Protest gegen Flughafen-Eröffnung: „Welche Flüge brauchen wir?“
Lena Tucnak vom Bündnis „Am Boden bleiben“ will die BER-Eröffnung stören. Sie fordert eine Debatte darüber, welche Flüge in der Klimakrise zu verantworten sind.
taz: Frau Tucnak, vor mehr als einem Jahr hat Ihre Initiative „Am Boden bleiben“ ein Bekennervideo zur Sabotage der BER-Baustelle veröffentlicht. Jetzt wird der Flughafen dennoch eröffnet. Waren Sie doch nicht so erfolgreich, wie Sie suggerieren wollten?
Lena Tucnak: Immerhin haben wir es geschafft, den Flughafenbau um neun Jahre zu verzögern … Aber es stimmt: Komplett erfolgreich waren wir nicht.
Nun wollen Sie die Eröffnung des neuen Flughafens blockieren. Ist es für diesen Protest nicht schon zu spät?
Es ist der Moment, in dem viele Augen auf die Themen Flugverkehr, Flughäfen und speziell auf den BER gerichtet sind. Unsere Aktion soll einen lange nicht geführten, aber total notwendigen Diskurs anstoßen: Welche Flüge brauchen wir und welche sollte es nicht mehr geben? Der BER ist darauf angelegt, dass der Flugverkehr weiter wachsen soll. Das kann in Zeiten der Klimakrise nicht sein. Da hilft es auch nicht, dass Tegel im Gegenzug geschlossen wird.
Sind Sie dafür, fliegen zu verbieten?
Inlands- und Kurzstreckenflügen auf jeden Fall, da kann man auch die Bahn nehmen. Fast zwei Drittel der Inlandsflüge entfallen auf Geschäftsreisen. Es profitieren also vor allem Konzerne, dass es diese Flüge gibt und dass sie aufgrund von Steuersubventionen so billig sind. Während die Mehrheit der deutschen Bevölkerung selten bis gar nicht fliegt, steigen 7 Prozent zehnmal oder häufiger pro Jahr ins Flugzeug – auf Kosten vieler anderer. Das ist die Spitze der Klima-Ungerechtigkeit.
32, ist seit zwölf Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv.
Und was ist mit längeren Strecken?
Auch darüber müssen wir reden, denn diese Flüge haben den größten Anteil an den Emissionen. Wir müssen darüber reden, was Bullshit-Flüge und was notwendige Flüge sind. Es ist ein Unterschied, ob ich meine Familie auf einem anderen Kontinent besuche oder zum Klettern nach Thailand fliege. Momentan fliegt eine globale Minderheit auf Kosten der mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung, die noch nie geflogen ist, um den Globus. Deshalb brauchen wir strukturelle Änderungen auf gesetzlicher Ebene, vor allem die Besteuerung von Kerosin und eine Vielfliegerabgabe, bei der jeder zusätzliche Flug in einem bestimmten Zeitraum teurer wird.
Wie soll die Blockade ablaufen?
Am 31. Oktober geht der BER an den Start – mit, je nach Rechnung, mehr als acht oder neun Jahren Verspätung. Die ersten beiden Flugzeuge, noch ohne echte Passagiere, sollen am Samstagnachmittag landen. Am 1. November beginnt dann der Regelbetrieb.
Gleichzeitig wird der Betrieb in Tegel nach und nach runtergefahren. Am 7. November lassen die meisten Airlines zum letzten Mal von dort Flugzeuge starten, tags darauf hebt dann zum wirklich letzten Mal ein Flugzeug vom Flughafen Tegel ab. (taz)
Geplant ist, in einer Aktion des zivilen Ungehorsams mit Hunderten Pinguinen die Eröffnung des BER an relevanten Orten zu blockieren – denn die coolsten Vögel bleiben am Boden. Das große Tamtam, wenn die ersten Flieger landen, werden wir deutlich stören, sodass der Betrieb nicht normal stattfinden kann. Weil an dem Tag keine Flugzeuge abheben, wird die Aktion auch nicht auf Kosten einzelner Fluggäste gehen. Unsere Botschaft ist es nicht, Leute persönlich verantwortlich zu machen, sondern das System zu kritisieren, das den Flugverkehr systematisch bevorteilt. Wenn es legal ist, die Klimakrise durch unnötigen Flugverkehr zu befeuern, ist es mehr als legitim, dass wir blockieren.
Bei der Tegel-Blockade vergangenen November hat ein Großeinsatz der Polizei inklusive einer Zufahrtssperre die Abläufe am Flughafen wohl am effektivsten gestört. Ist die Polizei auch diesmal Ihr Partner?
Für den damaligen Einsatz bedanken wir uns auch heute noch. Was die Polizei dieses Mal macht, wird sich herausstellen. Wenn sie selbst großflächig absperrt, wird es keine Besucher*innen und keine richtige Eröffnung geben. Also entweder die Polizei blockiert das komplette Areal und stört die Eröffnung. Oder wir machen das.
Vor einem Jahr hat Ihre Gruppe mit etwa 50 Menschen in der Abflughalle in Tegel gesessen. Ist diesmal mit mehr Teilnehmer*innen zu rechen?
Damals sind viele nicht reingekommen. Dieses Jahr werden es noch viel mehr Menschen versuchen, es wird deutlich breiter mobilisiert. Wir rechnen mit mehreren Hundert Personen, rufen aber auch dazu auf, bei Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben. Wir planen einen verantwortungsvollen Protest.
Wer steht hinter „Am Boden bleiben“?
Unsere Gruppe existiert seit 2018, weil bis dato das Problem des Flugverkehrs quasi nicht thematisiert wurde, weder von der Klimagerechtigkeitsbewegung noch von der Zivilgesellschaft, Parteien oder NGOs. Deswegen gibt es uns. Wir sind Teil des globalen Netzwerks Stay Grounded, dem mittlerweile mehr als 160 Mitgliederorganisationen weltweit angehören, die gemeinsam für eine klimagerechte Reduktion von Flugverkehr einstehen. Dabei sind viele NGOs, kritische Gewerkschaften bis hin zu indigenen Gemeinden im Globalen Süden.
Wieso hat das Thema so lange keine Rolle gespielt?
Einerseits weil die Industrie es sehr gut geschafft hat zu behaupten, dass der Flugverkehr für die Emissionen nicht relevant ist. Entgegen der kursierenden Zahl, Fliegen sei nur für 2 Prozent des Ausstoßes klimaerhitzender Treibhausgase verantwortlich, sind es tatsächlich etwa 6 Prozent, denn die Nicht-CO2-Effekte müssen eingerechnet werden. Man kann zwei Jahre vegan leben, aber nach einem Flug ist jeder positive Klimaeffekt dahin. Wenn es die Hoffnung gab, dass Flugverkehr nicht so schlimm ist, hat sich das nicht bestätigt. Der zweite Grund ist, dass Menschen, die eigentlich ein ökologisches Bewusstsein haben, besonders viel fliegen. Im Parteienvergleich fliegen Grünen-Wähler*innen am häufigsten, weil sie am meisten Geld zur Verfügung haben. Das ist natürlich ein unangenehmes Thema, weil die Auseinandersetzung damit die persönliche Lebensweise infrage stellt.
Was soll mit dem BER geschehen, wenn er nicht mehr für den Flugverkehr genutzt werden soll?
Das Gelände bietet sich hervorragend für ein Museum des fossilen Kapitalismus und der veralteten Mobilität an. Es bietet Flächen für Freizeit- und Nachbarschaftszentren, Gärten und Landwirtschaft. So wie das Tempelhofer Feld, nur größer.
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