Proteste zu griechischem Namensstreit: „Hände weg von Mazedonien“
Hunderttausende demonstrieren in Athen gegen die Kompromisse im Namensstreit mit dem Nachbarstaat. Ranghohe Politiker bleiben fern.
Das Neue
Für Flaggen-Verkäufer ist es ein wundervoller Sonntag. „Eine Flagge zwei Euro. Zwei Euro für Griechenland, Leute“, schreit der patriotische Ein-Mann-Betrieb am Verfassungsplatz. Familien mit Kindern und schick gekleidete Damen greifen zu, es ist eindeutig keine Exklusiv-Veranstaltung für Nationalist*innen.
Am Sonntagmorgen fährt in Thessaloniki, der Hauptstadt der griechischen Region Mazedonien, alle fünf Minuten ein Bus mit Demonstrant*innen in Richtung Athen ab. „Ich habe bis Samstagabend um zehn gearbeitet und trotzdem den Bus um vier Uhr morgens erwischt, denn ich will für unser Mazedonien demonstrieren“ sagt eine ältere Dame. „Mazedonien ist griechisch“ und „Hände weg von Mazedonien“ skandieren Hunderttausende vor dem Parlament.
Als erster Redner ergreift Musiker und National-Legende Mikis Theodorakis das Wort und erinnert an die Vereinbarung aller griechischen Parteien im Jahr 1992, dass der Nachbarstaat das Wort „Mazedonien“ nicht anführen darf. Von dieser Linie sind alle Regierungen der vergangenen 20 Jahre abgerückt. Im Moment vermittelt UN-Diplomat Matthew Niemitz über eine Kompromisslösung, die das Wort „mazedonisch“ erhält. Die Bezeichnung „Republik Mazedonien“ bleibt für Athen allerdings immer noch tabu.
Neulich kam es in Davos zu einem Gespräch zwischen Linkspremier Alexis Tsipras und seinem mazedonischen Amtskollegen Zoran Zaev. Die beiden können gut miteinander und wollen sich für eine einvernehmliche Lösung einsetzen. Genauso wie seine Vorgänger verlangt Tsipras allerdings eine verfassungsrechtliche Zusicherung in Skopje und eventuell auch internationale Garantien, dass der Nachbarstaat keine Gebietsansprüche gegen die griechische Region Makedonien stellt.
Das Thema mobilisiert nicht mehr wie früher
Als in den frühen neunziger Jahren der damalige konservative Premier Mitsotakis über eine ähnlichen Kompromiss verhandelte, polterten die meisten politischen Parteien in Hellas gegen den angeblichen „Verrat“. Der Bürgermeister von Thessaloniki und die in Griechenland mächtige orthodoxe Kirche riefen zu Protesten auf.
Diesmal ist es anders: Spitzenpolitiker*innen bleiben Protestkundgebungen fern. Der linksgerichtete Bürgermeister von Thessaloniki Jannis Boutaris hat mit Zoran Zaev gemeinsam Sylvester gefeiert. Die Kirche erscheint gespalten: Eine erste Kundgebung in Thessaloniki Ende Januar wollte sie nicht absegnen, in Athen sind einige Bischöfe niederen Ranges mit dabei.
Die Großkundgebung am Sonntag war ein Test dafür, ob die Mazedonien-Frage in Hellas immer noch die Massen mobilisiert. Zwar behaupten die Veranstalter, anderthalb Millionen Menschen seien zusammengekommen, aber das erscheint stark übertrieben. In einer ersten Einschätzung spricht die Polizei von 140.000 Demonstrant*innen.
Ein Großteil der öffentlichen Meinung in Griechenland hat sich mit einem Kompromiss-Namen abgefunden. Heftige Reaktionen gibt es allerdings immer noch im Norden des Landes und nicht zuletzt bei konservativen Kreisen in Athen.
Premier Tsipras will eine Kompromisslösung. Im Alleingang kann er sie nicht erreichen. Ob die konservative Opposition und gemäßigte politische Kräfte ihn dabei unterstützen, ist derzeit die große Frage im Mazedonien-Streit.
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