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Proteste gegen KürzungenKürzungen, die Leben kosten

Vor dem Abgeordnetenhaus protestieren Berliner Frauenvereine gegen geplante Sparmaßnahmen. Sie warnen: weniger Geld bedeutet weniger Schutz.

Empfangskomitee des Widerstands: Frauenprojekte protestieren vor dem Abgeordnetenhaus Foto: Gabrielle Meton

Auf dem Vorplatz des Abgeordnetenhauses ertönt die Melodie von „Bella Ciao“. Etwa dreißig Frauen stimmen ein feministisches Cover der revolutionären Hymne an. Vor ihnen liegen ein Bettgestell, eine rosa angemalte Flagge gegen das Patriarchat sowie Stühle, an denen Plakate befestigt sind: Eine Art Empfangskomitee für ihre Kol­le­g*in­nen aus Frauenvereinen, die noch im Publikum der am Donnerstag stattfindenen Ausschusssitzung zum Haushalt 2026/2027 für Bildung, Jugend und Familie sitzen.

An den Stühlen hängen Plakate mit Zahlen: 486 steht für die Anzahl der fehlenden Plätze in Berliner Frauenhäusern. 29: Die Anzahl der Frauen, die 2024 in Berlin von ihrem (Ex-)Partner ermordet wurden. 4 bis 6 Wochen: die Wartezeit für einen Beratungsplatz. Und schließlich die Zahl, gegen die die De­mons­tran­t*in­nen heute protestieren: 2,5 Millionen Euro Kürzungen.

„Im Vergleich zu 2025 bedeutet dies eine Kürzung des Budgets für unser Frauenhaus von bis zu 5 Prozent“, sagt Lenou Müssig. Sie arbeitet im Frauenhaus Cocon. Die 53 Plätze seien ständig belegt, berichtet sie. Sobald einer frei wird, sei die Telefonleitung mit Anrufen überlastet, von Menschen, die versuchen einen Platz zu bekommen.

Das Haus arbeitet bereits mit weniger Mitarbeitenden, als es die Frauenhaus-Koordination empfiehlt. Für das Frauenhaus Cocon bedeuten die Kürzungen, dass sie zudem auf Über­set­ze­r*in­nen verzichten müssen, weniger Fortbildungen für ihre Mit­ar­bei­te­r:in­nen anbieten können und weniger Mittel für Anschaffungen haben.

In der Menge stehen drei Mitarbeiterinnen einer Beratungsstelle, Lena, Semiha und Claudia. Sie sorgen sich um einen „Rückschritt“ durch die Kürzungen. Im Januar dieses Jahres versprach das Gewaltshilfegesetz mehr Schutzplätze und Beratungsstellen. Dennoch müssten sie Betroffenen manchmal Beratungstermine mit einer Wartezeit von zwei bis drei Wochen anbieten. Zudem bedeuten die bevorstehenden Kürzungen Personalabbau und die Streichung von Projekten wie der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG)-Hotline.

Zukunftslose Politik

Zwischen 700 und 900 Menschen pro Monat – davon die Hälfte Betroffene – rufen die Hotline des Vereins an, um Beratung, Zufluchtsmöglichkeiten und Hilfe zu erhalten, erklärt eine Sprecherin der BIG e.V. Die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit wird mit den geplanten Kürzungen nicht mehr möglich sein. Ebensowenig wie ihre Präventionsarbeit gegen häusliche Gewalt in Schulen. Dabei ist die Warteliste mit einem Schulbesuch pro Monat ein Jahr im Voraus voll.

Als die Koordinatorin der BIG-Hotline, Sama Zavaree, aus dem Abgeordnetenhaus herauskommt, sagt sie: „Ich bin wütend, traurig und frustriert.“ Sie protestiere gegen „Kürzungen, die Leben kosten“ und gegen „eine Politik, die keine Zukunft bietet“.

Den Vereinsmitgliedern wurden am Eingang des Gebäudes gleich zu Beginn der Sitzung ihre Transparente, Schriften und Plakate weggenommen. Ihnen seien mehrfach strafrechtliche Konsequenzen angedroht worden, wenn sie ihren Unmut äußern sollten. Die rund 30 Vertreterinnen von Vereinigungen gegen Gewalt an Frauen wurden in Fünfergruppen bis zur Tür des Saals begleitet, berichtet Zavaree. „Es hat uns dann gereicht, der CDU und der SPD nur zuzuhören“, sagt sie. „Wir wollten nichts Strafwidriges machen, sondern auf uns aufmerksam machen und zeigen, dass wir ihre Entscheidungen beobachten.“

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