Profit kontra Patientenwohl: Bayer klagt gegen indische Generika
Der deutsche Konzern will vor indischen Gerichten durchsetzen, dass ein preiswertes Krebsmedikament nicht zugelassen wird. Pharmakritiker befürchten einen Präzedenzfall.
Für arme Länder könnte es schwieriger werden, an günstige Kopien von Medikamenten, sogenannte Generika, zu kommen. Nach dem Pharmakonzern Novartis hat nun die Leverkusener Bayer AG die indischen Behörden verklagt. Der deutsche Pharmakonzern will mit dem Prozess verhindern, dass die indische Zulassungsbehörde für Medikamente (DCGI) einem preiswerten Nachahmerprodukt des Bayer-Krebsmittels Nexavar die Zulassung erteilt. Das Verfahren wird heute in einer Woche vorm höchsten Gericht der Hauptstadt New Delhi verhandelt.
Das Medikament wird gegen Nieren- und Leberkrebs eingesetzt und ist erst seit 2008 auf dem Markt. Der Bayer-Konzern begründet die Klage damit, dass er seinen Patentschutz für Nexavar in Indien bedroht sieht. Für das Medikament besitzt der Konzern nach eigenen Angaben bis zum Jahr 2020 das alleinige Verwertungsrecht. Dennoch hat das indische Pharmaunternehmen Cipla für ein wirkstoffgleiches Medikament ein Zulassungsverfahren in Gang gesetzt.
"Cipla greift damit unser Patent an. Wir wollen verhindern, dass Cipla eine Zulassung erhält und das Generikum auf den Markt bringt, solange wir das Patent dafür besitzen", sagte Bayer-Sprecherin Denise Rennmann der taz. Gesundheitsinitiativen aus Indien und Deutschland fordern Bayer auf, die Klage zurückzuziehen. Die Bayer AG versuche mit dem Verfahren, die übliche Praxis sowie die gültigen Gesetze für die Zulassung von Generika zu torpedieren. "Das indische Recht erlaubt ausdrücklich, dass die formale Zulassung eines Nachahmer-Medikamentes bereits vor Ablauf eines Patentes erfolgen kann", sagte Philipp Mimkes von der Initiative-Bayer-Gefahren. Damit solle sichergestellt werden, dass nach dem Ablauf eines Patentes sofort Generika auf den Markt kommen können und diese nicht erst danach ein zeitaufwendiges Zulassungsverfahren durchlaufen müssen. Mimkes: "Cipla wird nicht einfach ein Medikament verkaufen, das unter Patentschutz steht. Das ist in Indien verboten."
Die Praxis der "vorbereitenden Zulassung" für Generika von patentgeschützten Medikamenten ist auch eigens durch einen Abschnitt der internationalen Regeln der Welthandelsorganisation zum Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS) gestattet. Das Abkommen erklärt es auch für zulässig, dass Länder in bestimmten Notlagen Zwangspatente erteilen dürfen. Es ist unklar, ob Cipla sich darauf beruft, wenn das Unternehmen schon elf Jahre vor dem Ende des Nexavar-Patentes die Zulassung beantragt. Cipla stand für eine Stellungnahme am Dienstag nicht zur Verfügung. "Mit der Klage will Bayer einen Präzedenzfall gegen die Praxis der Generika-Zulassung erzwingen", sagte Amit Sengupta von der indischen Peoples Health Movement. "Daran kann die Zukunft der gesamten Generika-Industrie hängen", befürchtet Sengupta. Indien produziert etwa 70 Prozent aller weltweit eingesetzten Generika. Das hat in den letzten Jahren vor allem Aidskranken in Entwicklungsländern geholfen. Durch preiswerte indische Arznei-Kopien sind die jährlichen Arzneikosten pro Aidspatient von über 10.000 US-Dollar auf heute 80 US-Dollar gesunken. "Ein Erfolg der Bayer-Klage hätte schwerwiegende Folgen für den Zugang zu preiswerten Medikamenten", sagte Bernd Eichner von medico international.
In einer ersten Anhörung konnte der Konzern bereits durchsetzen, dass der Zulassungsantrag von Cipla vorerst nicht bewilligt wird. "An der Entscheidung des High Courts ist auch brisant, dass das Gericht erstmals eine Verbindung zwischen der Arbeit der Zulassungsbehörde für Medikamente und der Arbeit der Patentbehörde herstellt", sagte Oliver Moldenhauer von Ärzte ohne Grenzen. Die Zulassungsbehörde sei bislang allein für die Sicherheit und Wirksamkeit der Medikamente zuständig. Nun solle sie sich auch noch um die wirtschaftlichen Interessen der Pharmaindustrie kümmern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“