Profi-Wrestling in Corona-Zeiten: Ein Griff, ein Wurf und – nichts
Profi-Wrestling darf wegen Corona nicht mehr von Publikum begleitet werden. Was macht das mit TV-Unterhaltung, die von Emotionen lebt?
Profi-Wrestler John Cena schält sich aus dem Kunstnebel. Die Laserstrahlen tanzen, die Muskeln glänzen, seine Arme sind zur Heldenpose ausgebreitet, der Blick wandert erwartungsvoll in die Runde. Und dann? Statt dem frenetischen Jubel Tausender Fans gespenstische Stille. Kein Kreischen, keine anfeuernden Rufe – an der Decke sirrt ein Ventilator.
Die Coronakrise hat alles verändert. Wie wir uns bewegen, wie wir denken, wie wir arbeiten, wie wir konsumieren, wie wir uns unterhalten. Dies zeigt sich eindrücklich an leeren Arenen und Stadien. Ohne Publikum gerät der US-Show-Sport „Professional Wrestling“ zum seltsamsten Ritual der Unterhaltungskultur.
Ein paar Worte zum Phänomen Professional Wrestling selbst: Offiziell als „Sports Entertainment“ etikettiert, lässt sich Profi-Catchen zwischen Theater, athletischer Performance und Show ansiedeln. Bei den Kämpfen treffen die Performer*innen in einem vermeintlich ergebnisoffenen Kampf aufeinander, um sich offenbar mit brachialer Gewalt gegenseitig auf die Matte zu werfen.
Klar strukturierter Plot
Dabei geriert sich der Showdown im Ring, dem sogenannten squared circle, im Rahmen eines offenen Geheimnisses: Statt einem sportiven Wettkampf folgen die Akteur*innen einem klar strukturierten Plot, bei dem Rollen genau verteilt sind und die Sieger*in von Anfang an feststeht.
Der handfeste Schlagabtausch ist choreografiert und Teil einer inszenierten, hochathletischen Performance. Dazu gehört auch die Rollenverteilung: Performer*innen treten in ihren jeweiligen Ring-Charakteren auf, entweder als heel, Bösewicht, oder als face, die zumeist siegreiche Held*in. Worum geht es in einem Kampf, dessen Sieger*in von Anfang an festgelegt ist? Worin besteht der Reiz, der allwöchentlich Tausende in die Stadien, vor die Bildschirme holt und der immerhin eine Millionen Dollar schwere Industrie etabliert hat?
Die Antwort liegt in der spezifischen Einbindung des Publikums. Denn im Profi-Wrestling gibt es nur eine Währung; die Reaktionen der Zuschauer*innen. Ziel der Performer*innen ist es, das Publikum zu provozieren, mitzureißen, im Fachjargon, „to create heat“. Das Gebrüll, der Jubel der Massen in den Arenen ist fester Bestandteil der Show und wird in den medialen Übertragungen wieder und wieder hervorgehoben.
Kein röhrender Applaus
Was passiert, wenn nun, aufgrund einer weltweiten Pandemie, das Publikum wegfällt? Wenn röhrender Applaus und anspornendes Geschrei ausbleiben?
Seit dem 13. März lässt sich dies vor dem Bildschirm genau beobachten, denn auch die größte Liga, WWE (World Wrestling Entertainment), hat ihre Shows vor Publikum eingestellt. Stattdessen werden die Kämpfe im sogenannten Performance Center, einer Trainings- und Ausbildungsstätte, aufgezeichnet: In einem kleinen Raum, vor einer Vielzahl leerer, roter Plastikstühle.
Damit gerinnen die Shows, ansonsten Massenveranstaltungen mit Musik, Jumbotron und Feuerwerk, zu einer seltsam ernsthaften Performance. Das Onlinemagazin Vulture erinnern die Wrestling-Events eher an ein absurdes Beckett-Stück als an ein TV-Spektakel. Trotzdem wurde entschieden, die Shows sowie den Höhepunkt der Pro-Wrestling-Saison WrestleMania 36 weiterhin zu übertragen, allerdings auf einem geschlossenen Set und als Aufzeichnungen.
Die bizarren Umstände bestimmten die Mega-Show, die in diesem Jahr sogar als „just too big for one night“ angekündigt wurde: Zunächst schien alles wie immer: Der einstündige Countdown, die Trailer, die WWE-Performer*innen in heroischen Heldenposen zeigten, der überdrehte Hype der Anmoderation, das war wie immer.
Plötzliche Leere – schlagartig ernüchternd
Schlagartig ernüchternd wurde es erst, als die Halle mit dem Ring ins Bild kam. Eben noch Videoclips mit Massen jubelnder Fans, nun plötzlich Leere, ein regelrechter Schock. Zugegen waren nur die Ring-Kommentator*innen, das Kamera-Team und die jeweilige Schiedsrichter*in. Die Kämpfe begannen und es war – ja, auf eine gewisse Weise – einzigartig.
WrestleMania 36 ohne die Live-Kulisse zeigte Profi-Wrestling auf seine bizarr-absurde Grundform reduziert: Zwei Menschen, die gekonnt so tun, als würden sie einander wehtun. Und dann das: Ein Griff, ein Schlagabtausch, ein Wurf und … nichts. Null, niente. Wo sonst die spontane Rückkoppelung der Zuschauer aufbrandet, herrscht Stille: Ohne das überraschte „Ohhh“, das empörte „Buuhhh“ der Menge verliert die Siegerpose ihren triumphalen Gestus.
Mehr noch, denn vor leerem Raum wirkt die akustische Leere seltsam enthüllend, denn sie zeigt, wie Profi-Wrestling tatsächlich funktioniert: als Abfolge von Posen, zugeschnitten auf ein Publikum und seine Reaktionen. Gleichzeitig wird die Rolle des Publikums klar, das nicht nur als emotionaler Resonanzboden fungiert. Es ist das Publikum, das mit seinem Applaus seine Teilhabe an dem Spektakel ausdrückt.
Jeder Ausruf zeigt, wie es sich auf die Inszenierung einlässt. Jeder Ausruf zeigt die Bereitschaft, das Geschehen im Ring für den Moment als real zu akzeptieren. Was sich gerade durch das Fehlen des Live-Publikums beobachten lässt, sind die Strategien, mit denen das Publikum animiert wird – die direkte Adressierung, eingängige Parolen sowie die wiederholte Aufforderung, etwas zu glauben, ja zu bestätigen, dass offensichtlich nicht wahr ist.
Es ist diese kollektive Übereinkunft, die Profi-Wrestling zu eben jenem besonderen Erlebnis macht, irgendwo zwischen Sport, Akrobatik und Performance.
Trump ist erklärter Wrestling-Fan
Dies erscheint allerdings in einem anderen Licht, wenn die Strategien und Rhetoriken den Wrestling-Ring und seine Arenen verlassen, wenn das Unterhaltungs-Spektakel für politischen Populismus benutzt wird. US-Präsident Donald Trump hat dies in den letzten Jahren erschreckend vorgeführt und es ist keine Überraschung, dass er selbst erklärter Wrestling-Fan ist. 1988 und 1989 fanden WrestleMania IV und V jeweils im „Trump Plaza“-Hotel in Atlantik City statt.
Berühmt-berüchtigt sein Auftritt bei dem sogenannten „Battle of the Billionaires“ 2007. Damals durfte er seinem Gegner, dem Besitzer der WWE, Vincent McMahon, nach kurzem Kampf den Kopf rasieren. Seither scheint die Art, wie Trump sich selbst in Szene setzt, noch immer der Wrestling-Welt entnommen: Die Stilisierung des eigenen Selbst als „Larger than life“-Figuration, Slogans statt Aussagen und provozierendes Auftreten, das nur darauf abzielt, heat zu produzieren.
Showbiz und Politik
Die kumpelhafte Verbindung von Showbiz und Politik ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Linda McMahon, Ehefrau von Vincent McMahon, wurde von der Trump-Regierung 2016 zur Leiterin der „Small Business Administration“ ernannt und trat letztes Jahr zurück, um den Vorsitz der Pro-Trump-Lobby „America First Action SuperPAC“ zu übernehmen, eine Organisation, die Trumps Wahlkampf finanziert.
Kürzlich wurde Vincent McMahon, von Trump als The Great Vince apostrophiert, in ein Expertenteam berufen, das angesichts der Coronakrise den Sport wieder mobilisieren soll.
Prompt wurde Profi-Wrestling in Florida als „essential service“ deklariert, was bedeutet, dass die Shows, trotz geltender Ausgangssperre, weiterhin produziert werden dürfen. Dass der Spendensammelverein „America First Action“ kurz vorher verkündet hatte, 18,5 Millionen US-Dollar für Trumps Wahlkampf in Tampa und Orlando auszugeben, scheint mehr als ein glücklicher Zufall.
The show will go on – wenn auch weiterhin vor leeren Stuhlreihen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“