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Protest gegen belgische ReaktorenAKW-Gegner überschreiten Grenzen

Zehntausende aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland demonstrieren mit einer Menschenkette gegen belgische Atommeiler.

Kreativer Protest gegen die Atomreaktoren Foto: reuters

BERLIN taz | Mit einer rund 90 Kilometer langen Menschenkette haben Tausende Atomkraftgegnerinnen und -gegner aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland am Sonntag für eine sofortigen Stilllegung von zwei besonders umstrittenen belgischen Atomreaktoren protestiert. Auf der Strecke, die vom Atomkraftwerk Tihange durch die belgische Stadt Lüttich, die niederländische Stadt Maastricht hin zur deutschen Grenzstadt Aachen führte, hatten sich nach Angaben der Veranstalter im Vorfeld über 30.000 Menschen angemeldet – am Ende sollen es rund 50.000 TeilnehmerInnen gewesen sein.

„Das ist ein riesiger Erfolg“, sagte Jochen Stay von der Anti-Atom-Organisation „Ausgestrahlt“. Die Aachener Polizei bestätigte allein für den Abschnitt auf deutschem Gebiet rund 7.000 Teilnehmer. Mit ihrem Protest forderten die Atomkraftgegner und Anwohner die sofortige Abschaltung zwei besonders störanfälliger Reaktoren in Belgien: Tihange 2 und Doel 3. Die Reaktoren sollten ursprünglich bereits im Jahr 2015 vom Netz gehen und wurden in den letzten Jahren aufgrund verschiedener Störfälle immer wieder abgeschaltet, erhielten jedoch dennoch Betriebsgenehmigungen bis mindestens 2022.

Die trinationale Menschenkette vom Sonntag unter dem Titel „Kettenreaktion Tihange“ war vorläufiger Höhepunkt einer neuen Anti-AKW-Mobilisierung, die im Dreiländereck ganz besonderen Zuspruch von institutioneller Seite erhält: Nicht nur klassische Bürgerinitiativen, sondern auch zahlreiche Städte und Gemeinden rufen in der Region vermehrt zu Protesten gegen die belgische Nuklearpolitik auf.

Die Schirmherrschaft für die Aktion vom Sonntag übernahmen der belgische Schauspieler Bouli Lanners, der Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp, der Präsident der Städteregion Aachen, Helmut Etschenberg (beide CDU), und die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Insgesamt riefen rund 100 Städte und Gemeinden zu dem Protest auf. Zudem klagen einige Kommunen in Belgien gegen den Betrieb der umstrittenen Reaktoren.

Ein Akw-Verfechter kommt ins Zweifeln

Auch Nordrhein-Westfalens designierter Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) forderte zur Teilnahme an der Menschenkette auf. Seine Partei war es, die über Jahrzehnte in Deutschland zu den leidenschaftlichsten Verfechtern der Atomkraft zählte.

Nun kündigte Laschet an, die künftige schwarz-gelbe Landesregierung in Nordhein-Westfalen werde sich mit Nachdruck für die Abschaltung der Atomkraftwerke in Tihange und Doel einsetzen – also jenseits der eigenen Landesgrenze. Weiter sagte Laschet: „Wir erwarten, dass auch der Bund stärker als bisher auf die belgische Re­gierung einwirkt und auf eine Stilllegung der Reaktoren dringt.“

Hinter dem Dreiländerprotest steht damit eine grenzüberschreitende, vor allem regional organisierte Initiative aus Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Große deutsche Organisationen wie etwa die niedersächsische Kampagnenorganisation Campact, der BUND oder Greenpeace Deutschland, die in der Vergangenheit häufig eine zentrale Rolle bei der Organisation ähnlich großer Protestaktionen spielten, konzentrieren sich derzeit vor allem auf die Proteste, die zum G-20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg geplant sind.

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3 Kommentare

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  • Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung. Ich hoffe, dass die grenzüberschreitenden Aktionen den notwendigen Druck auf die belgische Atompolitik ausüben und endlich ein Umdenken stattfindet. Es wird höchste Zeit.

  • Man muss dazu mal sagen, dass moderne Kommunikations- und Organisationsmittel sowas ganz erheblich einfacher machen. Ich war heute in Lüttich Teil dieser Kette (und ich bin es leid, dass ich IMMER noch gegen diese Scheisse demonstrieren gehen muss, aber so ist das nun mal) und das war mit sehr wenig Aufwand perfekt organisiert.

     

    Markierte Treffpunkte im Kilometerabstand, einfach zu finden per Smartphone-Karte, man spaziert vom Busparkplatz hin, quatscht ein wenig mit anderen Kettengliedern und mit Anwohnern, verteilt sich dann über die Strecke und bildet zum angekündigten Zeitpunkt eine Kette für 15 Minuten. Dann geht man noch einen Kaffee trinken, die letzten Nachzügler werden per Handy oder WhatsApp zum Bus geordert, wenn alle die Geduld verlieren und dann fährt man wieder nach Hause.

     

    Was war das früher für ein Streß! Und ja, nicht nur amoklaufende Terroristen können sich gut organisieren. Das kann jeder. Ist echt nicht schwer heute.

  • Bitte ändern: belgische Reaktoren (siehe Überschrift). Danke!