Protest gegen Internet-Maut in Ungarn: „Wir wollen eine ehrliche Regierung“
Der ungarische Aktivist Zsolt Varády über fehlende Transparenz, Korruption und den möglichen Anfang einer neuen Oppositionsbewegung.
taz: Herr Varády, war die Demo am Dienstag ein Erfolg?
Zsolt Varády: Ja, es waren viele Leute – eine sehr gemischte Teilnehmerschar. Alles sehr friedlich.
Sie waren ja einer der Redner.
Ja, in meiner Rede habe ich über das Steuersystem und die Korruption gesprochen. Die Gesellschaft fragt sich, warum sie Steuern zahlen soll, wenn die Regierung korrupt ist. Wir wollen eine offene und ehrliche Regierung. Die erste Forderung ist Transparenz: Wir wollen wissen, was, wie und warum geschieht. Zweitens sind wir gegen Korruption. Drittens: Das Steuersystem sollte so beschaffen sein, dass es den Unternehmen das Überleben ermöglicht. Derzeit ist es schwierig.
Aber viele Leute gingen wegen der Internetsteuer auf die Straße, oder?
Die meisten Zeitungen sind voll damit. Aber es ist die Spitze des Eisbergs, etwas, was jeder spüren kann. Es kann ein Funke sein, der ein Feuer auslöst, das dann ein Licht auf viele der Probleme wirft.
Die Regierung sagt ja, die Steuer diene im Grunde dazu, den Ausbau von Breitbandnetzen zu finanzieren.
Das ist Bullshit. Zuerst sprachen sie von Einnahmen von 20 Milliarden Forint (65 Millionen Euro), am Dienstag haben sie auf 37 Milliarden erhöht. Alle Telekommunikationsunternehmen stimmen überein, dass sie über die Medien informiert wurden, was da auf sie zukommt. Es hat also keinerlei Konsultation gegeben. In jedem Fall wäre es ein verschwindend geringer Anteil des gesamten Steueraufkommens. Für 2014 werden Steuereinnahmen von 11 Billionen Forint erwartet (36 Milliarden Euro). Das Einzige, was ich nachvollziehen kann, ist die Argumentation der Regierung, dass die Steuereinnahmen sinken, weil die Leute immer weniger über das Festnetz telefonieren und auf Gratis-Dienste wie Skype ausweichen.
Wer hat die Steuer jetzt zu tragen? Die Provider oder die User?
Ich verfolge die Politik hier in Ungarn sehr aufmerksam. Aber das verstehe ich nicht. Die Provider haben auf ihren Homepages geschrieben, dass die User unter der neuen Steuer leiden werden. Meine persönliche Meinung ist, dass die Verbraucher denken sollen, diese großen Unternehmen machen ungeheure Gewinne, und es ist gut, wenn sie zahlen müssen. Die Regierung will eine Konfrontation zwischen Usern und Providern erzeugen. Die Provider sollten sich weigern, zu zahlen, und damit drohen, aus Ungarn abzuziehen.
Kann aus diesen Protesten eine neue Oppositionsbewegung werden?
Es gibt niemanden auf der Linken, dem man vertrauen kann, und die wenigen vertrauenswürdigen politischen Kräfte sind zu klein. Ich hoffe, dass dieser Protest wachsen wird und die Gesellschaft lernt, dass es in der Demokratie nicht nur darum geht, alle vier Jahre seine Stimme abzugeben. Was immer passiert, ich denke, es war ein wichtiger Schritt, auch wenn noch 900 Schritte vor uns liegen.
Wird Orbán unter dem Druck der Straße und aus Brüssel zurückrudern?
Ich hoffe, dass wir etwas bewegen und die Regierung sich besinnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren