Proteste gegen die Justizreform in Polen: Die Demontage des Rechtssystems
Die Justizreform bringt alle Gerichte unter Kontrolle der PiS. Demonstrierende fordern freie Gerichte. Einige wenige Richter wehren sich.
Als die Präsidentin des Obersten Gerichts Małgorzata Gersdorf vor dem Gericht erscheint, jubeln ihr die Menschen zu „Dziekujemy! Wir danken Ihnen!“. Denn Gersdorf erscheint zur Arbeit. Dabei ist es der erste Tag ihrer Zwangsrente, in die sie die regierende nationalpopulistische Recht und Gerechtigkeit (PiS) und der ihr nahestehende Präsident Andrzej Duda schicken wollen. Gersdorf betritt offiziell ihren Arbeitsplatz und kommt gleich wieder aus dem Gerichtsgebäude, um eine Ansprache an alle zu halten, die ihr solidarisch den Rücken stärken.
„Ich mische mich nicht in die Politik ein“, so Gersdorf. „Ich bin hier, um die Rechtstaatlichkeit in Polen zu beschützen und die Grenze zwischen der Verfassung und dem Verstoß gegen die Verfassung aufzeigen“. Menschen könnten Fehler begehen, auch Politiker. Deshalb sei die Verfassung als Grundordnung der polnischen Demokratie so wichtig. Alle Polen hätten dieser 1997 verabschiedeten Verfassung in einem Referendum zugestimmt. Die gerade regierenden Politiker könnten natürlich Reformen des Gerichtswesens beschließen, doch dürften sie die vom Souverän sanktionierte Verfassung nicht verletzen.
Das Grundgesetz Polens regele in Artikel 183 ganz klar, dass die Amtszeit der Präsidentin des Obersten Gerichts sechs Jahre beträgt und unabhängig vom erreichten Alter ist. „Ich fühle mich der polnischen Verfassung und ihrer in der Präambel verankerten Werte verpflichtet“, so Gersdorf. Sie werde daher ihr Amt bis zum Jahr 2020 ausüben. Am Tag zuvor hatte sie den Richter Józef Iwulski zu ihrem Stellvertreter ernannt, der ihre Urlaubsvertretung übernehmen solle. Denn schon am Donnerstag will Gersdorf einen längeren Urlaub antreten, auch um weiteren Konflikten mit der Regierungspartei aus dem Weg zu gehen.
Präsident Andrzej Duda ernannte Iwulski zum Nachfolger von Gersdorf, obwohl dieser sogar noch älter als Gersdorf ist und nicht um eine Verlängerung seiner Amtszeit beim Präsidenten gebeten hatte. Damit stellt er sich gegen das neue Rentengesetz für Richter am Obersten Gericht: Es senkt ihre aktive Lebensarbeitszeit auf 65 Jahre ab, obwohl die Richter eigentlich erst mit Erreichen des siebzigsten Lebensjahres aus dem Dienst ausscheiden sollten. Auf diese Art und Weise kann sich die PiS rund 40 Prozent aller Richter am Obersten Gericht auf einen Schlag entledigen und Richter berufen lassen, die der PiS loyal sind. Der Landesjustizrat, den die Partei allerdings auch schon unter ihre Kontrolle gebracht hat, nimmt die Berufungen vor.
Die „Reform“ des polnischen Gerichtswesens begann mit dem Verfassungstribunal, dessen Richter ebenfalls in einem gezielt chaotischen Verfahren entmachtet wurden. Sie ging über die ordentlichen Gerichte weiter sowie auch den Landesjustizrat, der die Richter an allen Gerichten ernennt und schließt nun mit dem Berufungsgericht zweiter Instanz, dem Obersten Gericht. Damit ist die Demontage des polnischen Rechtssystems abgeschlossen, wie Kritiker der PiS-Regierung monieren. Als nächstes will sich die PiS das Wahlrecht vornehmen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft