Proteste gegen AKW-Pläne: "Wie nichts Gutes manipuliert"
Umweltschützer und Opposition halten die Energiestudie der Bundesregierung für ein Gefälligkeitsgutachten. Jetzt planen sie Proteste gegen die Laufzeitverlängerung.
BERLIN taz | Atomkraftgegner rufen für den 18. September zu einer Großdemonstration in Berlin auf. Binnen weniger Tage hatten bis Dienstag gut 5.200 Personen den Appell "Demokratischer Rechtsstaat oder Atomstaat - Aufruf für den Ausstieg aus der Atomenergie und zur Verteidigung der Demokratie" unterzeichnet. Ihn hat das Institut Solidarische Moderne initiiert, ein parteiübergreifender linker Thinktank.
Nach dem aktuellen ZDF-Politbarometer ist gut jeder Zweite in Deutschland dagegen, dass die Atomkraftwerke länger laufen als bisher geplant - und damit gegen die schwarz-gelbe Energiepolitik.
Die Regierung will die Reaktoren länger am Netz lassen, zehn bis 15 Jahre seien "fachlich vernünftig", hat die Kanzlerin gesagt. Sie will vermitteln, dass es eine wissenschaftliche Basis in der Atomdebatte gibt.
Bisher verlief die Energiedebatte zu einseitig, vor allem zu männlich - findet das Institut Solidarische Moderne. Es ist erst wenige Tage her, dass 40 Männer in einem "energiepolitischen Appell" geschrieben haben, Deutschland könne auf Kohle und Atomenergie nicht verzichten. Diese PR-Kampagne wurde von den vier Atomstromkonzernen - RWE und Eon, Vattenfall und EnBW - finanziert und sollte die Bundesregierung unter Druck setzen. Der parteiübergreifende linke Thinktank Solidarische Moderne setzt dem jetzt eine eigene Initiative entgegen: "Demokratischer Rechtsstaat oder Atomstaat - Aufruf für den Ausstieg aus der Atomenergie und zur Verteidigung der Demokratie". Die ersten Unterschriften stammen allesamt von Frauen. Darunter Politikerinnen wie Andrea Ypsilanti (SPD) oder Petra Pau (Linke). Gewerkschafterinnen, Forscherinnen, Krankenschwestern und Umweltschützerinnen sind genauso dabei. (hg)
Sie bezieht sich auf "Energieszenarien für ein Energiekonzept der Bundesregierung", das lang erwartete Gutachten im Auftrag von Bundeswirtschafts- und Umweltministerium. Doch einen Tag nach Veröffentlichung, also nach genauer Durchsicht der von drei Instituten vorgelegten Datenkolonnen, fühlen sich Atomgegner bestätigt: Mit objektiver Erkenntnis hat der Ausstieg aus dem Atomausstieg nichts zu tun.
Die Vizechefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Bärbel Höhn, spricht vom "unseriösen, atomfreundlichen Gefälligkeitsgutachten". SPD-Umweltpolitiker Matthias Miersch hält die Studie für "nahezu frei interpretierbar".
Linke-Chefin Gesine Lötzsch fordert, dass der Bundesrechnungshof, die "Ordnungsmäßigkeit" der mit Steuergeldern finanzierten Studie prüft. Denn sie zweifelt an der "Neutralität der Forscher" - und will klar stellen: "Die Aussagekraft des Gutachtens ist eingeschränkt."
Ein am Gutachten beteiligtes Institut wird mit Millionensummen von den Atomkonzernen RWE und Eon unterstützt. Die Ergebnisse beeinflusse das nicht, hat zwar die Regierung erklärt, die Opposition aber hat daran Zweifel. Genau wie Andree Böhling, Energieexperte bei Greenpeace.
Die Forscher haben in neun Szenarien verschiedene Laufzeitverlängerungen durchgespielt. Böhling: "Dabei ist wie nichts Gutes getrickst und manipuliert worden." Brisant: In dem Szenario, in dem es keine Laufzeitverlängerung gibt, veranschlagen die Gutachter weniger Maßnahmen für Klimaschutz oder den Ausbau der Windkraft als in allen anderen Szenarien.
"Ohnehin legen die Forscher in ihren Szenarien so viele fragwürdige Annahmen zugrunde, dass die Ergebnisse kaum als wissenschaftlich objektiv bewertet werden können", sagt Böhling.
Tatsächlich sinkt der Energieverbrauch der privaten Haushalte zwischen 2008 und 2050 zum Beispiel mal um 49 Prozent, mal nur um 45 Prozent. "Das ist fachlich nicht nachvollziehbar", sagt Böhling, "verzerrt aber das Ergebnis zugunsten der Atomkraft, die die Bürger nicht wollen."
Es seien die mit den Auftraggebern abgestimmten Annahmen gewesen, erklärte die Sprecherin der Wissenschaftler. Die Regierung will sich bis Ende September auf ein Energiekonzept für die nächsten 40 Jahre einigen.
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