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Proteste in ArgentinienEskalation bei Demo gegen niedrige Renten

Schon lange protestieren Rent­ne­r gegen die Sparpolitik von Präsident Javier Milei. Jetzt mischten Fußballfans mit. Es gab Festnahmen und Verletzte.

Polizei gegen Rent­ne­r*in­nen in Buenos Aires Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa

Buenos Aires taz | Brennende Autos und Müllcontainer, ein Hagel aus Tränengasgranaten und Gummigeschossen, Steinen und Flaschen. Ein lebensgefährlich verletzter Fotograf, mehr als hundert verletzte Protestierende, uniformierte Einsatzkräfte. Und über 120 vorläufige Festnahmen. Das ist die aktuelle Bilanz der gewalttätigen Auseinandersetzungen am Mittwoch zwischen Polizei und Protestierenden rund um das Kongressgebäude in Argentiniens Hauptstadt Buenos Aires.

Während im Gebäude die Abgeordneten über einen möglichen Untersuchungsausschuss zum Kryptoskandal von Präsident Javier Milei tagten, demonstrierten vor dem Kongress Argentiniens Rentner*innen. Schon lange gehen sie jeden Mittwoch um 17 Uhr aufgrund ihre mickrigen Renten auf die Straße. Und seit die Regierung des libertären Präsidenten Javier Milei den freien Straßenverkehr auch während politischer Demonstrationen garantiert, kam es immer wieder zu kleineren Rangeleien.

Wer diesen Mittwoch schließlich mit der Gewalt angefangen hat, ist unklar

Für diese Woche nun hatten aber neben Gewerkschaften und Parteien auch Fußballanhänger verschiedener Klubs ihre Unterstützung angekündigt. Darunter auch die jeweiligen „Barra Bravas“, gewaltbereite Fangruppierungen.

Szenen eskalierender Gewalt

Wer schließlich angefangen hat, ist unklar. Kaum war der Durchgangsverkehr vor dem Kongressgebäude blockiert, gingen die uniformierten Einsatzkräfte mit großer Härte gegen die Protestierenden vor, egal ob Rent­ne­r*in­nen oder Barra Bravas.

Es gab hässliche Szenen: Eine über 80-jährige Frau wurde von einem Polizisten bewusstlos geschlagen. Ein Fotograf mutmaßlich von einer Tränengasgranate lebensgefährlich getroffen. Vorrückende Wasserwerfer, um sich schießende Polizisten auf Motorrädern gegen Steine werfende Protestierende bestimmten für Stunden die Lage. Nachdem Nachrichtensender live darüber berichtet hatten, kam es in vielen Stadtteilen zu spontanen Straßendemos und cacerolazos, den lautstarken Kochtopfkonzerten.

Überraschen können die gewaltsamen Auseinandersetzungen niemand, gerade nachdem die Teilnahme der Barra Bravas an dem Protest bekannt wurde. Bereits am Vortag hatte Sicherheitsministerin Patricia Bullrich davor gewarnt, dass die Demonstrierenden daran gehindert werden, die Straßen zu blockieren oder Gewalt anzuwenden. „Unsere Kräfte sind im Einsatz, um das Sicherheitsprotokoll durchzusetzen: Der Verkehr wird nicht unterbrochen und die Barra Bravas laufen auf dem Bürgersteig“, sagte Bullrich.

Renten sind am stärksten von Sparpolitik betroffen

Über die prekäre Lage der Rent­ne­r*in­nen herrscht ein breiter und überparteilicher Konsens. Viele sind auf die Unterstützung durch Kinder und Enkel angewiesen. Um nachhaltige Verbesserungen hat sich keine von all den Regierungen der vergangenen Jahre gekümmert. Im Gegenteil: Unter Javier Milei hat sich die Situation verschärft. Da Renten und Pensionen den größten Posten im Staatshaushalt ausmachen, sind sie mit am meisten von der Sparpolitik der Regierung betroffen.

Zuletzt wurde die Rückerstattung von 100 Prozent für bestimmte Medikamente durch die allgemeine Krankenkasse PAMI abgeschafft. Ob die gestrige Demonstration mehr als die Bilder von Verletzten und Verhafteten sowie brennenden Fahrzeugen, von verschossenen Tränengasgranaten und herumliegenden Steinbrocken hinterlässt, ist eher zweifelhaft.

Der Startschuss für anhaltende Proteste gegen die Politik von Javier Milei ist sie nicht. Nach wie vor steht die Unterstützung von Mileis Politik auf einer breiten gesellschaftlichen Basis. Auch wenn Erinnerungen an den Gewaltausbruch im Dezember 2017 gegen eine damals im Kongress beratene Rentenreform wach wurden, der kein sozialer Aufstand folgte.

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