Proteste in Frankreich: Staatsmacht gegen freies Leben
Im westfranzösischen Notre Dame des Landes kommt es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizisten und Alternativen.
Das ist seit einer Woche der Alltag in der sogenannten Verteidigungszone (ZAD) im westfranzösischen Notre Dame des Landes im Departement Loire Atlantique, wo ein Flughafen gebaut werden sollte. Mitte Januar 2018 gab die Regierung bekannt, das Projekt endgültig aufzugeben. Die Zone, das sind ungefähr 1.650 Hektar Weideflächen mit Gehölzen, die so aussehen wie vor einem halben Jahrhundert. Eine Landschaft, durchsetzt von Weilern und „selbst verwalteten Räumen“, also Siedlungen, die errichtet wurden und seit einer Woche eine Theaterbühne für bisweilen gewalttätige Zusammenstöße zwischen den „Zadisten“ und Ordnungskräften sind.
2.500 Polizisten wurden zusammengezogen, um die Evakuierung und Zerstörung einiger Dutzend dieser „selbst verwaltete Räume“, die als illegal gelten, durchzuziehen. Auf kleinen Landstraßen stehen Barrikaden. Dort halten sich die „Zadisten“ auf. Sie sind vermummt und tragen schwarze Kleidung. Die Barrikaden, die manchmal Checkpoints ähneln, haben die Bewohner der Zone errichtet. Sie klammern sich, koste es, was es wolle, an ihre Behausungen und eine andere Lebensart.
„Solidarität und das Kollektiv sind die Grundlage für unsere Herangehensweise“, erklärt Sarah, die seit fünf Jahren in der ZAD lebt. „Um hier bleiben zu dürfen, wird von uns verlangt, dass wir landwirtschaftliche Projekte vorschlagen. Die müssen individuell sein, nicht aber kollektiv. Das aber ist ein Angriff auf das Herz unserer Sache.“ Überdies gebe es hier Bauern, aber auch Handwerker, Bäcker sowie Menschen, die sich um die Nutzung des Waldes kümmerten, um diese ländliche Welt wieder zum Leben zu erwecken.
150 Verletzte an einem Tag
„Wir waren offen für einen Dialog, aber man hat uns mit einer Militäroffensive geantwortet. Wir sind verraten worden“, sagt Sarah. Derzeit kümmert sie sich um zahlreiche Verletzte. Die meisten sind Opfer explodierender Granaten. Sie wurden von der „Frontlinie“ evakuiert, an der sich Demonstranten und Gendarmen gegenüberstehen. Am Samstag zählten die Anhänger der ZAD 150 Verletzte in ihren Reihen.
„Wir schrammen jeden Tag an einer Katastrophe vorbei“, sagt Sarah, die in einem kleinen Raum eines Bauernhofes arbeitet. Hier stapeln sich Kisten mit Verbandskästen, Antiseptika und Schmerzmittel. Aufseiten der Ordnungskräfte gibt es bislang rund 50 Verletzte, die von Steinen und Molotowcocktails der „Zadisten“ getroffen wurden.
Sarah, Bewohnerin der Verteidigungszone
Am Sonntag kam es an einem Ort, wo eine friedliche Versammlung stattfinden sollte, zu Zusammenstößen. Und das, obwohl Präsident Emmanuel Macron am Donnerstag das Ende der Evakuierungen angekündigt hatte. Es flogen Steine und die Ordnungskräfte wurden lauthals beschimpft. Die Antwort waren Tränengasgranaten.
Am Rande eines schlammigen Weges ziehen sich Schutzwälle entlang. Ein Stück weiter stehen Molotowcocktails in Flaschen bereit zum Einsatz. Hier und da versprengte Grüppchen von „Zadisten“, zu denen Unterstützer aus ganz Frankreich und dem Ausland gestoßen sind.
Wie soll man mit Bulldozern reden?
„Ich bin gekommen, um die Philosophie all dessen zu unterstützen, was hier entstanden ist. Eine Welt, die solidarischer und weniger konsumorientiert ist“, sagt Malika. Die 57-Jährige ist aus Paris und trägt eine rote Wollmütze. „Die sind gerade dabei, eine ganze junge Generation zu massakrieren. Die Behörden töten Tiere, klemmen den Strom in den Häusern ab. Das ist Wahnsinn! Aber ich werde noch hier sein, wenn es daran geht, alles wieder aufzubauen!“, sagt sie.
Die Ordnungskräfte werden noch mehrere Wochen in der Zone bleiben, um die Straßen freizuräumen, den Schutt zu beseitigen und einen Wiederaufbau zu verhindern. Am Samstagmorgen räumten sie in einer kleinen Straße Barrikaden weg. Aber diese wurden sofort wiedererrichtet. „Der Staat sagt, dass er erneut bereit ist zu diskutieren. Wie aber soll man mit Bulldozern reden?“, fragt eine Frau. Sie ist mit ihrer 18-jährigen Tochter aus Lille gekommen, „um zu helfen“.
Aus dem Französischen: Barbara Oertel
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