Proteste in Baku nach Gefechten: „Bis Karabach befreit ist!“
Zwischen Armenien und Aserbaidschan wird wieder gekämpft. In Baku fordern Zehntausende einen Krieg um die umstrittene Region von Bergkarabach.
Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium beschuldigte hingegen armenische Streitkräfte, aserbaidschanische Truppen an der Frontlinie sowie aserbaidschanische Dörfer in dem Distrikt Tovuz zu bombardieren.
Begonnen hatten die Gefechte an der Grenze zwischen den Regionen Tavush und Tovuz am vergangenen Sonntag, wobei sich beide Seiten gegenseitig für die Eskalation und Angriffe auf zivile Ziele verantwortlich machen. Bei den mehrtägigen militärischen Auseinandersetzungen wurden vier armenische Soldaten sowie ein aserbaidschanischer Zivilist und elf aserbaidschanische Armeeangehörige getötet – darunter auch ein Generalmajor.
Die Beisetzung des ranghohen Militärs am Dienstagabend in einem Bezirk der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku, für dessen Tod Diskutant*innen in den sozialen Netzwerken die „mangelnde Führungsstärke“ der aserbaidschanischen Regierung verantwortlich gemacht hatten, brachte das Fass offensichtlich zum Überlaufen.
Polizei setzt Schlagstöcke und Tränengas ein
Mit Slogans wie „Karabach ist unser!“ „Beendet die Quarantäne und beginnt einen Krieg!“, „Karabach oder Tod!“ sowie „Wir werden nicht weichen, bis Karabach befreit ist!“ versammelten sich an verschiedenen Punkten Bakus spontan Zehntausende Demonstrant*innen und zogen in das Zentrum.
Einige Protestierende versuchten, gewaltsam in das Parlamentsgebäude einzudringen. Sie wurden von der Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas auseinandergetrieben. Laut Angaben des Innenministeriums wurden bei den Protesten sieben Polizisten verletzt und mehrere Fahrzeuge beschädigt.
In einer Stellungnahme des Parlamentspressedienstes von Mittwochmorgen hieß es, der Versuch der Erstürmung des Parlaments sei das Ergebnis einiger Provokateure gewesen, die es auf Zerstörung abgesehen gehabt hätten. Diese Aktion sei respektlos gegenüber dem heiligen Geist der Märtyrer gewesen.
Für den aserbaidschanischen Analytiker Zaur Schirijew von der International Crisis Group sind die jüngsten Proteste ein zweischneidiges Schwert für die Machthaber in Baku. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hätten viele Menschen ihre Frustration über die Ereignisse an der Frontlinie zum Ausdruck gebracht und verstärkte Aktionen von der Regierung gefordert. „Die Regierung wird diese Proteste in ihren Verhandlungen mit den internationalen Akteuren nutzen, um für mehr Druck auf Armenien zu werben“, zitiert das unabhängige Nachrichtenportal eurasianet den Analytiker Schirijew.
Konflikt schwelt seit über 30 Jahren
Der Territorialkonflikt um das mehrheitlich von Armenier*innen bewohnte Gebiet Bergkarabach, das zu Sowjetzeiten Aserbaidschan zugeschlagen worden war, schwelt seit über 30 Jahren. Ein Krieg Anfang der 1990er Jahre, in dem schätzungsweise zwischen 25.000 und 50.000 Menschen getötet und über 1,1 Millionen vertrieben wurden, mündete 1994 in einen brüchigen Waffenstillstand.
Die sogenannte Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der die USA, Frankreich und Russland angehören, versuchte zu vermitteln. Mit mäßigen Erfolg. Immer wieder kam es zu Kampfhandlungen um das international nicht anerkannte Gebiet – zuletzt im April 2016. Dabei starben insgesamt über 400 Soldaten beider Konfliktparteien.
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