piwik no script img

Problematische BürgerwehrenHelfer, die Öl ins Feuer gießen

In Niedersachsen sind 31 Bürgerwehren gegen Flüchtlinge aktiv. Sie spielen sich als Ordnungsmacht auf, befeuern aber die Angst vor Fremden.

Pfuschen der Polizei gehörig ins Handwerk: Bürger auf Streife. Foto: Martin Schutt/dpa

HANNOVER taz | Sie haben bereits eine einheitliche Jacke mit Logo und sind geschlossen Patrouille gegangen. In der niedersächsischen Landeshauptstadt hat die „Hannoversche Nachbarschaftshilfe“ (HNH) wegen des angeblichen Flüchtlingschaos einen einstündigen „Spaziergang“ unternommen. Unterstützt von der NPD will sie, wie sie sagt, den „alltäglichen Grapschern, den versuchten Vergewaltigungen oder den aufgebrochenen Wohnungen, Fahrzeugen und Taschendiebstählen“ Herr werden. Sie sei von der HNH eingeladen worden, schreibt die NPD Hannover Ost auf der Webseite des Landesverbandes.

Ein Foto von zwei Männern, von hinten aufgenommen, auf deren dunklen Jacken in Weiß HNH steht, dokumentiert die Aktion. In den vergangenen Monaten tauchten schon Bürgerwehren in Schwanewede, Hildesheim, Hameln und Braunschweig auf. Spätestens nach den Übergriffen an Silvester in Köln spielten sich selbsternannte Bürgerwehren als Ordnungsmacht auf, sagt Julia Willie Hamburg, Landtagsabgeordnete der Grünen für den Landkreis Goslar.

In der ehemaligen Kaiserstadt am Harz ist die „Bürgerwehr Landkreis Goslar“ aktiv und löste selbst polizeiliche Ermittlungen aus. Zwei Mitglieder der Bürgerwehr waren bei einer Geschäftsfrau nach einem Facebook-Hinweis erschienen, um Ermittlungen zu einem angeblichen Vorfall aufzunehmen.

Die Frau fühlte sich genötigt, stellte den Männern aber schriftliche Unterlagen zur Verfügung, die belegen sollten, dass an den Vorwürfen nichts dran sei, sagte ein Sprecher der Polizeidirektion. Jetzt werde wegen Amtsanmaßung und Nötigung ermittelt. Die Männer sind der Polizei bekannt. Sie werden der rechten Szene zugeordnet, wie der Polizeisprecher sagte.

Grund genug für die Julia Willie Hamburg, im Landtag mit einer Anfrage nachzufassen. Die Antwort des Innenministeriums: In 31 niedersächsischen Städten und Kommunen registrierten die Sicherheitsbehörden Aktivitäten von Bürgerwehren. Mal heißen die Initiativen „Bürgerwehr Wilhelmshaven“, mal „Oldenburg wacht“ oder „Gifhorn passt auf“.

Im Bezirk Hannover sind gleich fünf Bürgerwehren bekannt. Für fünf der sechs regionalen Polizeidirektionen lägen entsprechende Erkenntnisse vor. In den meisten Fällen handele es sich um Aufrufe im Internet, nur selten komme es zu „losen Zusammenschlüssen“. In Hannover musste die Polizei aber Ermittlungen gegen ein Mitglied der Facebook-Gruppe „Bürgerwehr Hannover“ wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten einleiten.

In Fragen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung seien aufmerksame Bürger unverzichtbar, die Verdächtiges meldeten und sich als Zeugen zur Verfügung stellten, sagte Innenminister Boris Pistorius (SPD). „Bürgerwehren hingegen braucht niemand“, stellte er klar.

In Goslar löste die Bürgerwehr selbst polizeiliche Ermittlungen wegen Amtsanmaßung und Nötigung aus

Diesen Bürgerwehren gehe es nicht um Schutz für die Bevölkerung, vermutet die Abgeordnete Hamburg, die in der Grünen-Fraktion für Antifaschismus und Rechtsextremismus zuständig ist. „Sie nutzen die Stimmungslage aus und verbreiten Angst und Lügen.“ Das Saubermann-Image dieser Gruppen sei falsch. „Das sind entweder Nazis oder Menschen, die zumindest kein Problem damit haben, neben Nazis durch die Straßen zu ziehen“, sagt Hamburg.

Auf Facebook halten die „Bürgerwehren“ in Braunschweig und Goslar mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg: „Überfremdung ist auch Völkermord“, meinen die Goslarer. „Über eine Million Asylanten 2015 und nochmal eine Million 2016?????? Begreift niemand, dass die offenen Grenzen Deutschland, unsere Kultur und Lebensart töten?“, schreiben die Braunschweiger.

„In diesen Bürgerwehren sind nicht ‚besorgte Bürger‘ vereint“, warnt Reinhard Koch, Leiter des Zentrums Demokratische Bildung Wolfsburg. Mit den Bürgerwehren wollten Rechtsextreme an dem Bedürfnis der gesellschaftlichen Mitte nach Recht und Ordnung andocken. Zwei Botschaften sollten durch die Bürgerwehren ausgestrahlt werden, sagt Koch: Der Staat sei ohnmächtig und sie würden vor Ort helfen. „In Wahrheit gießen sie Öl ins Feuer“, sagt Koch.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Jetzt marschieren sie also wieder. Für Rrrrecht und Orrrrdnung. Natürlich. Das keine "dunklen Gestalten" den Biedermann behindern, wenn er Brandstifteln geht. Jetzt kann man endlich wieder jemanden kommandieren, etwas Angst, man ist auf einmal wer - nämlich Bürgerwehr. Mit einheitlicher Jacke und Logo. Eine Rrrotte, für Teutschand.

     

    Wie mich das alles be(un)ruhigt.

  • Herumziehende Rechtsradikale braucht wirklich niemand. Allerdings darf nicht übersehen werden, das der Staat an vielen Stellen wirklich ohnmächtig ist. Die Diskussion darüber darf nicht eingestellt werden. Weil das nur den erstgenannten hilft. Außerdem ist Streife laufen mit selbsterfundener Kennzeichnung nicht strafbar. Siehe Landgericht Wuppertal zur "Scharia-Polizei".

    • @Thomas Ebert:

      Ausschlaggebend war für das Landgericht Wuppertal seinerzeit, dass keine "einschüchternde, militante Wirkung" von der getragenen "Uniform" ausgegangen sei. Dies sei laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber eine Voraussetzung. Mit den handelsüblichen Warnwesten in grellorange mit aufgeklebter englischer(!) Beschriftung ("Sharia Police") sahen die vermeintlichen "Ordnungshüter" eher aus wie Bauarbeiter oder Müllmänner.

       

      Das ist aber keineswegs ein Freibrief für jegliche privaten Initiativen in der Grauzone der Rechtsstaatlichkeit. Sollten sich einfache Bürger eingeschüchtert fühlen und Anzeige erstatten (wie im Fall in Goslar), kann das schnell teuer werden.

       

      Und wird es dann hoffentlich auch.