Proteste in Myanmar: Tote, Trauer und Trotz
Die Menschen in Myanmar lassen sich auch von Schüssen nicht einschüchtern. Tausende protestierten am Wochenende weiter mutig gegen den Militärputsch.
Am Samstag trauerten in der größten Stadt Yangon (Rangun) Tausende um eine 20-Jährige: Mya Thwet Thwet Khine war am Vortag für tot erklärt worden. Sie wurde zehn Tage zuvor in der Hauptstadt Naypyidaw von einer Polizeikugel im Kopf getroffen. Die Polizei lehnt aber die Verantwortung für ihren Tod ab.
In Yangon, wo es viele Medien, Diplomaten und internationale Organisationen gibt, geht das Militär bisher nicht mit Schusswaffen gegen die Proteste vor. Zeitgleich mit der Trauerkundgebung in Yangon erschossen aber in der Stadt Mandalay Militär und Polizei im Einsatz gegen streikende Werft- und Hafenarbeiter zwei Männer.
Die massenhaften Arbeitsniederlegungen von Staatsangestellten unter dem Namen Bewegung für zivilen Ungehorsam (CDM) haben die Putschgeneräle kalt erwischt. Im zentralen Mandalay und im nördlichen Myitkyina wird versucht, Menschen mit Gewalt zurück zur Arbeit zu drängen.
Schüsse nicht nur in die Luft
Bereits in der Nacht zu Donnerstag wurden Uniformierte gefilmt, wie sie in Mandalay in ein Viertel streikender Bahnangestellter eindrangen. Von lokalen Medien verbreitete Videos zeigten Uniformierte, die Schüsse abfeuerten. Offen blieb die Art der Munition. Zwar wurden Menschen verletzt, doch niemand tödlich.
Am Samstag gab es am Irrawaddy-Ufer in Mandalay aber zwei Tote und zahlreiche Verletzte, als Polizei und Militär nicht nur mit Tränengas und Gummigeschossen, sondern auch scharf schossen. Ein Mann war sofort tot, einer starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Knapp 30 weitere Personen wurden verletzt.
Die Zeitung The Irrawaddy zitierte den UN-Sondergesandten für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, damit, dass das eingesetzte Militär zu einer Einheit gehörte, die schon bei der Vertreibung von 700.000 Rohingya 2017 durch Brutalität auffiel. „Dieser Wahnsinn muss enden, jetzt!“, forderte Andrews.
In der Nacht zu Sonntag wurde im Norden Yangons ein Nachbarschaftswächter erschossen. Vielerorts versuchen Bewohner jetzt, mit selbst organisierten Wachen zu verhindern, dass die Polizei während der nächtlichen Ausgangs- und Internetsperre Regimegegner festnimmt und Kriminelle im Auftrag des Regimes Brände legen. 23.000 freigelassene Hälftlinge und einige warnende Beispiele haben entsprechende Ängste geschürt. Weil die Menschen der Polizei nicht mehr vertrauen, bewachsen sie ihre Viertel selbst
Medienbericht: Polizei erschießt Nachbarschaftswächter
Laut der Zeitung Frontier wurde der Wächter erschossen, als er zusammen mit anderen Nachbarschaftswächtern einen Lieferwagen stoppte, der trotz Ausgangssperre in dem Viertel unterwegs war. Darin saßen uniformierte Polizisten, die laut Augenzeugen auf ihn das Feuer eröffneten.
Am Sonntag gingen die Massenproteste vielerorts weiter. In Mandalay gab es ein großes Sit-in in der Nähes des Uhrenturms, in Naypyidaw gab es einen Trauerkorso, in Yangon wurde wieder vor mehrere Botschaften demonstriert.
Der Facebook-Konzern sperrte am Sonntag die Seite „True News Information Team“ des Militärs wegen wiederholter Anstiftung zur Gewalt. Schon 2018 waren von Facebook die Seiten einiger Generäle gesperrt worden, so die des jetzigen Putschführers Min Aung Hlaing.
Mehrere Regierungen kritisierten die Junta am Sonntag für den Schusswaffeneinsatz gegen die Proteste, erstmals sogar auch Singapur. Die Regierung des Stadtstadtes hatte Myanmars Generäle bisher noch nie kritisiert, ist im früheren Birma aber jetzt mit Boykottaufrufen konfrontiert und fürchtet offenbar um seinen Ruf.
Für Montag rufen die Gegner der Militärherrschaft, die sich aus allen Schichten, Ethnien und religiösen Gruppen rekrutieren, zu einem landesweiten Generalstreik auf. In den letzten Tagen haben sie ihre Ationen bereits mit originellen Maßnahmen wie inszenierten Autopannen zur Störung des Verkehrs durchzusetzen versucht. Ebenfalls am Montag wollen die EU-Außenminister über die Lage in Myanmar beraten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles