Probleme mit Quarantäne in China: Zu Hause gefangen
Der Alltag unter Quarantäne in China führt zu steigenden Fällen häuslicher Gewalt. Frauenrechtlerinnen schlagen Alarm.
Am Montag vermeldete der Gesundheitsausschuss in Peking mit landesweit lediglich 40 Infektionen innerhalb der letzten 24 Stunden den niedrigsten Wert seit Beginn der statistischen Erhebung im Januar. Auch die 22 Todesfälle sind im Vergleich eine positive Entwicklung.
Zwar sind mit über 80.700 Personen noch immer mit weitem Abstand die meisten Virusinfizierten in der Volksrepublik beheimatet, dennoch scheint die Epidemie weitgehend unter Kontrolle: Außerhalb der am stärksten betroffenen Provinz Hubei flacht die Wachstumskurve bereits seit einem Monat ab. Dort gibt es – laut offiziellen Statistiken – praktisch bis auf aus dem Ausland eingeflogene Fälle keine Neuinfektionen mehr. Der Grund dafür liegt in den drastischen Quarantänemaßnahmen, von Hausarresten bis hin zu Reiseverboten. Rund die Hälfte der 1,4 Milliarden Chinesen sind davon betroffen.
Ein Nebeneffekt des Alltags unter dem Virusausbruch sind jedoch gestiegene Fälle häuslicher Gewalt, von denen Frauenrechtsaktivisten berichten. Laut der Pekinger Frauenrechtsorganisation „Weiping“ sei die Zahl der Beschwerden von Opfern dreimal so hoch wie noch vor der Quarantäne. Die BBC zitiert die Frauenaktivistin Guo Jing aus Wuhan, wonach sich viele junge Chinesen in verzweifelten Telefonanrufen an sie wenden: Sie berichten von gewalttätigen Vätern und Ehemännern, doch wissen nicht, an wen sie sich wenden können. Andere Frauenrechtlerinnen erzählen laut Medienberichten von „gefangenen“ Ehefrauen: Aufgrund der Quarantäne und Reisebeschränkungen können sie nicht zu Verwandten oder Bekannten, um Unterschlupf suchen.
Nachbarschaftliche Achtsamkeit
„Seitdem das Virus ausgebrochen ist, rufen Frauen doppelt so oft bei der Polizei an wie zuvor. Fast alle Fälle häuslicher Gewalt haben indirekt auch mit dem Virus zu tun“, postet Wan Fei, pensionierter Polizeibeamter aus dem Landkreis Jingzhou und Gründer einer Frauenrechtsorganisation, auf dem sozialen Netzwerk Weibo. Seiner Meinung nach würden viele Konflikte eskalieren, weil die Leute ständig unter Angst stünden und Verdienstausfälle wirtschaftlichen Druck herbeigeführt haben.
In vielen Wohnsiedlungen hängen Anwohner Infozettel an die schwarzen Bretter, um vor häuslicher Gewalt zu warnen: „Wir kämpfen gegen das Virus gemeinsam. Ich hoffe, ganz egal wie unterschiedlicher Meinungen Sie sind: Benutzen Sie keine Gewalt“, heißt es auf einem solchen auf Weibo geposteten Flyer: „Wenn Sie innerhalb Ihrer Familie oder in der Nachbarschaft Gewalt mitbekommen, dann rufen Sie die Polizei.“
Ein anderer Nutzer kommentiert: „Durchschnittlich wird in China alle 7,4 Sekunden eine Frau von ihrem Ehemann geschlagen: Allein die Daten beweisen, dass häusliche Gewalt tödlicher ist als das Virus selbst.“ Laut offiziellen Statistiken von 2016 haben 30 Prozent aller verheirateten Frauen schon einmal Gewalt in den eigenen vier Wänden erlitten. Im selben Jahr hat die Volksrepublik ein längst überfälliges Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt erlassen. Erstmals sei diese überhaupt als Strafdelikt anerkannt worden.
Noch bis 1990 hatte China mit drei Viertel eine der höchsten Beschäftigungsraten der Frauen. Mittlerweile liegt diese bei nur mehr knapp über 60 Prozent. Auch beim „Gender Gap Index“ des Weltwirtschaftsforums ist China in den letzten zehn Jahren stetig abgefallen – auf den 106. Platz von 153 Ländern.
Zwar verdienen mittlerweile Chinesinnen mehr als je zuvor, sind gebildeter und haben auch eine längere Lebenserwartung. Doch im Vergleich zur männlichen Bevölkerung profitieren sie weitaus weniger von der wirtschaftlichen Entwicklung. Vor allem seit Präsident Xi Jinpings Amtsantritt hat sich das propagierte Frauenbild deutlich gewandelt: Mittlerweile wird die patriotische Chinesin vor allem für ihre Rolle im Haushalt gepriesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut