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Proteste gegen Kürzungen in BerlinUmverteilung statt Konkurrenz

Am Freitag demonstriert das Unkürzbar-Bündnis gegen den Haushaltsentwurf. Der Senat setzt falsche Prioritäten, kritisieren die Ak­ti­vis­t:in­nen.

Schon im vergangenen Jahr protestierten So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen unter dem Label „Unkürzbar“ gegen die Sparpläne Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Kürzungen müssen nicht immer etwas Schlechtes sein. Dieser Meinung sind zumindest die Ak­ti­vis­t:in­nen der Initiative Görli 24/7. Auf einem Mobi-Plakat im Stil des beliebten Geschenkartikelherstellers Sheepworld machen sie zahlreiche Vorschläge, wo der Senat den Rotstift ansetzen könnte. „Görli-Zaun: kürzbar. Olympiabewerbung: kürzbar. Kotti-Wache: kürzbar“ – das sind nur einige der konstruktiven haushaltspolitischen Vorschläge der Initiative.

Mit dem Plakat rufen die Zaun­bau­geg­ne­r:in­nen zur Großdemo des Unkürzbar-Bündnisses auf, das am Freitag vor dem Berliner Abgeordnetenhaus gegen den Entwurf des Doppelhaushalts 2026/27 protestiert. Denn trotz Rekordsumme und aufgeweichter Schuldenbremse drohen auch in den kommenden Jahren massive Einschnitte in der sozialen Infrastruktur.

Anstatt jedes Mal um den Fortbestand einzelner Projekte zu kämpfen, will das Bündnis eine gesellschaftlich breite Protestbewegung gegen die Sparpolitik werden.

Haushaltsproteste

Kürzungen Der Doppelhaushalt 2026/27 schreibt die Kürzungen der Vorgängerjahre 2024/25 fort. Am stärksten kürzt der Senat bei Verkehr und Klimaschutz, dicht gefolgt vom Kulturbereich. Die soziale Infrastruktur leidet überproportional, da viele Angebote, wie Suchthilfen und psychosoziale Angebote, projektfinanziert sind und oft als Erstes gekürzt werden. Das Abgeordnetenhaus entscheidet Mitte Dezember über den Entwurf.

Die Demo Unkürzbar ist ein Bündnis aus Einzelpersonen, politischen und zivilgesellschaftlichen Gruppen. Der Protest startet am Freitag um 14 Uhr vor dem Abgeordnetenhaus in der Niederkirchnerstraße 5. (taz)

Eine Frage der Prioritäten

„Kürzungen sind kein Naturgesetz, sondern eine politische Entscheidung“, sagt Paula Wolfhardt, Pressesprecherin des Bündnisses. Es sei auffällig, dass im aktuellen Haushaltsentwurf vor allem in den Bereichen Kultur, Bildung und Sozialprojekten gekürzt würde. „Wir lehnen ab, dass uns soziale Infrastruktur als Privileg verkauft wird, auf das man in Krisenzeiten verzichten müsse. Soziale Teilhabe ist ein Grundrecht, das uns allen zusteht.“

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Der Haushaltsentwurf stellt mit einem Volumen von jeweils über 44 Milliarden Euro pro Jahr einen Rekord auf. Doch die zahlreichen Kürzungen, um die im letzten Doppelhaushalt erbittert gestritten worden sind, bleiben bestehen. Verantwortlich dafür sind die stark gestiegenen verpflichtenden Haushaltsposten für Löhne, Mieten und Sozialleistungen, die das Parlament nicht einfach streichen kann.

Damit sinkt der finanzielle Spielraum, mit dem die schwarz-rote Landesregierung selbst haushaltspolitische Akzente setzen kann. Daran ändert auch die Reform der Schuldenbremse nichts, durch die Berlin in den beiden Haushaltsjahren über 1 Milliarde Euro an zusätzlichen Schulden aufnehmen darf.

Wo die Prioritäten beim schwarz-roten Senat liegen, wird im Görlitzer Park deutlich. So soll das Erfolgsprojekt der Parkläufer dem Rotstift zum Opfer fallen. Mit grünen T-Shirts ausgestattet, sorgten die freundlichen Parkran­ge­r:in­nen für Frieden zwischen Besucher:innen, Dea­le­r:in­nen und Polizei. Das Projekt hatte seinen Ursprung im Görlitzer Park und wurde berlinweit kopiert. Jetzt soll es ersatzlos gekürzt werden. 6 Millionen Euro sollen dadurch gespart werden.

Kein Geld für Sozialarbeit

Auch sozialarbeiterische Projekte, die die Folgen der Drogenepidemie eindämmen sollen, werden eingestampft. So soll etwa das „Peer-Projekt“ Drogenhilfe Fixpunkt, bei dem Süchtige zusammen mit So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen Konsummaterialien einsammeln, nicht fortgesetzt werden.

An den Plänen für den Bau des Zaunes um den Park, mitsamt KI-Videoüberwachung und Flutlicht, hält der Senat jedoch fest. „Man muss die Kürzungen im Kontext einer gesellschaftlichen Entwicklung sehen“, sagt David Kiefer von der An­woh­ne­r:in­nen­in­itia­ti­ve Wrangelkiez United, „weg von sozialen Hilfen und hin zu Law and Order.“

Während die 1,7 Millionen Euro, mit denen der Görli-Zaun zu Buche schlägt, haushaltspolitisch eher Peanuts sind, identifiziert eine von der finanzpolitischen Nichtregierungsorganisation Fiscal Future im September veröffentlichte Studie zahlreiche Prestigeprojekte mit zweifelhaftem Nutzen.

Da wären die Countdown-Ampeln, die aus fachlicher Sicht keinen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten, aber Kosten in Höhe von 50 Millionen Euro verursachen. Oder die Olympischen Spiele: Allein die Bewerbung kostet das Land 6 Millionen Euro. Sollte Berlin den Zuschlag bekommen, schätzt die Finanzverwaltung die Kosten auf 16 Milliarden Euro.

Ran an den Bund

Doch Finanzexperte Carl Mühlbach von Fiscal Future warnt davor, einzelne Haushaltsposten gegeneinander auszuspielen: „Ich bin dafür, alles zu finanzieren, was sinnvoll ist.“ Gerade bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie dem öffentlichen Nahverkehr und der sozialen Infrastruktur, zahle sich jeder investierte Euro wieder aus. Es führe daher kein Weg herum, die Einnahmen des Landes zu stärken. Viele Maßnahmen ließe Berlin ungenutzt.

„Berlin könnte den Steuervollzug stärken“, schlägt Mühlbach vor. Jährlich entgingen Berlin 873 Millionen Euro an nicht gezahlten Steuern, gleichzeitig mangelt es an den Finanzämtern an Personal. Jeder zusätzliche Betriebsprüfer bringe laut der Fiscal-Future-Studie 1,68 Millionen Euro Mehreinnahmen. Auch simple Maßnahmen, wie die Erhöhung der Zweitwohnsitzsteuer von 15 auf 20 Prozent, würden 10 Millionen mehr an Einnahmen bringen.

Doch die größten Potenziale schlummern auf Bundesebene. So werden Vermögen in Deutschland kaum besteuert. Eine Reaktivierung der Vermögensteuer könnte dem Land Berlin Milliarden bringen, da sie vollständig den Bundesländern zugutekommt.

„Deutschland ist eines der Länder, in denen Vermögen am wenigsten besteuert werden“, sagt Mühlbach. Es wäre ein „Armutszeugnis für die Landesregierung“, wenn sie sich nicht im Bundestag für eine Wiedereinsetzung starkmachen würde. Allzu oft mache es sich die Landesregierung zu einfach, in dem sie auf die Bundesebene verweist, kritisiert der Finanzexperte.

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1 Kommentar

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  • "Es wäre ein „Armutszeugnis für die Landesregierung“, wenn sie sich nicht im Bundestag für eine Wiedereinsetzung starkmachen würde. Allzu oft mache es sich die Landesregierung zu einfach, in dem sie auf die Bundesebene verweist, kritisiert der Finanzexperte."



    Aber genau das macht Herr Mühlbach doch auch, er verweist auf die Bundesebene und macht es sich damit genauso einfach. Ähnlich unfair meines Erachtens Linke/Grüne: Sie kritisieren die Kürzungen empört und führen ungenutzte Einnahmemöglichkeiten oder alternative Prioritäten an, verschweigen aber, dass diese Vorschläge der Geldnot in der Summe kaum wirklich abhelfen. Da man das anscheinend selbst weiß, werden Steuerreformen im Bund angemahnt, obwohl der Senat das nicht beeinflussen kann. Falls Grüne/Linke demnächst in Regierungsverantwortung kommen, wird ihnen das auf die Füße fallen, nämlich wenn sich zeigt, dass auch sie die fehlenden Mittel nicht en gros herbeizaubern können. Berechtigte Kritik am Senat soll sein, aber bitte nur in dem Empörungsrahmen, in dem man das Problem auf Landesebene (!) lösen könnte.