„Promi-Wahlkreis“ Potsdam: Allein unter Promis
Im Bundestagswahlkreis 61 kandidiert Tabea Gutschmidt (CDU) gegen Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne). Chancenlos ist sie trotzdem nicht.
Tabea, wer? In Gutschmidts Biografie steht: Stadtverordnete und Referentin im Bundestag. Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass gerade diese Frau, die an diesem Wintermorgen in Potsdam-West um Stimmen wirbt, am 23. Februar vor den großen Namen liegt.
Die CDU hat ihren Stand vor einem Kaufland im Westen der Stadt aufgebaut. Gut ein halbes Dutzend Parteimitglieder, von der Jungen Union bis zum Rentner, stehen in der Kälte und warten auf Einkäufer. „Ist ja noch nicht so viel los hier“, sagt Gutschmidt. Eine altrosa Mütze verbirgt die blonden Haare der 45-Jährigen, die sonst mit hohem Wiedererkennungswert von ihren Wahlplakaten leuchten. Geht nicht anders, es ist knapp über null Grad.
Erststimmen Die mit Vorsicht zu behandelnden Vorhersagen verschiedener Institute für den Gewinn der 10 Direktmandate in Brandenburg sehen die AfD 9 Mandate holen. Nur der Wahlkreis um Potsdam könnte danach an eine andere Partei gehen: die SPD.
Zweitstimmen In der aktuellsten, allein auf Brandenburg bezogenen Insa-Umfrage zur Bundestagswahl von Ende Januar führt die AfD mit 28 Prozent, gefolgt von der SPD mit 20 und der CDU mit 19 Prozent. Das BSW käme demnach auf 11, die Grünen auf 7, die Linken auf 6 Prozent. (taz)
Zu ihrem Wahlkreis gehört indes nicht nur Potsdam mit seinen rund 190.000 Einwohnern, sondern auch das weite Umland mit einigen Kleinstädten und zahlreichen Kleinstgemeinden. Und die Historie des Wahlkreises ist nicht unbedingt dazu geeignet, Gutschmidt Mut zu machen: Nur ein einziges Mal hat ihn die CDU in neun Wahlen seit der Wende gewonnen. Wahlkreisprognosen, denen zugegebenermaßen nur bedingt zu trauen ist, sehen auch diesmal die SPD vorn.
Der unbeliebte SPD-Kandidat
Auch sonst sieht es auf den ersten Blick nicht allzu grandios aus für die CDU. In einer brandenburgweiten Umfrage zur Bundestagswahl dominierte zuletzt die AfD mit 28 Prozent, die CDU kam hier auf 19 Prozent.
Das ist immerhin weitaus mehr als bei der Landtagswahl im September, als die Christdemokraten in der Mark auf 12,1 Prozent abstürzten. Die Wahl war bestimmt von dem verbreiteten Wunsch, die AfD nicht stärkste Partei werden zu lassen – was auch CDU-Anhänger für die SPD stimmen ließ. Genauer gesagt: für deren beliebten Ministerpräsidenten Dietmar Woidke.
Der aber steht am 23. Februar im Wahlkreis 61 nicht zur Wahl, sondern Olaf Scholz. Und der SPD-Kandidat ist auch nicht beliebt, sondern laut Umfragen der unbeliebteste Bundeskanzler seit langem. Aus diesem Grund wollten ihn viele Brandenburger Parteifreunde auf keinen Fall in ihrem Landtagswahlkampf sehen.
Als sicher gilt, dass Scholz im Wahlkreis nicht wieder derart weit vorn liegen wird wie 2021, als er mit 34 Prozent fast doppelt so viel holte wie Annalena Baerbock, die hier damals auf Rang 2 landete. Die Grünen-Kandidatin ist als Außenministerin zwar medial sehr präsent. Ihre Partei kommt in Umfragen trotzdem nur noch auf 12 bis 15 Prozent, in Brandenburg liegt sie sogar lediglich bei 7 Prozent.
Gutschmidt steht hinter Merz
Gutschmidts CDU hingegen steht deutlich besser da als bei der vorherigen Bundestagswahl. Bisher jedenfalls. Der Samstagmorgen vor Kaufland ist der Tag nach der Bundestagsdebatte und der Abstimmungsniederlage beim „Zustrombegrenzungsgesetz“, bei dem die Unionsfraktion im Bundestag die Unterstützung der AfD in Kauf genommen hatte. Noch am Vorabend hat es dagegen Demonstrationen gegeben. Gutschmidt steht hinter dem Kurs ihres Kanzlerkandidaten Friedrich Merz.
Die Stimmung ist ruhig. Die Reaktion „Faschisten, nehm ich nicht“ eines Kaufland-Einkäufers auf das angebotene CDU-Material bleibt die Ausnahme. Es gibt wie so oft an Wahlkampfständen das stumme Ablehnen per vorgehaltener Handfläche, aber auch Menschen, die von sich aus den Kontakt suchen und eine Werbekarte von Gutschmidt mitnehmen.
Jüngst hat es im Osten des Wahlkreises im 20.000-Einwohner-Ort Kleimachnow bei einer Bürgermeisterwahl ein überraschendes Ergebnis gegeben, das durchaus Rückschlüsse auf den Bundestagswahlausgang zulässt.
Dort stellte die Union letztmals 1946 den Bürgermeister, nun hat ihr Kandidat im ersten Wahlgang klar gewonnen und nur knapp die absolute Mehrheit verpasst. 13 Prozentpunkte lag der CDU-Kandidat vor seinem SPD-Konkurrenten, noch weiter vor der Grünen-Bewerberin Alexandra Pichl, immerhin die Landesvorsitzende ihre Partei. Vor diesem Hintergrund und der bundesweiten Umfrageführung kann sich also auch Gutschmidt gewisse Chancen ausrechnen.
Die setzt am Stand vor Kaufland darauf, dass sich die Leute in Potsdam und Umgebung lieber jemanden vor Ort wünschen und nicht jemanden wie Scholz oder Baerbock, die im Bundeskabinett sitzen. „Wahlkreis statt Weltpolitik“ steht auf ihrer Wahlwerbung. Bei ihrer Nominierung im Dezember hieß es von ihr: „Scholz und Baerbock sind in ARD und ZDF, ich bin an Ihrer Haustür.“
Am Wahlkampfstand vor Kaufland
Es ist Gutschmidts erste Bundestagskandidatur. 2021 trat in Potsdam noch die frühere CDU-Landesvorsitzende Saskia Ludwig vom rechten Parteiflügel an, die kandidiert nun im Nachbarwahlkreis. Im Januar hatte Ludwig bundesweit für Schlagzeilen gesorgt, als sie in einem Fernsehinterview sagte: „Wenn über 50 Prozent Mitte-Rechts wählen, dann muss es auch eine Mitte-Rechts-Regierung geben für die Bürger.“ Das wurde allgemein als Werben für eine CDU-AfD-Koalition aufgefasst. Ludwig selbst bezeichnete das als „bemerkenswert freie Interpretation“. Gutschmidt sagt dazu: „Das war nicht hilfreich.“
Anders als die prominente Konkurrenz stammt Gutschmidt aus der Gegend, zu ihrem Geburtsort Kloster Lehnin sind es von Potsdam aus knapp 25 Kilometer. Baerbock ist in Hannover geboren, kam allerdings schon 2008 in den Landesvorstand der brandenburgischen Grünen. Scholz, geborener Osnabrücker und langjähriger Erster Bürgermeister von Hamburg, verlegte seinen Hauptwohnsitz erst 2018 nach Potsdam.
Ende Januar, als noch nicht feststeht, dass ihre Parteifreundin Pichl bei der Bürgermeisterwahl untergehen wird, schaut Baerbock in Kleinmachnow vorbei, der brandenburgischen Grünen-Hochburg. Gut 200 Menschen warten am dortigen Kulturzentrum, als sie samt Begleitschutz des Bundeskriminalamts in schwerem Wagen vorfährt. „Es geht erst los, wenn alle drin sind“, beruhigt sie die Wartenden. Bei ihr als Außenministerin gibt es hohe Sicherheitsvorkehrungen, Abtasten und Taschenkontrolle.
Die Morde von Aschaffenburg liegen noch nicht lange zurück, Baerbock zeigt sich erschüttert, mahnt aber zu Besonnenheit. Weil es ein gemeinsamer Auftritt mit der Bürgermeisterkandidatin ist, pendeln die Fragen aus dem Publikum zwischen örtlichem Kinderspielplatz und Weltpolitik. Über fehlende Präsenz vor Ort wegen der vielen Termine als Ministerin beklagt sich niemand.
Monopoly-Spiel vor der Landtagswahl
Ihr Noch-Chef im Bundeskabinett legt währenddessen viel Wert darauf klarzumachen, dass Potsdam für ihn nicht bloß eine Postadresse ist. „Hier lebe ich mit meiner Frau, hier gehe ich joggen und kaufe ein“, ist auf der Internetseite von Olaf Scholz zu lesen. Seine Frau, das ist Britta Ernst, die bis 2023 in Brandenburg Bildungsministerin gewesen ist.
Am vergangenen Samstag sitzt Scholz in einer großen restaurierten Industriehalle am Havelufer auf einem Barhocker. Der DGB hat zu einer „Wahlarena“ eingeladen. Baerbock ist auch dabei, nicht so Gutschmidt: Es ist eine Runde der Brandenburger Spitzenkandidaten – und Gutschmidt steht auf der CDU-Landesliste erst auf Platz 7, jenseits des allgemeinen CDU-Hochs eine eher chancenlose Position.
2021 reichte gerade noch Platz 4 für ein Parlamentsmandat. Der Wahlkreissieg ist also Gutschmidts einzige Chance auf den Bundestag. Scholz und Baerbock hingegen können dank vorderstem Listenplatz davon ausgehen, auch bei einer Niederlage im Parlament zu bleiben.
In der Halle am Havelufer, wo die Kandidaten eine Art Wahl-Monopoly zu spielen haben, lässt Baerbock mehrfach ihre Kenntnis der Region durchblicken, spricht von Aktivitäten in Treuenbrietzen und lobt die Feuerwehr in Ludwigsfelde. Scholz' Antworten hingegen könnten so fast durchweg auch in Friesland oder Bayern fallen.
Dasselbe Monopoly-Spiel hat der DGB vor der Landtagswahl im September schon Scholz' Parteifreund Dietmar Woidke und dessen damalige Konkurrenz spielen lassen. Der war dabei eher glücklos und sagte nachher Richtung erfolgreicherer Konkurrenz: „Glück im Spiel, Pech bei der Wahl.“ Scholz hingegen würfelt an diesem Samstag – 15 Tage vor der Bundestagswahl – durchaus hohe Punktzahlen.
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