Protest gegen Verdrängung in Berlin: Kira çok yüksek – die Miete ist zu hoch

Zum fünften Geburtstag ihres Protesthäuschens am Kottbusser Tor: ein Gespräch mit der Initiative Kotti&Co über die Kraft gemeinsamen Widerstands.

Politik als Großfamilie: vor dem Gecekondu am Kottbusser Tor Foto: Christian Mang

Es ist wie immer am Gecekondu, der kleinen Hütte der Mieterinitiative Kotti & Co am Kottbusser Tor: Bevor es losgehen kann mit dem Gespräch, müssen erst mal wichtigere Dinge geklärt werden. Wer wollte die Flyer in der Admiralstraße verteilen? Möchtest du noch einen Tee? Ist die Liste für das Geburtstagsbuffet schon komplett? Und wie geht es eigentlich der Familie? Am Anfang war das Gecekondu eine Konstruktion aus Holzpaletten und einem Sonnenschirm, über die Jahre ist daraus ein ziemlich professionell gebautes Häuschen geworden. Das passt zu den AktivistInnen, die über die Jahre ebenfalls immer professioneller geworden sind. Und deren Augen trotzdem anfangen zu leuchten, als das Gespräch auf die Anfangszeit des Gecekondu kommt, damals im Mai 2012. Hatice, eine ältere Frau mit Zigarette in der rechten Hand, ergreift als erste das Wort.

Hatice: Ich war von Anfang an dabei. Meine Kinder leben ja auch hier, auch sie müssen hohe Mieten bezahlen. An sie habe ich damals gedacht, an ihre Zukunft.

Neriman, vornehmer Gesichtsausdruck, Fältchen um die Augen, roter Lippenstift, erzählt mit leiser Stimme, die im Quietschen der gerade einfahrenden U1 fast untergeht:

Neriman: „Wir hatten damals schon zwei Mieterhöhungen bekommen, dann kam das dritte Schreiben. Wir mussten etwas tun. Ich wohne seit 47 Jahren hier, ich kann nicht wegziehen.“

Neben Neriman sitzt ihr Mann, der krank ist und dem sie beim Teetrinken hilft; daneben Detlef, Schiebermütze, grauer Bart.

Der neue Senat will Berlins SozialmieterInnen entlasten. Dafür hat die Regierung Anfang des Monats eine Gesetzesänderung ins Abgeordnetenhaus eingebracht. Wichtigster Punkt: Der Mietzuschuss soll künftig gezahlt werden, wenn die Warm- statt wie bisher die Kaltmiete mehr als 30 Prozent des Haushaltseinkommens verschlingt. Ein weiterer Eckpunkt ist die Abschaffung der Möglichkeit rückwirkender Mieterhöhungen.

Das Gesetz ist ein sogenanntes Vorschaltgesetz, mit der die eigentliche Reform im nächsten Jahr vorbereitet werden soll: Die Mieten im sozialen Wohnungsbau sollen sich dann nicht mehr an den hohen Kostenmieten orientieren, sondern mit einkommensabhängigen Obergrenzen gedeckelt werden. An einem ersten Entwurf aus der Senatsverwaltung gab es allerdings viel Kritik, weil die dort festgelegten Obergrenzen für einen Teil der Sozialmieterschaft eine Erhöhung statt Senkung der Mieten bedeuten würde. (mgu)

Detlef: Ich bin erst dazu gekommen, als das Gecekondu aufgebaut wurde, vor fünf Jahren. Über meine Mieterinitiative im Gräfekiez hatte ich Kontakt mit Kotti & Co, dann hieß es: Am 26. Mai, da machen wir was Interessantes. Das klingt nach verboten, dachte ich, das ist was für mich. Ab dann war ich dabei. Das Tolle ist immer noch: Ich komme hier mit Menschen in Kontakt, mit denen ich sonst nie, nie etwas zu tun gehabt hätte.

Außerdem hier: Ulrike, Politikwissenschaftlerin, braune Kurzhaarfrisur, und Sandy, der Grafikdesigner ist und eine eckige Brille trägt: Kotti-&-Co-Mitglieder seit der ersten Stunde.

Ulrike: Am Anfang sind wir zu Mieterberatungen gegangen mit unseren Problemen. Die haben gesagt, im sozialen Wohnungsbau kann man nichts machen, nur ausziehen. Da wurde uns klar: Ratschläge von außen bringen uns nicht weiter. Das war der Moment, in dem Atiye gesagt hat: Lasst uns den Kotti besetzen. Es war die Zeit von Occupy, vom Tahrirplatz in Kairo. Zelte aufzubauen war die Idee – das fanden wir erst mal komisch. (Alle lachen)

Sandy: Dabei war das entscheidend: Ohne das Gecekondu, vor allem auch ohne die ersten intensiven Monate gäbe es die Gruppe heute wohl nicht mehr. Das hallt bis heute nach.

Detlef: In der Anfangszeit war das extrem, da war hier jeden Tag High Life, bis nachts um zwei saßen die türkischen Mütter vor dem Gecekondu. Das ist heute natürlich nicht mehr so. Aber wir haben seitdem alle das Gefühl, uns aufeinander verlassen zu können.

Der Bau von Sozialwohnungen wurde in Berlin jahrzehntelang durch eine öffentlich-private Partnerschaft finanziert: Privatanlegern wurden mit Zuschüssen und Steuervergünstigungen Anreize gesetzt, in den sozialen Wohnungsbau zu investieren. Im Rahmen dieses ersten Förderwegs wurden bis 1997 rund 429.000 Sozialwohnungen gebaut.

Die öffentliche Förderung für den sozialen Wohnungsbau bestand vereinfacht gesagt darin, dass das Land Berlin den Investoren die Differenz zwischen der von den Mietern gezahlten Sozialmiete und der sogenannten Kostenmiete bezahlte, die sich aus den Investionskosten zusammensetzt. Der Haken: Für die Investoren bestand somit ein Anreiz, die Wohnungen möglichst teuer zu bauen, um die Kostenmiete in die Höhe zu treiben.

2003 beschloss Berlin den Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau, seitdem fallen sukzessive Wohnungen aus der Förderung heraus – deren Eigen­tümer können die Miete nun bis zur Kostenmiete erhöhen. Gleichzeitig wurde für tausende Wohnungen die Belegungsbindung aufgehoben, sodass dort nicht mehr nur Menschen mit geringem Einkommen einziehen dürfen.

Heute gibt es in Berlin noch rund 116.000 Sozialwohnungen. 2015 wurde eine Neuförderung für mehrere tausend Wohnungen im Jahr beschlossen. (mgu)

Mieterinitiativen gab es in Berlin vor Kotti & Co schon viele. Dass die Kreuzberger Gruppe, die da am Kottbusser Tor ihr Protestcamp aufbaute, etwas Besonderes ist, wurde trotzdem schon in der Anfangszeit deutlich: Türkisch sprechende Großmütter, gerade hergezogene Studenten, linke Intellektuelle und jugendliche Halbstarke, die gemeinsam erklären, ausgerechnet den Kotti zu lieben?

Detlef: Von Anfang an waren wir sehr interessant für viele Leute, da gab es auch genug die hergekommen sind und uns erklären wollten, wie man Politik macht.

Ulrike: Das waren immer so versuche, uns von außen in ein Kästchen zu stopfen.

Sandy: Es gab welche, die haben sich darüber geärgert, dass wir zu wenig über Kapitalismus geredet haben. Dann haben wir den Studenten erklärt, dass man unseren Nachbarn, die ein Leben lang malocht haben, Kapitalismus nicht erklären muss. Die wissen sehr genau, was es bedeutet, Arbeiter oder Arbeiterin zu sein.

Kira çok yüksek – die Miete ist zu hoch, lautet die einfache Parole der Initiative. Im Zentrum stand von Anfang an die Forderung nach sinkenden Mieten und einer Rekommunalisierung des sozialen Wohnungsbaus, diesem verworrenen Produkt westdeutscher Subventions- und Berliner Ausverkaufspolitik. Das zweite wichtige Thema hier am Kotti: Die Erfahrungen mit Migration und Rassismus.

Sandy: Wir haben von Anfang an gesagt: Wir sind hier in Kreuzberg, und deswegen ist die Geschichte der Migration, sind die Erfahrungen der Gastarbeitergeneration zentral für uns.

Detlef muss los. Hatice hat aufmerksam zugehört, jetzt erzählt sie, was sie vor ein paar Wochen hier am Kotti erlebt hat: Sie und ihre 79-jährige Tante wurden im U-Bahnhof von einer Frau rassistisch beleidigt und angegriffen. Hatice hat Anzeige erstattet, ihre Anwälte helfen ihr, sagt sie. Ihre Anwälte: Damit sind die Anwälte gemeint, die hier im Gecekondu Mietrechts- und Sozialberatungen anbieten, ehrenamtlich.

Sandy: Wir sind eine sehr bunte Gruppe, alle bringen verschiedene Fähigkeiten mit. Eigentlich sind wir von der Struktur her eher eine Großfamilie. Zum Beispiel unsere WhatsApp-Gruppe: Darüber gehen politische Infos, Verabredungen, Glückwünsche zum Muttertag … Das Alltagsweltliche und das Politische, das ist bei uns sehr eng verbunden.

Fatma, kurze Haare, quirlig, hat alle Hände voll zu tun, vorbeikommende Bekannte zu begrüßen, die Liste fürs Buffet weiterzugeben und dafür zu sorgen, dass alle genug Tee haben. Als die Frage aufkommt wie es eigentlich ist, als Initiative so bekannt geworden zu sein, lacht sie: Wie eine berühmte Persönlichkeit fühlt sie sich gerade nicht.

Fatma: Es ist schon schön, dass wir ein Beispiel geworden sind dafür, dass man gemeinsam etwas erreichen kann. Und natürlich ist es auch schmeichelhaft, wenn man hört, Leute in Südamerika kennen Kotti & Co. Aber das Wichtigste ist, das wir mit unserer Problematik hier vor Ort weiterkommen.

Sandy: Das Schönste ist, wenn man sieht, dass man andere Mieterinnen und Mieter ermutigen kann. Das Bild von Kotti & Coist ja, hier kommen ganz unterschiedliche Menschen zusammen, weil sie gemeinsam etwas zum Besseren wenden wollen, und dann handeln sie gemeinsam aus, wie sie das machen. Das ist für mich ein Bild von Demokratie, von Stadtgesellschaft, wie ich sie mir vorstelle.

Neben dem Gecekondu wurden die Lärmdemos zum Ausdruck von Kotti & Co: Mit Topfdeckeln durch den Kiez, kurze Routen, so dass möglichst viele mitmachen können. Die Presse wurde aufmerksam, bald gab es die ersten Einladungen von PolitikerInnen, unzählige Gespräche folgten. Mit dem Mietenvolksentscheid brachte die Gruppe schließlich einen eigenen Gesetzesentwurf ins Rennen. Der darauffolgende Kompromiss zwischen den Initiatoren des Volksentscheids und dem Senat brachte substanzielle Verbesserungen für Sozialmieter, etwa die Zahlung von Mietzuschüssen.

Fatma: Zuerst ging es darum, laut zu sein, uns bemerkbar zu machen. Als wir das geschafft hatten, fing ein großer Teil der Arbeit erst an: Texte lesen, Paragrafen verstehen, unsere Forderungen als Gesetze aufschreiben. Es ist eben so: Die Politik kann nicht von heute auf morgen etwas umsetzen. Wir können das, aber bei ihnen ist es schwieriger: Man sitzt zusammen, diskutiert, protokolliert, dann ist beim nächsten Treffen nur ein Vertreter da, man muss alles noch mal erklären, es dauert und dauert bis zu einer Entscheidung und bis die dann umgesetzt wird noch mal ewig.

Neriman: Am Anfang haben alle gedacht, da schreit so eine Gruppe rum, aber nach ein paar Wochen werden die wieder gehen. Aber dann haben sie gesehen, dass wir nicht nur rumschreien, sondern dass wir ganz klar sagen können, wie man es besser machen kann. Da haben sie Respekt vor uns bekommen, sogar ein bisschen Angst. Das macht mich glücklich. Die Politiker nehmen uns jetzt sehr ernst.

Ulrike: Die nehmen uns ernst und versuchen trotzdem noch, uns zu verarschen. Wenn wir am Anfang gewusst hätten, wie lange es braucht, ein Gesetz zu verändern, hätten wir vielleicht nie angefangen. Oder eben doch, wir hatten ja eh keine Wahl (lacht). Jetzt ist es soweit: Es wird wirklich ein Gesetz geschrieben (siehe Infokasten: Was plant Rot-Rot-Grün?), mit dem die Mieten hier sinken könnten. Aber dann steckt der Teufel im Detail, in jedem kleinen Paragrafen. Wir merken plötzlich: Was die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für eine soziale Miete hält, ist absurd. Wenn wir uns nicht diese ganze Expertise angeeignet hätten, hätten wir nie eine Chance gehabt.

Mit der neuen Landesregierung sind nun auch PolitikerInnen auf die Regierungsbank gewechselt, die jahrelang zu den größten FürsprecherInnen der Initiative zählen, nicht zuletzt die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke). Trotzdem: Zwischen der Landespolitik und der Gruppe gibt es weiterhin Konflikte.

Ulrike: Unser Eindruck ist: Das ist eine Verwaltung, die alle Tricks kennt, um ihre Chefin scheitern zu lassen, die seit Jahren SPD-zugehörig ist, wo die Mieterperspektive keine Rolle spielt. Dafür zu sorgen, dass unsere Forderungen nach sozialverträglichen Mieten da wirklich umgesetzt werden, das ist nach wie vor sehr schwer.

Sandy: Wir wünschen uns da schon auch ein etwas selbstbewussteres Vorgehen gegenüber der Verwaltung, eine klarere Rhetorik von Frau Lompscher.

In den letzten Monaten haben sich an vielen Orten in der Stadt neue Mieterinitiativen gegründet, gleichzeitig wird der Ton rauer: Das private Unternehmen Deutsche Wohnen, gegen die sich ein großer Teil des Widerstands richtet und der auch die Sozialwohnungen am Kottbusser Tor gehören, zeigt bisher keinerlei Dialogbereitschaft.

Fatma: Für uns ist das toll, das gerade so viele neue Mieterinitiativen entstehen, besonders auch gegen die Deutsche Wohnen.

Sandy: Ich denke, es macht sich niemand etwas vor: Wir stehen hier nach wie vor mit dem Rücken zur Wand. In fünf bis zehn Jahren ist es hier mit dem Sozialen Wohnungsbau vorbei, weil die Fristen auslaufen, dann fängt das Schlamassel erst richtig an. Die Frage ist: Wie groß sind die Breschen, die wir mit den Initiativen und der Politik schlagen können, damit noch Luft zum Atmen bleibt? Zumindest haben sich die Bedingungen mit der letzten Wahl etwas verbessert. Vielleicht kommen wir ja doch noch dazu, dass Mieterinnen und Mieter tatsächlich gemeinsam mit der Politik gegen Verdrängung kämpfen können.

Ulrike: Immerhin gibt es jetzt die Chance, dass die Mieten hier wirklich sinken. Wenn das passiert, könnten wir das Gecekondu eigentlich abbauen.

Jetzt reden alle durcheinander: Auf keinen Fall, das geht nicht, wir bauen doch das Gecekondu nicht ab, niemals! Das ist unser kleines Schloss, sagt Neriman und lächelt in die Abendsonne.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.