Protest vor russischer Botschaft in Berlin: Feminismus ist keine Hexerei
Eine russische Aktivistin fordert Toleranz und setzte sich für Sexualaufklärung ein. Nun drohen ihr bis zu sechs Jahren Haft.
Am Mittwoch, dem Tag der Abstimmung über die Änderungen der Verfassung Russlands, wurde vor der russischen Botschaft in Berlin eine Mahnwache für Tsvetkova abgehalten. Viele Protestierende erwarten, dass die geplanten Verfassungsänderungen, die nicht nur die Möglichkeit einer weiteren Amtszeit für den Präsidenten Wladimir Putin, sondern unter anderem das Konzept der Ehe als ausschließliche Verbindung von Mann und Frau festschreiben, die homophobe Atmosphäre in Russland noch verstärken und zu mehr Fälle wie jener von Yulia Tsvetkova führen werden.
Das Strafverfahren wegen angeblicher Pornografie entstand aufgrund von abstrakten Zeichnungen von Vaginas in einer kleinen Gruppe im sozialen Netzwerk “VKontakte“. Yulia Tsvetkova hatte diese Bilder gepostet, damit “die weibliche Physiologie kein Tabu mehr bleibt“.
Tsvetkova wurde aber schon vorher verfolgt und etwa wegen “homosexueller Propaganda unter Minderjährigen“ bestraft. Der Hintergrund: Sie war Administratorin zweier Online-LGBT-Plattformen, die allerdings gemäß russischem Recht mit „18+“ gekennzeichnet waren. Noch früher wurde sie gezwungen, ein von ihr geführtes Jugendamateurtheater zu schließen, mit deren SchauspielerInnen sie ein Stück über Geschlechtsstereotype inszeniert hatte.
“Wie ist es zu diesem Fall gekommen? Einerseits lässt es sich auf Vorurteile und Engstirnigkeit zurückzuführen: Feminismus vergleicht man hier mit Hexerei – und die Rede über Geschlechtsstereotype kann man einfach nicht tolerieren“, sagt Anna Chodyrewa, die Mutter von Yulia Tsvetkova.
„Das mysteriöse Gesetz über ‚Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen‘ hat in diesem Fall eine Rolle gespielt“, fügt Politologin Jekaterina Schulman hinzu. “Außerdem werden solche Fälle wieder passieren, solange es im Strafgesetzbuch vage Normen gibt, die voraussetzen, dass man auf Wunsch jede Darstellung von Menschen als Pornografie bezeichnen kann“, erklärt Schulman.
Von November 2019 bis März 2020 befand sich Tsvetkova unter Hausarrest. Jetzt steht sie unter Reiseverbot in ihrer Heimatstadt Komsomolsk am Amur und wartet auf das Gerichtsurteil. Tsvetkova bekommt neben Unterstützung auch viele Beleidigungen und Bedrohungen von Homophoben und Misogynen, die die Polizei trotz Tsvetkovas Anzeigen offenbar ignoriert.
Am vergangenen Wochenende gab es zahlreiche Mahnwachen in verschiedenen Städten Russlands. In Moskau und Petersburg wurden dutzende Aktivistinnen dabei festgenommen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!