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Pro und Contra ESC mit NaidooDer für Deutschland?

Die ARD schickt Xavier Naidoo zum Eurovison Song Contest 2016 nach Stockholm. Ist das eine gute Entscheidung? Zwei Positionen.

2016 geht er bei der „schwulsten Familienshow Europas“ für Deutschland ins Rennen. Foto: dpa

Pro: Denkt mal jemand nach? Übt sich nicht in Schnappatmung, bittet um Riechsalz, weil das, nun bitte, gar nicht geht. Merkt denn keiner, dass, erstens, der bekennende Mannheimer bei der schwulsten Familienshow Europas teilnimmt, und zweitens, dass für die BRD anzutreten bedeutet, als „Reichsbürger“-affiner Mensch nicht mehr die BRD als existierenden Staat negieren zu können?

Na klar: Xavier Naidoos politische Statements sind, gelinde gesagt, bizarr. Er hat Nähe zu jenen verschwörungstheoretischen Szenen erkennen lassen, die die Bundesrepublik als Nachfolgestaat von Nazideutschland nicht anerkennen. Er hat, auf einem Album mit Kool Savas (als Hidden Track), eine säuselnde Verzweiflung formuliert, etwa mit diesen Worten: „Ich schneid’ euch jetzt mal die Arme und Beine ab, und dann ficke ich euch in den Arsch, so wie ihr es mit den Kleinen macht.“

Wer als schwuler Mann sich mit den Gemeinten in dieser Hassrede identifiziert, hat ohnehin verloren, gleichwohl: Diesem Künstler, der so erfolgreich ist seit 1998 wie kein anderer im deutschsprachigen Bereich, wird es beim ESC ergehen wie allen Künstlern, die je beim ESC waren: Man kommt nicht als die gleiche Person aus diesem heraus wie man in diesen hineinging.

Politisch obskures Personal war dort schon immer zu bestaunen, auch eine ESC-Siegerin wie Carola, 1991 in Rom gewann sie, sah bezaubernd aus, vertrat aber im wirklichen Leben als Anhängerin einer evangelikalen Sekte Meinungen und Auffassungen, die definitiv nicht akzeptabel sind – und Antihomosexuelles war bei ihr allermeist im Spiel.

Was das im Hinblick auf Xavier Naidoo heißt? Dass er, will er sich nicht beim ESC, dieser europäisierenden Kulturmaschine schlechthin, blamieren, er sich auf die dortigen Verhältnisse einlassen muss. Und die sind queerer (faktisch: schwuler), als es sich irgendein*e Musikantenstadldumpfling oder Caffe-Latte-Hipness-Connaisseur*in vorstellen können. Die chronische Angst von echten Popstars, wenn sie gefragt werden, beim ESC anzutreten, ist ja, nicht gut abzuschneiden. Also unter ferner sangen notiert zu werden. Deshalb trauten sich die allermeisten nicht. Naidoo wagt es – und er kann dieses Event nicht bestehen, kommt er auf Verschwörungen, Chemtrails oder sonstigen Mist zu sprechen. Er wird, als Deutscher, der er ist, sich europäisieren müssen.

Im Übrigen: Der prominenteste ESC-Verschwörungstheoretiker ist bislang Stefan Raab. Der verbreitete nach 2004, als sein Max Mutzke nur Achter wurde, dass sein Schützling nicht besser abschnitt, habe an osteuropäischen Blockvoten gelegen. Das war unwahr – hält sich als Gerücht aber bis heute.

Xavier Naidoo in einem halben Jahr in der öffentlichsten und populärsten Pop-Arena zu wissen, bedeutet auch, den souveränen Diskurs um den ganzen Quatsch, den er schon verbreitet hat, zu bestreiten. Wer wie der stellvertretende Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt, das Ganze für Satire hält, zeigt nur Hilflosigkeit an. Oder soll behauptet werden, dass Xavier Naidoo seine Popularität nur den Einflüssen von Chemtrails verdankt?

Wer die Kontroverse um einen ästhetisch-politischen Entwurf wie den von Naidoo scheut, hat schon verloren. Auch beim ESC.

Jan Feddersen, taz-Redakteur, schreibt regelmäßig auf der Webseite www.eurovision.de des NDR

* * *

Contra: Öffnen wir also die Herzen. Bringen wir all unsere Liebe mit. Nutzen wir den Verstand. Es gibt, rein intellektuell gesprochen, ein paar interessante Begründungen dafür, warum es eine gute Idee sein könnte, Xavier Naidoo für „Deutschland“ – in den Grenzen seit 1990 – zum Eurovision Song Contest zu schicken. Allerdings: Es gibt keinen einzigen guten Grund.

Die schönste Begründung, die sich wohl denken lässt, wäre diese: Dieses Deutschland also und diese so viel gescholtene ARD sind derart reif geworden, so selbstironisch und überlegen, dass Sie, einem intellektuellen, progressiven Akt gleich, Xavier Naidoo gegen ihn selbst ausspielen: Da steht er dann also, der Halbtagsreichsbürger und Vollzeitverschwörer mit seiner Psychose von Deutschland – und muss sich zu diesem Deutschland bekennen. Zu einem Deutschland, das so großherzig ist, so frei und so liberal, ihn einzuladen als obersten Repräsentanten. Dieses Deutschland gibt dem Reichsbürger die größtmögliche Bühne, auf der er sich selbst dann dekonstruiert.

Man muss sich dazu einen ARD-Intendanten vorstellen, der hinter der Bühne des großen Eurovision Song Contest kichernd in die Knie geht, der sich, wie Asterix, wenn er lacht, kaum halten kann vor Überlegenheit. Der in die Hände klatscht und prustet. Das klingt interessant. Das wäre eine schöne Fantasie über die ARD.

Was für ein Bullshit.

Intellektuelles Gehumpse.

Kack.

Xavier Naidoo ist ein erfolgreicher Sänger, aber: Deutschland, wiederholte der sich als Widerstandskämpfer gebende Christ, sei kein freies, sondern ein besetztes Land, dessen Verfassung nicht gültig sei. Er sprach vor „Reichsbürgern“, die das Deutschland nach 1945 nicht anerkennen, und er verbreitet antisemitische und schwulenfeindliche Ressentiments. Es gäbe noch mehr über ihn zu sagen.

Das ist er also, den dieses Deutschland da vorn sehen will? Wirklich?

Dass die ARD dies ernsthaft für machbar hält, sagt etwas über die Antworten, die diese Gesellschaft in Zeiten der Verunsicherung bereithält. Denn Naidoo steht für ein gesellschaftliches Spektrum, das eine sehr spezifische Diffusität auszeichnet. Er steht für eine weltverschwörerische, geldkritische, antiamerikanische und auch antijüdische Bewegung, deren popkultureller Anführer er ist. Ihr kollektiver Irrtum drückt sich aus im Ressentiment. Ihre Geschichtslosigkeit führt sie in eine Pose des Widerstands, es ist eine rechte Pose.

Aluhüte, das sind die, die die Welt um sich herum kaum noch wahrnehmen. In der linearen Betrachtung sozialer Bewegungen tauchten diese Motive, diese Menschen, diese Gruppen in Deutschland zunächst im Umfeld der sogenannten Occupy-Proteste auf, später verstärkt in der sogenannten „Friedensbewegung 2.0“, eine sektiererische und verschwörerische Sippe, die sich friedensbewegt gab, aber antiaufklärerisch agierte. Es ist kein Zufall, dass – gepaart mit teils dogmatischer Russlandverehrung – Teile dieses Spektrums sich heute bei den Pegida-Protesten in Dresden wiederfinden.

Xavier Naidoo ist ihr Sänger. Wer ihn „für Deutschland“ ins Rennen schickt, schickt Pegida „für Deutschland“ ins Rennen. Entweder geschah dies aus Fahrlässigkeit oder aus Populismus. Beides ist inakzeptabel.

Martin Kaul ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen und Politik von unten

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9 Kommentare

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  • Katastrophal, was die Nominierung Naidoos par ordre de mufti für eine Botschaft an die dem Künstler nahestehenden, Rechtspopulisten und Verschwörungsanhänger sendet. Jürgen Elsässer jubiliert: „Ist das nicht ein klares Indiz dafür, dass das Merkel-Regime die Macht verliert? In der ARD hat offensichtlich ein Putsch stattgefunden!“ In einem Kommentar dazu heißt es: ''Sehr cleverer Schachzug, besser hätte das Compact gar nicht einfädeln können. Beeindruckend über was für Macht die Bewegung mittlerweile hat [sic!], Herr Elsässer hat in den letzten Monaten offenbar so viel hinter den Kulissen bewegt, dass es kaum jemanden verwundert, wenn da mit [sic!] Xavier Naidoo schon der nächste große Coup geplant wird. Respekt!''

     

    Gib den Affen Xavier.

    • @Susi Sorglos:

      Jau - & grad die 11.000 - geknackt -

      Wahrscheinlich auch von der

      Dauerlarmoyanten Jugend!

       

      (ps Schon der lebenskluge

      Kurt Tucholsky - riebs in den

      20ern den kleinSpengleristen ->

      Volle Kante & auf Dauer rein -

      "Laßt sie doch ihren Weichfraß fressen"

      Anders gewendet -

      Jede Zeit findet ihre Antworten - &

      Wie nicht nur ich finde -

      Nicht schlecht - die Generation 0/1!)

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Dieser Naidoo macht so ziemlich die weinerlichste Jammermusik, die ich in meinem Leben passiv zu hören gezwungen war. Die passt auf jeden Fall zur heutigen dauerlarmoyanten Jugend.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Wo - bitte - verkehren Sie denn

      Dauernd ¿! - & vollKant -> &

      Herr Feddersen sowie die -Herrschaftsgezeiten von ARD&ZDF!

  • dass die verantwortlichen beim ard diese entscheidung getroffen haben, nachdem 2015 deutschland mit 0 punkten auf dem letzten platz gelandet ist, laesst tief blicken. eigentlich wurden bisher kuenstler nur von eher neu- oder noch-nicht-ganz-demokratischen staaten ohne vorentscheid nominiert. oder wie von unserer letzten festungsdiktatur weissrussland eben immer genehme beitraege und regimenahe kuenstler direkt bestimmt. im demokratischsten und transparenten skandinavien gibt es im gegenzug ganze vorentscheidsmarathons die wochen dauern.

    wurde durch die null punkte die deutsche ard-seele derart gedemuetigt, dass sie die volksbeteiligung mal schlicht uebergeht und wohlmoeglich einen ass aus dem aermel zaubert, den erfolgreichsten saenger in deutschland der letzten 20 jahre, damit sie nie wieder diese schmach erleiden muss? mir schauderts bei diesem gedanken, und ich kann mir nur vorstellen, was sich die leute da beim ard gedacht haben.... und hoere den dumpfen schrei aus tausend kehlen, wie neuerdings wieder in den stadien zu hoeren - SIIIIIEEEG!

  • Jetzt also der singende Sack Reis aus Mannem - ein Künstler -

    Da fällste um.

     

    Wenn mal was echt wumpe ist -

    Unser aller Gumminärchen als

    NDR-Lohnschreiber ->

    Verläßlich contest dabei -

    Aber immer - & däh!

     

    Alles ja nicht leicht, wenn ein paar Zeilen tiefer die braunen

    Tretminenköttel vor sich hinglösen.

    Einfach dufte. - &

     

    Auch hier gilded wieder ->

    @REBLEK->

    "… Da hat der Ex-"Linke" mal wieder eine Chance, etwas gutzumachen, weil er früher seine eigene Chance zur Beteiligung an reaktionärer Politik nicht ergriffen hat." http://www.taz.de/Nachruf-auf-einen-Norddeutschen/!5250782/

  • ne oder? jetz echt?? Xaivier Naidoo, ohne Vorentscheidung? wow, so tief hing meine Kinnlade schon lange nicht mehr

    • @Co-Bold:

      Natürlich ohne Vorentscheid.

       

      Mit Vorentscheid würde er gar nicht hinfahren.