Probleme an Berliner Polizeiakademie: „Basecap schief auf dem Kopf“
Azubis mit Migrationshintergrund seien nicht das Problem, sagt Vizechef Boris Meckelburg. Vielen älteren Kollegen sei diese Veränderung aber fremd.
taz: Herr Meckelburg, kürzlich war in den Medien von gravierenden Problemen mit Polizeischülern aus Zuwandererfamilien zu lesen. Die Behauptungen stützten sich weitestgehend auf anonyme Quellen. Wie ist die Stimmung an der Polizeiakademie heute?
Boris Meckelburg: Es wird ruhiger, aber die Berichterstattung war schon ziemlich schädlich für uns. Von den Vorwürfen hat sich ja kaum etwas bewahrheitet. Aus der Klasse, mit der die ganze Diskussion losging, haben mich Schüler mit Migrationshintergrund gefragt, ob sie hier denn noch willkommen seien.
Polizeischülern mit Migrationshintergrund war unter anderem unterstellt worden, keine Disziplin zu haben und die Teilnahme am gemischten Schwimmunterricht zu verweigern. Alles nicht wahr?
Vor zwei Jahren gab es einmal einen Fall, als ein Schüler meinte, während des Ramadan könne er nicht am Schwimmunterricht teilnehmen. Wenn er dann Wasser schlucke, verstoße das gegen seine Religion. Muslimische Kollegen haben dem jungen Mann erklärt, dass er dennoch am Schwimmen teilnehmen kann.
Was fällt Ihnen zum Stichwort Disziplinlosigkeit ein?
Zuspätkommen. Bei den Jüngeren kommt es öfter vor, dass sie erst in der zweieinhalbjährigen Ausbildung lernen, pünktlich zu sein. Aber das hat nichts damit zu tun, ob jemand einen Migrationshintergrund hat oder nicht.
Was war eigentlich der genaue Auslöser für die ganze Debatte?
Ein Kollege vom Einsatztraining, der im Oktober in der Schule zum ersten Mal eine Klasse mit Auszubildenden in Erster Hilfe unterrichtete, hat eine Sprachnachricht verfasst, in der er ziemlich drastisch seine Einschätzung der Unterrichtssituation kundtat. Die Situation hatte ihn anscheinend überfordert.
Die Schülerinnen und Schüler der Klasse H17 Berta waren am 1. September 2017 frisch an der Akademie aufgenommen worden. Sie sind also noch sehr jung. Polizeipräsident Kandt und Vizepräsidentin Koppers haben mit dem Beamten später gesprochen. Was hat er erzählt?
Dass die Schüler unaufmerksam waren und er das von früher nicht so kennt. Ein Schüler hatte sein Basecap schief auf dem Kopf. Einer hatte eine Kapuze auf. Der Kollege hat die Klasse als frech empfunden, einige hätten komisch geguckt. Er fand das unangenehm und bedrohlich. Er habe sich an seine Zeit im Abschnitt 36 im Wedding zurückversetzt gefühlt, wo er viel mit jungen Menschen mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund zu tun hatte.
Die Diskussion über die Polizeiakademie geht weiter. Am 11. Dezember beschäftigt sich der Innenausschuss erneut mit der Situation auf dem Campus in Ruhleben. Erwartet wird ein Bericht der Schulleitung, den der Innensenator Anfang November nach Aufkommen der Vorwürfe in Auftrag gegeben hatte.
Auch eine Anhörung im Innenausschuss ist geplant. Im Fokus steht der jüngste Jahrgang der Auszubildenden, 45 Prozent haben einen Migrationshintergrund. Auch um die Ende 2016 in Kraft getretene Strukturreform wird es gehen. Seither heißt die Schule Polizeiakademie. Anlass war eine gestiegene Schülerzahl.
In Ruhleben wird der Nachwuchs für den mittleren Dienst ausgebildet. Zweieinhalb Jahre dauert das. Anwärter für den gehobenen Dienst werden an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Lichtenberg unterrichtet. Das Training findet für alle in Ruhleben statt. Auf dem Campus unterrichten rund 350 Lehrkräfte. Aufgrund des von der früheren rot-roten Regierung verhängten Einstellungsstopps wurde zwischen 2003 und 2006 überhaupt kein Polizeinachwuchs ausgebildet. Die Folge: Berlin fehlen Polizisten. Zudem gehen aktuell viele Beamte in Ruhestand. Erst seit 2016 werden wieder 1.224 Anwärter pro Jahr ausgebildet: je zur Hälfte im mittleren und gehobenen Dienst.
Mit der Klasse wurde gesprochen.
Die Klasse hatte zunächst überhaupt nicht begriffen, dass sie mit den Vorwürfen in den Medien gemeint war. Auch der stellvertretende Klassenlehrer konnte sich das gerade bei dieser Klasse nicht vorstellen.
Der Erste-Hilfe-Unterricht des Beamten war mit Übungen gekoppelt. Wie hat die H17 Berta das erlebt?
Schlechter Unterrichtsraum, eng, wenig Luft. Man saß im kleinen Kreis zusammen. Die Schüler fanden den Unterricht langweilig und die Lehrkraft eher schwierig. Einige hätten sich zurückgezogen, einer soll sogar eingeschlafen sein.
Haben Sie für eine der beiden Seiten Partei ergriffen?
Nein, gar nicht. Ich versuche zu ergründen, woher das kommt. Wir haben sehr erfahrene Lehrkräfte, denen wäre das so wohl nicht passiert. Der Kollege war unerfahren und nicht als Lehrkraft ausgebildet. Er wusste nicht, was er tun sollte.
Die Sprachnachricht kam an die Öffentlichkeit. Danach brach über die Akademie eine Lawine von Vorwürfen herein. Wie erklären Sie sich das?
Dafür gibt es zwei Anknüpfungspunkte. Manch ältere Kollegen kommen mit dem veränderten Erscheinungsbild der Schule nicht klar. Als ich hier vor 32 Jahren …
Boris Meckelburg
(49) ist stellvertretender Leiter der Polizeiakademie. Er ist 1987 auch an der Polizeischule in Ruhleben ausgebildet worden und hat es zum Dienstgrad des Polizeidirektors gebracht.
… also 1985 …
… in der Ausbildung war, waren die meisten Schüler blond oder braunhaarig, hatten eine helle Gesichtsfarbe und Sommersprossen. Wenn Kollegen aus dieser Zeit jetzt auf den Campus kommen, wundern sie sich über die große Zahl der Auszubildenden mit Migrationshintergrund. Beim dem jüngsten Jahrgang beträgt der Anteil mit Migrationshintergrund 45 Prozent. In der Pause hört man auf dem Campus auch mal Türkisch, Polnisch, Russisch oder Arabisch. Für meine Generation ist das fremd. Das haben mir auch Kollegen und Freunde bestätigt.
Sie sagten, es gebe da noch eine Erklärung für die Welle der Kritik.
Sie betrifft das Ausbildungspersonal. Ohne Frage hat das eine schwere Zeit hinter sich. Zwischen 2003 und 2006 sind gar keine Auszubildenden an der Schule aufgenommen worden. Der Hintergrund war, dass das Abgeordnetenhaus 1.000 Polizeistellen gestrichen hatte. Die Schule lief leer.
Was machten die Lehrkräfte derweil?
Ein Teil kehrte in die Praxis zurück, der andere Teil blieb hier, in Erwartung neuer Auszubildender. 2006 kamen dann peu à peu wieder welche. Zunächst waren es nur 150. Das heißt, relativ viele Ausbilder kümmerten sich um wenige junge Menschen.
Was heißt das konkret?
Alle Auszubildenden sind seinerzeit nach der Abschlussprüfung zuerst zu den Einsatzhundertschaften bei der Bereitschaftspolizei gegangen. Man hatte die Struktur der Hundertschaften in der Schule nachgebildet: Die Klassen waren in Züge und Gruppen aufgeteilt. Lehrkräfte waren ihnen als Hundertschafts-Zug- und Gruppenführer zur Seite gestellt. Knapp zehn Jahre war das so. Das war ausgesprochen personalintensiv.
Wie war die Ausbildung inhaltlich ausgerichtet?
Die alte, zweieinhalbjährige Ausbildung verlief fast nur theoretisch, sieht man mal von Trainings wie Schießen und Unfallaufnahme ab. Zum Praktikum in die Dienststellen der Polizei sind die Schüler erst im letzten halben Jahr gegangen. Wir hatten viel zu viel Theorie, es gab viel zu wenig Praxiserfahrung. Auch im Vergleich zu anderen Bundesländern lag Berlin hier weit zurück. Dieses Modell haben wir dann im Zuge der Strukturreform, die am 1. Dezember 2016 in Kraft trat, aufgegeben.
Was ist jetzt anders?
Der Anteil der Praktika wurde wesentlich erhöht, das heißt Theorie, Training und Praktikum erfolgen ab dem zweiten Semester in stetigem Wechsel. Um das möglich zu machen, haben wir den theoretischen Unterricht um bis zu 20 Prozent gekürzt – immer zugunsten der Praxis. Nur der Politikunterricht wurde nicht reduziert. Die Umstrukturierung war auch deshalb nötig, weil wir mit der alten personalintensiven Ausbildungsstruktur nicht in der Lage sind, die heutigen hohen Ausbildungszahlen zu stemmen.
Wie haben die Lehrkräfte reagiert?
Die Umstellung ist vielen sehr schwergefallen. An der Akademie gibt es niemanden, der nicht betroffen ist von der Reform. Viele fühlen sich als Verlierer des Reformprozesses. Die Lehrverpflichtung hat sich allgemein erhöht. Zum Teil müssen die Lehrkräfte ein zweites Fach unterrichten. Die Hierarchieebenen, wie Hundertschafts- und Zugführer, sind weggefallen. Das Fach Politik wird künftig nur noch von examinierten, also studierten Lehrkräften unterrichtet.
Was bedeutet das für die alten Politiklehrer?
Sie müssen sich umorientieren. Vollzugsbeamte, die bisher Politische Bildung unterrichtet haben, müssen in die Fortbildung oder in andere Fächer wechseln.
Ein großer Prozentsatz Ihrer Lehrkräfte ist also höchst unzufrieden?
Ja, aber die Zahl wird kleiner. Bei einer so umfassenden Reform wird man nie alle gewinnen können. Bis September 2016 gab es zum Beispiel den Morgenappell an der Schule. Alle Auszubildenden mussten dafür um 7 Uhr antreten. Es wurde durchgezählt, es wurde geguckt, ob die Uniform richtig sitzt, dann ging man in die Klassen und machte seinen Unterricht. Um 16.30 Uhr wurde abgetreten. Das waren liebgewordene Rituale. Ausbilder, die das 30 Jahre gemacht haben, lassen sich von mir nicht überzeugen, dass das nicht mehr nötig ist.
Könnte es sein, dass die massiven Vorwürfe aus der Ecke unzufriedener Lehrkräfte kommen?
Disziplinprobleme, die immer mal wieder auftreten, werden natürlich auch auf die Strukturveränderung zurückgeführt. Am 7. November, einen Tag bevor der Innenausschuss zum Thema Polizeiakademie getagt hat, habe ich auf einer Konferenz noch mal alle Lehrkräfte gefragt, ob es besondere Probleme mit Schülern mit Migrationshintergrund gibt. Die Kollegen haben das verneint, der Migrationshintergrund sei nicht das Problem.
Aber?
Manche meinen, das Niveau der Bewerber habe nachgelassen, und durch die Strukturveränderung sei eine gewisse Bindung zu den Auszubildenden verloren gegangen. Zusammen mit den Fachlehrern und Ausbildern haben wir jetzt einige Ideen entwickelt, wie wir trotz der geänderten Struktur wieder dichter an die Auszubildenden herankommen können.
Was ist geplant?
Es wäre zu früh, das jetzt schon öffentlich zu machen. Die Vorschläge sind Bestandteil des Berichts über die Polizeiakademie, den wir im Auftrag der Innensenators erstellt haben.
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