeldungen, Presseberichte und Landtagsanfragen ausgewertet.
„Es ist keine repräsentative Studie, sondern nur die Spitze des Eisbergs“, betonen die Autor*innen bei der Chronikpräsentation am 29. Januar. Für 2023 haben sie 174 Vorfälle mit nachweisbar rechter oder rassistischer Motivation dokumentiert.
Auch zahlreiche antisemitische Beleidigungen sind dokumentiert
Mehr als 110 davon sind „Propaganda“ − Aufkleber, Graffiti, Kleidermarken, Tattoos mit rechter Selbstdarstellung, NS-Verherrlichung, rassistischem oder queerfeindlichem Inhalt. Dazu kommen 27 Fälle von Pöbelei und elf Angriffe mit meist rassistischem Hintergrund sowie 18-mal Sachbeschädigung vor allem gegen politische Gegner*innen.
Erstmals ist auch ein Vorfall im polnischen Słubice verzeichnet: ein Graffiti mit dem NS-verharmlosenden Spruch „Arbeit macht frei“. Auch zahlreiche antisemitische Beleidigungen sind dokumentiert. Über Monate beschäftigten sich die Meldestelle, Zeug*innen und die Universität mit Rechtsextremen und deren rassistischen Äußerungen in einem Fitnessstudio des Uni-Sportclubs.
In den Vorjahren waren für 2021 28 Vorfälle gemeldet worden, vor allem rund um den Aufmarsch der „Bruderschaft Wolfsschar“ am 17. Juli 2021. 2022 sammelte die Meldestelle 57 Vorfälle, darunter Angriffe von „Wolfsschar“-Mitgliedern auf ein Wohnhaus, die Verwüstung des Synagogen-Gedenksteins sowie den Überfall auf den Leiter eines interkulturellen Zentrums.
2023 beinhaltet die Chronik mehr Angriffe, deren Betroffene sich letztlich in der Notaufnahme behandeln lassen mussten. Ziele sind neben People of Colour zunehmend LGBTQ und Obdachlose. So griffen Mitte Juli Jugendliche einen wohnungslosen Mann an und schlugen noch auf ihn ein, als er schon am Boden lag.
Täter*innen sind häufig Jugendliche aus rechten Elternhäusern
Die Täter*innen, heißt es im Bericht, seien selten als „typische Neonazis“ zu beschreiben. Viele Vorfälle ereigneten sich rund um Veranstaltungen der „Freigeister“, die auch Flugblätter vor Schulen verteilten. Im Unterschied zu den Vorjahren wird diese Gruppe nun als „professionell organisiert“ und „eindeutig AfD-nah“ beschrieben. Sie präsentierten sich immer wieder „Arm in Arm“ mit Parteipolitikern.
Viele ähnliche Vorfälle kennen auch die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (Borge) im nördlichen Nachbarlandkreis Märkisch Oderland (MOL) und die brandenburgweit aktive Opferperspektive. Die Expert*innen aller drei Vereine sind sich einig: Nicht nur rechtes Gedankengut, sondern rechte Gewalt ist in der bürgerlichen Mitte angekommen. Die „Sündenbockpolitik“ der AfD gegen vermeintlich Schwächere führt zu mehr Angriffen. Täter*innen sind häufig Jugendliche aus rechten Elternhäusern, oft sind es die Kinder der Generation der sogenannten Baseballschlägerjahre aus der Zeit nach der Wende. Rechte Gruppierungen wollen bewusst Präsenz zeigen, Raum einnehmen und die Mehrheitsgesellschaft einschüchtern.
Dagegen stehen nun viele Demokratiedemonstrationen in Ostbrandenburg: in Beeskow, Storkow, Eisenhüttenstadt, Lübben und andernorts.
Wie die Frankfurterin Janine Lange hoffen hier Tausende auf Ermutigung und Stärkung. „Wir müssen öfter unsere Meinung sagen“, so Lange. „Denn zu oft sind die Rechten lauter.“ In ihrer Familie gebe es auch AfD-Wählende, sagt Tochter Fiona: „Aber ich habe immer Anti-Rechts-Botschaften in meinem Zimmer, wenn die zu Besuch kommen. Das ist auch ein Demonstrieren.“
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