Proteste in der Türkei: Präsident zeigt Entgegenkommen
Der türkische Präsident Gül signalisiert Verständnis für die Demonstranten. Auf dem Taksimplatz haben Protestierende unterdessen Barrikaden ausgebaut.
ISTANBUL/ANKARA afp/dpa | Nach tagelangen Protesten in der Türkei hat Staatspräsident Abdullah Gül den Demonstranten Entgegenkommen signalisiert. „Demokratie bedeutet nicht nur Wahlen“, sagte Gül am Montag laut der Nachrichtenagentur Anadolu. „Die mit gutem Willen überbrachten Botschaften wurden gehört“, versicherte der Präsident, der ebenso wie Regierungschef Recep Tayyip Erdogan der islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) angehört, gegen die sich die Proteste richten.
Die Gegner des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan setzen unterdessen ihre Proteste auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul fort. Am späten Morgen bauten einige Protestierende Barrikaden auf den Zufahrtsstraßen aus, wie Augenzeugen am Montag berichteten.
Insgesamt waren zunächst nur noch einige hundert Demonstranten auf dem Gelände, das in den vergangenen Tagen ein Hauptschauplatz der Proteste war. Die Polizei hielt weiter Abstand. Die wegen der Zusammenstöße seit einigen Tagen geschlossene U-Bahn hatte wieder geöffnet.
In der Nacht haben die Proteste gegen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan und seine islamisch-konservative Regierung in der dritten Nacht in Folge angedauert. Bis zum Montagmorgen ging die Polizei in Istanbul gegen tausende Demonstranten vor. Es kam erneut zu gewaltsamen Zusammenstößen.
Die Demonstranten hatten sich in Istanbul bei Erdogans Büro versammelt. Die Menge rief „Diktator, tritt zurück! Wir wehren uns, bis wir gewinnen.“ Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. Auch auf dem mehrere Kilometern entfernten Taksim-Platz gingen die Proteste weiter. Die Demonstranten werfen Erdogan einen zunehmend autoritären Stil vor.
Schwerste Proteste seit einem Jahrzehnt
In der Hauptstadt Ankara hatte die Polizei bereits am Sonntagnachmittag Wasserwerfer und Tränengas gegen rund 1000 Demonstranten eingesetzt, die zu Erdogans Hauptstadt-Büro vordringen wollten. In mehreren Wohngebieten Ankaras und Istanbuls ertönten am Abend Pfeif- und Topfschlag-Konzerte, viele Einwohner schalteten zum Zeichen des Protestes das Licht in ihren Wohnungen ein und aus.
Die Türkei wird seit dem Wochenende von den schwersten Protesten seit einem Jahrzehnt erschüttert. Diese hatten ursprünglich am Dienstag mit Kundgebungen gegen ein Bauprojekt in einem Park unweit des Taksim-Platzes in Istanbul begonnen. Nach einem als unverhältnismäßig kritisierten Einsatz der Polizei nahmen sie inzwischen aber eine allgemein regierungskritische Wendung und weiteten sich auf das ganze Land aus.
Hunderte Verletzte bei Auseinandersetzungen mit der Polizei
Nach Angaben von Innenminister Muammer Güler wurden seit Dienstag 235 Kundgebungen in 67 Städten registriert. Seit Freitag wurden demnach mehr als 1700 Menschen festgenommen, von denen aber ein Großteil nach kurzer Zeit wieder freikam. Laut Güler wurden 58 Zivilisten und 115 Sicherheitskräfte verletzt. Die Ärztegewerkschaft von Ankara sprach dagegen von hunderten Verletzten.
Außenminister Ahmet Davutoglu rief zu einem Ende der Proteste auf. Sie könnten das „Ansehen“ des Landes in der Region und der Welt beschädigen, warnte er auf dem Internet-Kurzbotschaftendienst Twitter.
Erdogan räumte am Wochenende ein, dass die Polizei in einigen Fällen „extrem“ reagiert habe. Gleichzeitig aber bekräftigte er, an dem Bauvorhaben in Istanbul festhalten zu wollen. Zudem kündigte der Regierungschef, dem die Demonstranten auch eine „Islamisierung“ der Gesellschaft vorwerfen, den Bau einer Moschee auf dem Taksim-Platz an. „Ja, wir werden eine Moschee bauen. Und dafür werde ich weder die Opposition noch eine paar Plünderer um Erlaubnis fragen“, sagte er am Sonntag. Diese habe er bereits von seinen Wählern, fuhr er fort.
Die Europäische Union verurteilte das gewaltsame Vorgehen der türkischen Polizei gegen die Demonstranten. EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton kritisierte in einer Erklärung den „unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt durch Mitglieder der türkischen Polizei“. Sie äußerte „Besorgnis“ angesichts der Eskalation bei den Protesten. Beide Seiten müssten in Dialog treten, um eine „friedliche Lösung“ des Konflikts zu finden. In Israel und Griechenland kam es zu Solidaritätskundgebungen. Auch in Weimar versammelten sich rund 50 Studenten im Stadtzentrum zu einer Unterstützungsaktion für die Demonstranten in der Türkei.
Leser*innenkommentare
vulkansturm
Gast
Was für ein aggressiver Typ, dieser Erdogan!
Der Plan auf dem Gelände des Gezi-Parks eine Rekonstruktion der 1940 abgerissenen schlossähnlichen osmanischen Topcu-Kasernen aufzubauen, hatte ja noch einen gewissen Charme, wenn man davon absieht, dass damit die letzte Grünfläche in diesem Teil des Stadtzenttum zerstört wird.
Jetzt aus Trotz dort eine Moschee hin zu bauen ist einfach nur ein widerlich aggressiver Akt. Istanbul hat eh schon 4000 Moscheen, dazu plant Erdogan eine gigantomanische Moschee auf dem Camlica-Hügel, die ganz
Istanbul überragen wird.
ungelogen
Gast
leider, leider wird der berechtigte Protest vom Anfang für die Erhaltung der Grünflächen in Istanbul von der seit jahrzehnten vom Kemalismus in den Schulen mit Kemalistischer-Propaganda vollgepropften Menschen für ihre Zwecke missbraucht. Diese Leute gehen gleichzeitig während der Demos auf mitdemonstrierende Kurden los, weil die Mehrheit der "Empörer" Kemalistisch-Nationalistisch ist. Leider. Das Vorgehen der Polizei am Anfang war ein riesen Fehler, das hat die Regierung Erdogan auch eingesehen, aber die Masse die dann auf die Strassen ging, war und ist weder am Grün und den Parks in der Stadt interessiert noch sind sie gegen die Atomkraftwerke, die noch in Erdbebengefährdeten Gebieten gebaut werden sollen. Das Ganze ist ein "Aufbäumen" gegen Veränderungen im Kemalistischen Staat. Eigentlich ein Protest gegen eine neue demokratische Türkei.
jenny
Gast
Sicher Erdogan regiert relativ autokratisch,
er arbeitet mit dem Missionseifer eines Besser(-wissers/-Gläubigen).
Aber hinter den nun ausgebrochenen Spannungen dürfte
neben Unzufriedenheit auch politische Kräfte wie
die laizistischen Alewiten u. Kurden stehen, die
mit dem monotonen Sunitentum Erdogans immer weniger
einverstanden sind.
Dazu kommen sicher auch Einflussnahmen des syrischen
Geheimdienstes, der schon bei den Protesten gegen die
Bundeswehrstationierung u. den Bombenanschlägen
in der türkischen Grenzregion mitmischte.
Erdogan hat sich das offizielle Syrien zum Todfeind
gemacht u. wenn man sieht wie die Syrer im Libanon
Präsidenten wegbommten, dann sollte Erdogan
schnellstens sich neutral zu Syrien verhalten - wetten, dass dann die Unruhen schlagartig abebben!
Assad hat Erdogan eine Lektion erteilt ! - Erdogan
wäre dumm wenn er nicht darauf hören würde !!
reorient
Gast
Berichten Sie doch bitte einigermassen korrekt oder lassen Sie es bleiben. Die Bildunterschrift ist nicht nur voellig inkorrekt, die bedient abgehalfterte Tuerkei-Klischees. Die Kemalisten-Fahnen tauchten erst dann auf, als die Polizei bereits vom Taksim-Platz abzog. Dieser Versuch der Instrumentalisierung der Proteste im Nachhinein hat viele sehr veraergert.
Metehan
Gast
Wenn dann bitte die ganze Wahrheit berichten. Auf dem Taksim Platz befindet sich bereits eine Kirche. Erdogan möchte, dass die davor stehenden Geschäfte umziehen, damit die Kirche deutlich zu sehen ist. Daneben möchte er noch eine Moschee erbauen, damit die Muslime beten können, genauso wie es die Christen in der genannten Kirche bereits tun. Wüste nicht was daran auszusetzen ist, wenn man bedenkt, dass z.B. in Athen keine einzige Moschee existiert.
eksom
Gast
Was ist wohl Deutschland dran?
Wenn die neoliberalen Regierungen (egal welcher Farbe!) immer einseitig nur für das Kapital arbeiten, ist spätestens nächsten Jahr der deutschen Frühling auch im Lande bemerkbar! Mit frisierten Statistiken und gleichgeschalteten Medien kommt man auch im Westen bald nicht mehr weit! Gut, dass es Internet udn Twitter gibt und von der Politk nicht käufliche soziale Netzwerke!
tüürkRev_eu
Gast
Im Zuge der türkischen Revolutionsbemühungen sind mindestens zwei getötete Menschen zu beklagen
Der europäische Frühling hat mit dem Sommeranfang den Beginn der europäischen Revolution ausgelöst.
Von Lissabon über Barcelona nach Stockholm zeitgleich von Istanbul über Ankara bis Moskau und Frankfurt trotz Überschwemmungen und Monsun es brennt in Europa.
Im Nachbarland Syrien steht nun auch die Hisbollah den Faschisten zur Seite was Israel seit ihren ersten Angriffe auf Waffenlieferungen an Syrien in die revolutionären Umwandlungen mit einzieht und Israel ist dabei bemerkenswerterweise als einziger europäischer Staat auf der Seite der Rvlzion gerückt.
Die kapitalistisch faschistoiden Euroregierungen hatten schon den ganzen Frühling über vereinzelte Brandherde zu bekämpfen. die nationalen Presseeinrichtungen haben es bisher versäumt bsp.weise die Vorgänge in Schweden mit den Ereignissen am Wochenende in Verbindung zubringen.
The revolution starts now it will not be televised .
Die ersten Opfer sind nun im türkischen Protest gestorben auf europäischen Festland.
Ihnen und den unzählbaren ermordeten in den Nachbarländern ist diese Revolution zu widmen im Namen der Freiheit der Gerechtigkeit und der soziale Revolution AMEN.
ilmtalkelly
Gast
Mit dem Moschee-Bau glaubt Erdogan, die Protestler mit der Religionskeule beim Arsch zu haben. Da wird seine Gier nach Autokratie erst offensichtlich.
Er riskiert dabei eine Spaltung der Türken, die noch mehr Unruhen nach sich ziehen kann.
Er beleidigte Kemal Atatürk und er verhöhnt sein Volk.
Syrien ist nicht weit. Es ist wie ein bösartiges Krebsgeschwür.