Profiboxen als Paradox: Scheiße im Stall
Das Profiboxen stellt sich quer zum Zeitgeist, wie Schwergewichtler Tyson Fury beweist. Das ist nur auf den ersten Blick unverständlich.
![Regelbrecher und Großsprecher: Schwergewichtler Tyson Fury ist wieder in Fahrt. Regelbrecher und Großsprecher: Schwergewichtler Tyson Fury ist wieder in Fahrt.](https://taz.de/picture/5152885/14/28570602-1.jpeg)
W as ist eigentlich mit dem Boxsport los? Der weigert sich beharrlich, im doch eher tugendhaften und braven 21. Jahrhundert anzukommen. Das Boxen will sich auch im Jahr 2021 nicht seiner atavistischen und regressiven Anteile entledigen. Die Amateurboxer stehen unter ständiger Beobachtung des Internationalen Olympischen Komitees und dürften nicht überrascht sein, wenn sie mit weiteren Sanktionen rechnen müssen. Und die Profiboxer machen da weiter, wo sie immer schon aufgehört haben.
Der schlagende Beweis für die Unbelehrbarkeit der Branche ist der britische Schwergewichtler Tyson Fury, der an diesem Wochenende gegen den US-Amerikaner Deontay Wilder antritt, um seinen WBC-Gürtel zu verteidigen. Fury, der einer boxenden Familie irischer Traveller entstammt und sich deswegen Gipsy King nennt, steht mit all seiner imposanten Erscheinung für einen Typus, der in den Kreisen woker Weltverbesserung für schieres Entsetzen sorgen dürfte.
Der sicherlich 120 Kilogramm schwere Fury, der in seinen Kämpfen nicht immer austrainiert wirkte und deshalb auch den Beinamen „Weicher Riese“ tragen könnte, ist nicht nur weiß, er ist auch ein Mansplainer, ein Sexist, er ist offensichtlich homophob, ein Dopingbetrüger und großmäuliger Aufschneider. Trotz all dieser Kennzeichnungen, die einen Normalsterblichen ins gesellschaftliche Aus katapultieren würden, ist Fury besser denn je im Geschäft. Er scheffelt Millionen von Dollar, und nun steht er in Paradise/Nevada im Ring, um seinen Gegner zu verhauen.
Wilde Beschimpfungen
Das alles spricht dafür, dass eine sonst überkritische Öffentlichkeit dem Profiboxen einen besonderen Raum zugesteht, einen Topos, für den radikal andere Regeln gelten: die des (alten) Showbusiness. Was hier gesagt, was hier getan wird, ist erstens nicht ganz ernst zu nehmen, und zweitens laufen die Prozesse auf der Ebene des So-tun-als-ob ab. Hier gehen, räumlich und zeitlich begrenzt, Dinge, die anderswo verpönt sind.
Es funktioniert wie eine Peep Show, in der man durch ein Guckloch das kollektive Unbewusste des Sports anglotzen kann – in einer Mischung aus Faszination und Abscheu. Tyson Fury gibt sich wirklich alle Mühe, sein Geld wert zu sein. Wilder, den Fury auf einer Pressekonferenz vorm Fight abwechselnd als „Penner“, „Stück Scheiße“ oder „Pussy“ herabwürdigte, könne sich einfach nicht eingestehen, dass seine Karriere vorbei sei.
Zweimal bereits habe er von Fury „den Arsch versohlt“ bekommen und sei „nicht Manns genug“, irgendetwas dagegen zu unternehmen. „Nach diesem Kampf wirst du wieder bei der Fast-Food-Kette arbeiten, bei der du zu Beginn deiner Karriere warst“, tönte Fury. Es ist das übliche Ballyhoo vor der Verhaue, das testosterongesteuerte Herumposaune, könnte man sagen – wenn es nicht gegen alle Benimmregeln der heutigen Zeit verstößen würde.
Fury sprach sich für die Freigabe von Doping aus und nahm, als seine Forderung ungehört blieb, zweimal verbotene Mittelchen ein. Er warf Wilder vor, Eisenstücke in die Handschuhe getan zu haben, und geradezu berüchtigt ist dieses Zitat: „Es gibt nur drei Dinge, die erreicht werden müssen, bevor der Teufel nach Hause kommt. Eines davon ist die Legalisierung von Homosexualität, eines ist Abtreibung und das andere ist Pädophilie. Wer hätte in den 50ern und 60ern Jahren gedacht, dass die ersten beiden legalisiert werden würden.“
Tyson Fury wurde 2015 trotz dieser Entgleisung in England zur „Sportpersönlichkeit des Jahres“ gewählt. Dem ging eine maue Entschuldigung voraus. Bleibt also festzuhalten: Das Profiboxen ist ein Augiasstall, in das die Kärchertrupps des Neuzeitlichen die Flüsse Alfios und Pinios leiten sollten. Der Mist könnte freilich im Stall picken bleiben.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
Linksruck bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft