Protestieren in Frankreich: Gelbe Weste als Risiko
Bei Aktionen der Gelbwesten kam es zu Ausschreitungen – und zu heftiger Polizeigewalt gegen die Demonstranten. Bisher wurden 200 Klagen eingereicht.
Nicht immer ist das harte Vorgehen durch Provokationen aus den Reihen der Gilets jaunes zu entschuldigen. Nach neun aufeinanderfolgenden Wochenenden mit endlosen Ordnungseinsätzen, Stress und Beschimpfungen gehen scheinbar auch etlichen Beamten die Nerven durch. Die Franzosen stellen dabei auch ihre Ausrüstung und den Einsatz von gefährlichen Granaten und Hartgummigeschossen infrage.
In den letzten Wochen wurden 200 Klagen eingereicht, in 78 Fällen ermittelt die Polizeiinspektion intern, ob Befehle missachtet oder vorsätzlich Körperverletzungen verursacht wurden. Verurteilt wurde aber bisher noch kein Polizist im Zusammenhang mit den Einsätzen gegen die Gilets jaunes.
Derzeit zirkulieren im Internet vor allem Videos von einer Kundgebung der Gilets jaunes in Bordeaux vom vergangenen Samstag. Darauf ist zu sehen, wie ein Mann mit einer gelben Warnweste regungslos am Boden liegt, er blutet aus einer offenen Kopfwunde. Eine andere Sequenz zeigt, wie freiwillige Sanitäter dem Verletzten Erste Hilfe leisten. Seither liegt Olivier B. mit einer Hirnblutung im Koma. Er schwebt nicht mehr in Lebensgefahr, muss aber mit bleibenden Schäden rechnen.
Der gravierende Zwischenfall ist mittlerweile Gegenstand einer behördlichen Untersuchung. Cindy B., die mit ihrem Mann Olivier an die Demonstration gekommen war, hat eine Klage gegen die Polizei eingereicht.
„Flashballs“ – fast so groß wie ein Tennisball
Für den Regionalsender France 3 in der Aquitaine, der diese Szenen gefilmt und ausgestrahlt hat, lag von Beginn an die Vermutung nahe, dass dieser Demonstrant in einer Seitenstraße des Zentrums entweder von einer Polizeigranate oder einem von den Ordnungskräften verschossenen Hartgummikaliber getroffen wurde. Die Behörden machten aber keine Angaben, ob Demonstranten durch die Polizei verletzt wurden.
Inzwischen sind neue Videos aufgetaucht, die von den Gilets jaunes als Beweis für die Polizeigewalt verbreitet werden. Man hört, wie einer der Uniformierten betroffen feststellt: „Leute, da hat es noch einen Verletzten gegeben!“ Diese Aufnahmen legen den Verdacht nahe, dass die Polizisten versuchten, sich der Verantwortung zu entziehen. „Sie wissen nicht, dass wir es waren …“, sagt darauf nämlich eine Stimme, die anordnet, vorsorglich die Hülsen der abgefeuerten Geschosse einzusammeln.
Um einen Einzelfall handelt es sich bei Olivier B. zumindest nicht. Im Verlauf der Zusammenstöße zwischen der Polizei und den Gelbwesten gab es nämlich unzählige Verletzte. In diesem Zusammenhang werden die von den Ordnungstruppen sehr massiv eingesetzten Lärm- und Reizgasgranaten kritisiert, bei deren Explosion bereits mehreren Demonstranten eine Hand abgerissen wurde.
Besonders umstritten ist in Frankreich gegenwärtig die Hartgummimunition. Die runden „Flashballs“, die fast so groß wie ein Tennisball sind, sind in den letzten Wochen sehr häufig gegen Demonstranten verwendet worden. Als noch gefährlicher erwiesen sich die neuen zylinderförmigen Hartgummigeschosse mit einem Durchmesser von 4 Zentimetern, die mit der Pistole LDB-40 abgefeuert werden. In beiden Fällen handelt es sich also nicht um Gummischrot, wie es zur polizeilichen Abwehr einer Bedrohung in anderen Ländern erlaubt ist, sondern um vergleichsweise viel größere harte Geschosse. Sie können gravierende Verletzungen bewirken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten