Tania Martini
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: Wenn Linke sich um Deutschland sorgen

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Teile der politischen Linken überraschen neuerdings mit der Sorge um Deutschlands Ansehen in der Welt. In den USA und Großbritannien, im sogenannten Globalen Süden sowieso, verstünde man den deutschen anti-antisemitischen Diskurs nicht. Deutschland provinzialisierte sich selbst, heißt es bezüglich der deutschen Staatsraison oder wenn Judith Butler für ihre Aussage kritisiert wird, die Hamas sei keine Terror-, sondern eine Widerstandsgruppe – eine Meinung, die sie mit ­Recep Tayyip Erdoğan teilt.

Muss im Umkehrschluss also angenommen werden, der Nahostdiskurs in New York und London habe als vorbildlich zu gelten? Und sind die Ereignisse in New York von letzter Woche jenen Sorgenden zufolge das Gegenteil der so called deutschen „Diskursverengung“?

Die Rede ist hier von den Auseinandersetzungen an der New Yorker Columbia University, die so aus dem Ruder liefen, dass die Universität ihren Betrieb nur noch online weiterführt. Dort hatten studentische Aktivisten jüdischen Studierenden den Zugang zum Campus verwehrt und die Qassam-Brigaden herbeigesehnt – die militärische Unterorganisation der Hamas, die Israel auslöschen möchte. Camps wurden errichtet, Menschenketten gebildet, die „Community“ vor Zionisten „geschützt“. Geht so Kritik an der israelischen Kriegsführung in Gaza? Ist das eine Kritik an der rechten Netanjahu-Regierung? Sind Raketen auf Tel Aviv, von Sprechchören gefeiert, vereinbar mit der Forderung nach Waffenstillstand? „Burn Tel Aviv to the ground, ya Hamas we love you, we support your rockets too!“

Eine Differenzierung zwischen Zionisten und Juden wäre die Minimalvoraussetzung, um den derzeit oft formulierten Vorwurf, der Anti­se­mi­tis­mus­verdacht werde inflationär ausgesprochen und Antisemitismus damit verharmlost, ernst zu nehmen. Aber: Unterscheiden denn die „Free Palestine“-Krakeeler an dieser Stelle? „Yahoodim, yahoodi, fuck you“, hieß es in New York. Zurück nach Polen sollen sie gehen, die Juden. Dort würden sie herkommen. Ein Video zeigt, wie jüdische Studierende unter diesen Rufen bedrängt werden.

Eine andere, die in New York erfolgreich Proteste anführt, ist die Schauspielerin Susan Sarandon. Der Ansatz der Pazifistin und Feministin? Die Verbrechen des 7. Oktober zu leugnen: „All of those myths about babys in ovens and the rapes.“

Zeitgleich in London: Im Guar­dian macht sich die Großnichte eines Hitler-Generals Sorgen über die Diskussion in Deutschland seit dem 7. Oktober, sie sorgt sich, „dass wir, obwohl wir uns ständig auf die Nazi-Vergangenheit berufen, einige wichtige Lehren“ vergessen. Ist es die Sorge darüber, dass es ein von Judenhass geprägtes Klima an den Universitäten gibt? Oder darüber, dass antisemitische Straftaten angestiegen sind?

Nein, die Verbrechen des Onkel Walter „fühlen sich gerade jetzt unangenehm relevant an“, weil Deutschland ungewollt Fehler wiederhole, „die schon einmal gemacht wurden“, gerade weil es „an der Seite Israels“ stehe. Israelis als die Nazis von heute? Und Nazis erkennen Nazis am besten? „Die Vergangenheit meiner Familie und Deutschlands lastet schwer auf mir. Und deshalb liegt mir Gaza so am Herzen“, so der Titel des Textes, der symptomatisch ist für einen bestimmten pseudoantirassistischen Paternalismus voller Verdrehungen und Blindheiten.

Es gibt einen Vortrag Theodor W. Adornos mit dem Titel „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ (1962), der Suhrkamp Verlag hat ihn kürzlich herausgebracht. Er ist nicht Adornos bester Aufsatz, und es geht viel mehr um Judenhass von rechts. Was aber die Rechten nicht exklusiv haben und der Aufsatz sehr gut zeigt: wie viel Entlastung die Deutschen (und andere) doch noch immer erfahren durch die Belastung der Juden.