Proteste in Iran: Der Vollständigkeit halber
Die Revolution auf ein singuläres Ereignis zu reduzieren, ist falsch. Fünf Punkte, um ein realistisches Gesamtbild Irans zu bekommen.
1 . Die Iran-Politik der Bundesregierung und der EU ist reaktionär. Sie ist eine gestrige Auffassung von Sicherheitspolitik, statt der radikalen Durchsetzung von Demokratie und der Beachtung von Menschenrechten.
Weder wird die Machtelite von Iran isoliert (selbst mit den Revolutionsgarden auf einer Sanktionsliste), noch wird der Atomdeal beendet oder werden wirtschaftliche Interessen zurückgestellt. Demokratische Kräfte werden kaum unterstützt, etwa durch die Bereitstellung von Internet oder die Forderung, politische Gefangene freizulassen.
Das Festhalten des Westens am iranischen Regime geht auf Kosten der iranischen Bevölkerung. Wohlstandssicherung um jeden Preis aufgrund von Eigeninteressen ist im Westen nichts Neues, aber verstaubt. Dabei kann man davon ausgehen, dass ein demokratischer Iran kein Interesse an einer Atombombe hätte, dafür aber an wirtschaftlichen Beziehungen. Solche Einschätzungen als unrealistisch abzutun, zeugt von einer einfallslosen, hängengebliebenen Politik.
2. Revolutionen passieren nicht über Nacht. Die Revolution von 1979 hatte, je nachdem welche Vorfälle man dazu zählt, mindestens ein Jahr Vorlauf. Im Grunde war der politische Iran des 20. Jahrhunderts geprägt von Kämpfen zwischen Anhänger*innen der Monarchie und ihren Gegner*innen.
Demokratische Politik ist möglich
3. Es ist keine Voraussetzung für eine Revolution, einen Plan fürs Danach zu haben. Es wäre das Ideal. Tägliche Gewalt, kaum Internet und Telefonie erschweren es erheblich, sich zu organisieren. Im Land selbst gibt es genug Frauen und andere, die demokratische Politik gestalten können. Nur weil das hierzulande nicht bekannt ist, heißt es nicht, dass es sie nicht gibt.
4. Anzunehmen, die Menschen in Iran wüssten nicht, wie stabil das Regime in seinen Machtstrukturen ist, ist überheblich. Die Proteste sind auch deswegen so radikal und kompromisslos, weil sie genau das verstanden haben. Befürchtungen, spätestens nach dem Tod des Obersten Führers Ali Chamenei könnte ein Nachfolger oder das Militär übernehmen, rühren aus diesem Bewusstsein.
5. Es ist okay als Journalist*in, gegen eine Diktatur zu sein. Doch die Frage muss erlaubt sein, ob man lediglich Stimmen aus Iran verstärken oder auch über die reale Stabilität des Regimes, internationale Kontexte und Hindernisse einer Revolution berichtet. Passiert das nicht, läuft man Gefahr, zwar laut das Regime zu kritisieren und Menschen Hoffnung zu machen, aber die Interessen anderer Länder, die Profiteure des Regimes inner- und außerhalb Irans und Einschätzungen außenpolitischer Expert*innen in den Hintergrund zu drängen.
So entsteht ein unvollständiges Bild, das auf die Aufzählung von Geschehnissen im Rahmen eines singulären Ereignisses einer Revolution in Iran reduziert ist.
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