Projekt zum Wettermachen: Außer Kontrolle geraten
Das Projekt „Weather Engines“ in Athen beschäftigt sich mit Wetter, Klima und der Frage, was Daten damit zu tun haben – in Lectures und Ausstellungen.
Sich vor dem Athener Gebäude der Onassis-Kulturstiftung aus Anlass einer Masken- oder Zigarettenpause zu unterhalten, ist wie an vielen anderen Orten Athens fast unmöglich. Wegen einer der Stadtautobahnen vor der Haustür ist es schlicht zu laut. Der Autoverkehr, der maßgeblich dafür sorgt, dass Athen unter europäischen Städten die größte Feinstoffbelastung aufweist, beeinträchtigt die Lebensqualität hier auch durch den Geruch, den Lärm und seine schiere räumliche Forderung.
Fahrradfahren ist in der Stadt so gut wie unmöglich, selbst für Unerschrockene. Fußgänger:innen gehören nur beschädigte und viel zu schmale Trottoirs, die zumal von Autos und Motorrädern mitbenutzt werden. Sogar die kleinen Plätze in Stadtvierteln werden zum Parken benutzt.
Ein erfrischendes „Luftschnappen“ zwischen den Lectures zu der derzeit laufenden Ausstellung „Weather Engines“ ist also nicht drin. Diese Realität passt zu dem enzyklopädischen Projekt der Kurator:innen Daphne Dragona (Berlin) & Jussi Parikka (Aarhus), das untersucht, wie Wetter und Atmosphäre von Körpern geschaffen oder produziert und wie sie von diesen erlebt und, im Fall, überlebt werden.
In einer umfangreichen Ausstellung an zwei Standorten, Lectures, Workshops und einem Glossar in Buchform werden die verschiedenen Aspekte des „Wettermachens“ verhandelt, ihre Dynamiken, Einflüsse auf das Klima und auf die ästhetischen, gesundheitlichen und rechtlichen Lebensbedingungen der unterschiedlichen Körper, inklusive der Erde selbst. Es gilt dabei die nicht rückgängig zu machende Prämisse (außer durch Selbstauslöschung), den Planeten voll und ganz menschlichen Bedingungen unterworfen zu haben.
Abnahme der Denkfähigkeit
„Weather Engines“, Ausstellung in Athen im Onassis Stegi & National Observatory, bis 15. Mai.
„Words of Weather“. A glossary. Edited by Daphne Dragona & Jussi Parikka. Onassis Foundation 2022, 192 Seiten, GR/EN, 12 Euro/15 Euro
Dass diese menschlichen Bedingungen zwar stark mit Kontrolle arbeiten, aber nicht (mehr) kontrollierbar sind, ist eines der dominierenden Paradoxe der Diskurse in dem zuletzt von Hitzewellen, Feuern, Starkregen und einem unverhältnismäßig harten Winter geprägten Athen. In einer Welt aus Datenmengen seien wir derart überwältigt, dass unsere Fähigkeit zum Handeln immer weiter abnehme, was wiederum zu kognitiven Problemen und blinder Wut führen könne, konstatiert der Technologie-Autor und Künstler James Bridle. Durch die permanente Überproduktion von Daten schrumpfe gleichzeitig die Möglichkeit, sie zu hinterfragen und zu interpretieren.
Die Chance, aus dieser psychischen Falle zu entkommen, sei umso kleiner, denn Studien würden die Abnahme der Denkfähigkeit, insbesondere der Kapazität, neue Ansätze zu finden, bei steigendem CO2-Gehalt der Atmosphäre beweisen.
Die Problematik der Omnipräsenz von Daten, durch die auch das Wetter erfasst, ermittelt und bestimmt wird, ist jedoch nicht nur eine psychologische, sondern vielmehr selbst wiederum ein Wetterfaktor. So verweist die Krieg-und-Klima-Forscherin Susan Schuppli (Goldsmiths, Forensic Architecture) darauf, wie viel Energie es braucht, um die riesigen Kühlsysteme für den Datenverkehr zu unterhalten. Die Dilemmata sind klar. Jetzt komme alles darauf an, „die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu überwinden“, so die Medientheoretikerin Birgit Schneider (Universität Potsdam).
Aber wie? Wenn James Bridle von DIY-Workshops zu regenerativer Energie spricht, während die Onassistanker unter der Billigflagge der Marshall Islands durch die Weltmeere schippern, wirkt das erst einmal vergeblich. Aber nicht in jeder Beziehung. Es braucht Instrumente des ethischen Handelns, das letztlich die Selbstidentifizierung und Qualität des Zusammenlebens bestimmt – bei aller Fatalität.
Überlebende Tiere und Pflanzen
In diesem Sinn ist „Weather Engines“ weniger auf aktivistische Konzepte ausgerichtet, die vorgeben, die Welt retten zu können, als auf das Erfassen des Status quo, der Konsequenzen und des Handlungsspielraums. Dass eine Welt ohne Menschen nicht unbedingt wie eine finstere Dystopie aussehen muss, zeigt die Videoanimation „Refuge for Resurgence, Window View“ (2021) des internationalen Superflux-Kollektivs: In einer überfluteten Stadt sind überlebende Tiere zusammen mit Pflanzen in die Häuser eingezogen und gestalten sich die Überbleibsel menschlicher Zivilisation als farbenfrohes Biotop.
Gleichzeitig gilt die Frage, wie eine Welt mit Menschen aussehen kann, die ihr „zivilisatorisches“ Erbe bestmöglich verantworten. Um nicht weiter in der Rolle der außer Kontrolle geratenen Beherrscher:innen zu agieren, sei, so nicht nur Andreas Philippopoulos-Mihalopoulos (University of Westminster) in einem psychologiekritischen „Atmosphären“-Kurzessay, vor allem die Abschaffung einer Kette von Scheingegensätzen nötig: von menschlich versus nicht-menschlich, Subjekt versus Objekt, Kultur versus Natur, Fühlen versus Wahrnehmen mit den Kopforganen, Atmosphäre versus Emotionen. (Sein Essay ist ein Kleinod des trotz Gernot Böhme immer noch in den Kinderschuhen steckenden Atmosphärenbegriffs.)
Wie wichtig „gefühlte Realitäten“ und ein reifer Umgang damit seien, machte wiederum die Medientheoretikerin Birgit Schneider klar. Sie führte zwei Beispiele an: Einen Republikaner, der im US-Senat 2015 einen Schneeball geworfen hatte als vermeintlichen Beweis für die Nichtexistenz des Klimawandels, und Inselbewohner eines Archipels, die dessen Untergang am eigenen Leib erfahren. Nicht um sie gegeneinander auszuspielen (die Beispiele sprechen für sich), sondern um auf die Wichtigkeit im Erfahren von und im Umgang mit subjektiver Wahrnehmung zu verweisen.
Diesen Spielraum vermitteln längst nicht alle Kunstwerke der Ausstellung. Besonders die Videoarbeiten sind teils selbst Opfer ihrer Datenmengen und ihres Produktionsaufwands. Sie fordern ein analytisches Sehen, das an einem Samstagnachmittag kaum zu bewältigen ist. Die Lectures und Videos bieten Material für Jahre.
Aber es gibt auch Arbeiten, die eine sinnliche Sprache gefunden haben, die unmittelbar zur Auseinandersetzung motiviert. Dazu gehört für mich an erster Stelle ein Terrazzoboden des Labels Hypercomf (Insel Tinos), der mit am Strand gesammelten Plastikabfällen gegossen wurde und sich ästhetisch an der Analyse vom Leben in Unterwasserhöhlen orientiert.
Oder das „Click-Ensemble“ (2022) des Musikers Coti K. (Athen): Vogelhäuser, in denen ein Mechanismus Wetterdaten in dadaistische Klicks übersetzt. Es befindet sich im Park des alten Athener Wetterobservatoriums, dem zweiten Ausstellungsort von „Weather Engines“, errichtet auf dem Terrain eines antiken Nymphenheiligtums. Das ist vielleicht der Ort mit der schönsten Atmosphäre von ganz Athen – wo immer noch (Zwergohr-)Eulen rufen.
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