Protest gegen Taliban in Afghanistan: Erster Widerstand am Hindukusch
Am Nationalfeiertag protestieren Afghanen im ganzen Land gegen die Taliban. Auch bewaffnete Gegenwehr formiert sich. Mit einem Gegenpräsidenten.
Proteste gegen die Taliban gingen am Donnerstag, dem afghanischen Unabhängigkeitstag, weiter. Dabei wurde die bisherige schwarz-rot-grüne Nationalflagge zum zentralen Symbol. Videos in sozialen Medien zeigten, wie eine Autokolonne mit aus den Fenstern hängenden Flaggen mehrmals ein geparktes Talibanfahrzeug in Kabul umkreiste – ohne Reaktion der Taliban.
Die hatten nach ihrer Machtübernahme diese Flaggen unter anderem im Kabuler Präsidentenpalast sofort abgehängt und mit ihrer weißen Flagge ersetzt. Ein weiteres Video, wohl auch aus Kabul, zeigte einen Flaggenprotest zu Fuß, inklusive einer größeren Gruppe von Frauen.
Die Nachrichtenagentur AP berichtete von einer ähnlichen Demonstration in der ostafghanischen Provinzhauptstadt Dschalalabad. Dort sei ein Protestierender durch Schüsse, wohl von patrouillierenden Talibankämpfern, verwundet worden. In der südostafghanischen Provinzhauptstadt Chost hätten die Taliban nach Protesten am Mittwoch für den Unabhängigkeitstag eine 24-stündige Ausgangssperre verhängt. Auch aus der ostafghanischen Provinz Kunar wurden Proteste gemeldet. Solche Berichte lassen sich im Moment jedoch kaum verifizieren.
Am 19. August 1919 unterzeichneten Vertreter Kabuls und der Regierung Britisch-Indiens in Rawalpindi (heute Pakistan) ein Friedensabkommen. Es stellte Afghanistans volle Unabhängigkeit wieder her, nachdem sein damaliger Herrscher knapp drei Jahrzehnte vorher unter starkem politischem und finanziellen Druck die außenpolitische Vertretung an die Briten abtreten musste.
Kampfansage aus dem Pandschirtal
Chost und Dschalalabad waren die beiden letzten Provinzstädte, in die die Taliban kurz vor ihren Machtübernahme in Kabul einrücken konnten. Beide haben stark paschtunisch-nationalistische, gegen die Taliban eingestellte Bevölkerungsteile, vor allem unter der gebildeten Jugend.
Die bisherige Opposition von Ex-Präsidenten Aschraf Ghani sendete Signale, dass sie bewaffneten Widerstand gegen das Taliban-Regime organisieren will. An die Spitze einer Nationalen Widerstandsfront will sich der an der Sandhurst-Akademie ausgebildete Ahmad Massud stellen, der Sohn des 2001 von Al-Qaida-Agenten ermordeten früheren Mudschaheddinführers Ahmad Schah Massud.
Videos in sozialen Medien zeigten Fahrzeugkonvois mit Bewaffneten im Pandschirtal, einer kleinen Provinz nördlich von Kabul, der einzigen, die die Taliban bisher nicht besetzten. Afghanische Quellen berichteten, dass die Taliban Emissäre zu Massud geschickt hätten.
Auch der frühere, ebenfalls aus dem Pandschir stammende Vizepräsident Amrullah Saleh soll sich entweder dort oder im afghanisch-tadschikischen Grenzgebiet aufhalten. Er hatte nach Ghanis Flucht am Dienstag per Tweet Widerstand angekündigt und sich zum „legitimen amtierenden Präsidenten“ des Landes erklärt, da er sich weiter „auf afghanischem Boden“ befinde.
Frauen blockiert
Das Außenministerium der Vereinigten Arabischen Emirate bestätigte inzwischen, dass das Land Ghani „aus humanitären Gründen“ aufgenommen habe. Gerüchten zufolge verweigern die USA Ghani die Einreise, obwohl er zumindest bis vor einigen Jahren die dortige Staatsbürgerschaft besaß. Washington und Ghani hatten sich in den letzten Jahren über die US-Taliban-Separatgespräche zerstritten.
Die Nachrichtenagentur Reuters veröffentlichte gestern ein Gespräch mit einem bisher unbekannten „ranghohen Talibanführer“, namens Wahidullah Hashimi, in dem dieser angebliche offizielle Vorstellungen zur Frauenrechten wie Arbeit, Bildung, Schulbesuch und Kleidung darlegt.
Ihm zufolge solle dies ein Rat islamischer Gelehrter entscheiden. Hohe Talibanführer hatten wiederholt erklärt, dass die Geistlichen in Zukunft eine zentrale Rolle in politischen Entscheidungen spielen würden, etwa über ein Gremium namens Schura-ja Hal-o-Aqd (Problemlösungsrat).
Am Donnerstag teilte die prominente Ansagerin im Staatsfernsehen RTA, Schabnam Dauran, über soziale Medien mit, Taliban hätten sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen nicht mehr an ihren Arbeitsplatz gelassen. Auch der Nachrichtenchef des afghanischen Privatsenders Tolo News, Miraqa Popal, erklärte, eine seiner Kolleginnen sei am Betreten des Senders gehindert worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Wo bleibt der Krisengipfel?
Krieg in der Ukraine
USA will Ukraine Anti-Personen-Minen liefern