Proteste im Dannenröder Wald: Journalist soll Räumung bezahlen
Ein Journalist soll der Polizei Geld zahlen, weil sie ihn aus einem Baumhaus im Dannenröder Wald geräumt hat. Nun klagt er dagegen.
Ein freier Journalist soll mehr als 1.200 Euro für polizeiliche Räumungen im Dannenröder Wald bezahlen. Der freie Fotograf und Dokumentarfilmer David Klammer, 50, arbeitet unter anderem für journalistische Medien wie Spiegel, Zeit, Stern und auch für die taz. Von September bis Dezember 2020 drehte Klammer auf den Baumhäusern im Dannenröder Wald, auch während Räumungen durch die Polizei.
Klammer hat nun zwei Kostenbescheide vom Hessischen Polizeipräsidium für Technik in Wiesbaden erhalten. Darin werden ihm für zwei Räumungseinsätze im Dezember 2020 einmal 793,46 und einmal 442,70 Euro berechnet. Klammer sieht sich jedoch nicht in der Pflicht. „Ich habe mich deutlich als Pressevertreter zu erkennen gegeben“, sagt Klammer der taz, „und zu jeder Zeit mit den Einsatzkräften kooperiert.“
Der Dannenröder Wald in Hessen war zwischen 2019 und Ende 2020 von Umwelt- und Klimaaktivist*innen besetzt. Sie wollten Baumfällungen für den Bau der Autobahn A49 verhindern. Ab 1. Oktober 2020 wurde das fragliche Areal vom Forstamt zum Sperrgebiet erklärt. In den folgenden Wochen wurden die Waldbesetzer*innen durch Mannschaften der Kletterpolizei geräumt.
David Klammer hat in seinem Dokumentarfilm die letzten Tage der Waldbesetzung festgehalten. Der Film, den Klammer in Eigeninitiative erstellt hat, soll im Herbst auf einem Filmfestival Premiere haben. Zwischen Klammer und der Polizei besteht nun Streit darüber, ob er sich als Dokumentarfilmer im Sperrgebiet nach eigenem Ermessen frei bewegen durfte, oder ob er sich dabei an Vorgaben der Polizei hätte halten müssen.
Im Einverständnis mit Einsatzkräften
Klammers Film, den die taz einsehen konnte, zeichnet sich durch besondere Nähe zu den Aktivist*innen aus. Dafür drehte Klammer mehrfach auf Baumhausstrukturen in luftigen Höhen – auch während Räumungen im Gange waren. Die Polizei wirft ihm vor, sich durch seinen unerlaubten Aufenthalt auf den Baumhäusern in Gefahr gebracht und damit die fachgerechte Bergung seiner Person nötig gemacht zu haben. Somit wäre er nach dem hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HGSO) haftbar, ebenso wie die Aktivist*innen. Die Frage ist, ob das Gesetz für Journalist*innen, die Zeitgeschehen dokumentieren, angewendet werden muss. David Klammer jedenfalls hat gegen die Kostenbescheide Klage beim Verwaltungsgericht Wiesbaden eingereicht.
Die Polizei bezieht sich auf zwei Ereignisse am 3. und 4. Dezember 2020. An beiden Tagen filmt Klammer das Räumungsgeschehen im „Danni“ von Baumhäusern aus. In beiden Fällen wurde er von der Polizei nach unten eskortiert. Die Einsatzkräfte sind verpflichtet, sämtliche Personen auf den Baumhäusern speziell gesichert herunterzulassen. Beim ersten Fall, am 3. Dezember, geschieht das mittels einer Hebebühne von einem mit 4 bis 5 Metern Höhe vergleichsweise niedrigen Baumhaus. Am folgenden Tag lassen die polizeilichen Einsatzkräfte Klammer an einer Seilwinde von einem 25 Meter hohen Baumhaus herunter.
Klammers Angaben zufolge hat er sich an beiden Tagen deutlich als Pressevertreter zu erkennen gegeben. Er habe den Einsatzkräften dies zugerufen, sobald sie in Hörweite gewesen seien. Bei der Aufnahme der Personendaten im Anschluss habe er jeweils seinen Presseausweis vorgezeigt. Zudem habe er am zweiten Tag morgens bei der Polizeidienststelle in Gießen angerufen und dem Beamten am Telefon das Baumhaus durchgegeben, auf dem er sich befand. David Klammer sagt weiter, er habe sich immer im gegenseitigen Einverständnis mit den Einsatzkräften empfunden.
„Ich bin kein Aktivist“
Er habe einige Tage vor den genannten Fällen schon mal bei einer Räumung gefilmt und dies mit Beamt*innen des Einsatzkommandos abgesprochen. Er sei von diesen als Pressevertreter mit Respekt behandelt. Das SEK habe ihn sogar als Letzten heruntergelassen, damit er den Einsatz von oben habe filmen können. Klammers Filmmaterial zeigt Szenen, in denen Polizisten die Anwesenheit der Kamera während der Räumung auf einem Baumhaus offenbar akzeptieren und sogar teils in Richtung der Kamera sprechen.
„Ich bin kein Aktivist“, sagt Klammer der taz. „Ich habe als Dokumentarfilmer kein Interesse daran, die Arbeit der Polizei zu behindern.“
Das Hessische Polizeipräsidium für Technik in Wiesbaden möchte nicht zum konkreten Fall äußern, mit Verweis auf die Klage, die Klammer eingereicht hat. Im Statement an die taz heißt es aber, es sei vor Ort stets der Hinweis erfolgt, dass eine Bergung aus dem Gefahrenbereich Kostenforderungen zur Folge haben könnten. „Darüber hinaus ist der hessischen Polizei kein Fall einer erfolgten Bergung bekannt, in der sich die betroffene Person im Vorfeld gegenüber den Einsatzkräften klar als Journalistin oder Journalist zu erkennen gegeben hätte.“
„Extra abgesteckte Räume“
Dass Klammer also, wie er angibt, im Einverständnis mit den Beamten filmte, telefonisch seinen Standort durchgab, durch rufen auf sich Aufmerksam machte und seinen Presseausweis zeigte, darüber will die Polizei keine Aufzeichnungen haben. Grundsätzlich sei jeder Aufenthalt im betreffenden Bereich zum fraglichen Zeitpunkt eine Ordnungswidrigkeit gewesen, heißt es weiter vom Polizeipräsidium. Dennoch sei es nach vorheriger Anfrage Pressevertreter*innen möglich gewesen, in polizeilicher Begleitung Zugang zum Rodungsgebiet zu erhalten. Für ein sicheres Arbeiten der Journalisten habe man „extra abgesteckte Räume für ihren geschützten Aufenthalt“ zur Verfügung gestellt.
Lutz Fischmann, Geschäftsführer des Berufsverbands Freelens für freie Fotojournalist*innen, sieht das kritisch. „Fotojournalisten und Filmer sind darauf angewiesen, nah am Geschehen zu arbeiten – ansonsten können sie nicht berichten.“ Freelens unterstützt Klammer finanziell bei seiner Klage gegen die hessische Polizei. Es dürfe nicht sein, dass die Polizei wahllos „sichere Bereiche“ definiere. „Das ist mit der Pressefreiheit unvereinbar.“ Klammer sei auf eigenes Risiko hochgeklettert, habe keine Dritten gefährdet. „Es mag Ausnahmen der Einschränkung der Berichterstattung geben, wie zum Beispiel bei einer Bombenentschärfung, et cetera“, sagt Fischmann, „aber die lagen hier nicht vor.“
Ebenfalls problematisch findet das Vorgehen der Polizei der Landtagsabgeordnete und innenpolitische Sprecher der Linken-Fraktion in Hessen, Torsten Felstehausen. „Unabhängiger Journalismus muss mehr tun, als bloß die Sichtweise der Polizei unreflektiert zu übernehmen“, sagt Felstehausen, der selbst von Oktober bis Dezember 2020 regelmäßig als parlamentarischer Beobachter im Danni war. „Um das Einsatzgeschehen unabhängig zu dokumentieren, braucht es daher auch andere Formen der Berichterstattung – also auch die, die in 25 Metern Höhe ins Baumhaus klettert.“
Ein Film als Zeitdokument
Die Linken-Fraktion im hessischen Landtag hat eine kleine Anfrage gestellt, unter anderem um herauszufinden, ob mehr Journalist*innen wie Klammer Einsätze berechnet worden sind. „Kein verantwortungsvoller Journalist wird Einsatzkräften mutwillig zwischen den Füßen herumstolpern“, sagt Felstehausen. „Und das ist ja hier auch nicht der Vorwurf. Vielmehr hat die Polizei eine Räumung vorgenommen und schickt nun einem unbeteiligten Journalisten dafür die Rechnung. Damit ist die Polizei zu weit gegangen.“
Im Oktober soll Klammers Dokumentarfilm „Barrikaden“ erstmals gezeigt werden. Wo und wann, dazu äußert sich Klammer bisher nicht. Aufgrund der Nähe des Filmers zu den Aktivist*innen und seiner zurückhaltenden Anwesenheit bei den Räumungen wird der Film ein Zeitdokument sein. Eines, das von abgesteckten Sicherheitsbereichen aus so wohl nicht entstanden wäre.
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