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Pro-Bahn-Chef über neue Bahnstreiks„Fahrgast leidet stärker als bisher“

Die neue Streiktaktik der GDL wird Bahn­kun­d:in­nen hart treffen, warnt Fahrgastverbandschef Detlef Neuß. Schuld sei nicht nur die Gewerkschaft.

Könnte im Fall eines Wellenstreiks überraschend leer bleiben: ein Bahnsteig im Essener Hauptbahnhof Foto: Federico Gambarini/dpa
Nanja Boenisch
Interview von Nanja Boenisch

taz: Herr Neuß, die GDL streikt ab Mittwoch zum fünften Mal seit Beginn der Tarifverhandlungen. Aus Fahrgastperspektive: Haben Sie dafür Verständnis?

Im Interview: Detlef Neuß

69, ist seit 2016 Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn. Der Verband tritt für die Rechte von Fahrgästen des öffentlichen Personenverkehrs und für die Verkehrswende ein.

Detlef Neuß: Die Verhandlungen laufen seit Monaten und die Tarifpartner kommen einfach nicht auf einen Nenner. Das ist für die Fahrgäste unzumutbar. Besonders unglücklich ist, dass Verdi gleichzeitig den öffentlichen Personennahverkehr bestreikt. An den Flughäfen streikt das Bodenpersonal. Man hat also keine Alternative. Leute mit Behinderungen, die keinen eigenen Pkw nutzen können, bleiben auf der Strecke. Oder Leute, die Termine haben, die sie wahrnehmen müssen. Das ist einfach nicht mehr akzeptabel in diesem Umfang.

Der Chef der GDL, Claus Weselsky, hat sogenannte Wellenstreiks angekündigt. Was bedeutet das für die Fahrgäste?

Wellenstreiks sehen wir als Verband sehr kritisch, das muss ich ganz ehrlich sagen. Wenn jetzt wirklich wellenartig ohne Vorwarnung morgens auf einmal kein Zug mehr fährt, ist das für die Passagiere ein Schlag ins Gesicht. Wir sind sauer, weil wir in der Vergangenheit mit den Gewerkschaften, unter anderem mit der GDL, darüber gesprochen haben, dass Streiks angekündigt werden sollen. Dann können sich Fahrgäste darauf einstellen, Termine verlegen, Homeoffice beantragen oder Fahrgemeinschaften bilden. Der Fahrgast ist kein Tarifpartner, der Fahrgast sitzt nicht mit am Verhandlungstisch, hat keinen Einfluss, leidet unter solchen Wellenstreiks dann aber noch stärker als bisher.

Wer hatte Einfluss darauf, dass bisher keine Einigung zustande gekommen ist?

Wir sehen die Tarifpartner in der Verantwortung. Der GDL die Alleinschuld zu geben, ist nicht der richtige Weg. Natürlich ist Herr Weselsky stur. Doch auch die Deutsche Bahn AG ist in der Pflicht, auch sie will offenbar nicht mit der GDL zusammenkommen. Und die Politik ist gefordert. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat sich bisher bedeckt gehalten. Es ist ja guter Brauch, dass sich die Politik aus Tarifverhandlungen raushält. Aber der Bund ist Eigentümer der DB AG. Deshalb erwarten wir, dass die Bundesregierung nicht einfach den Kopf in den Sand steckt, sondern sich mal einmischt und sagt, dass es so nicht weitergeht.

Was könnten die Tarifpartner und der Bund für eine Einigung tun?

Wir verlangen so kurzfristig wie möglich den Eintritt in eine Schlichtung.

Wie stehen Sie dazu, dass die GDL eine Arbeitszeitverkürzung fordert?

Ich kann die Forderung verstehen. Das Bahnpersonal ist im Augenblick extrem belastet, es fallen jede Menge Überstunden an – vor allem durch den miserablen Zustand der Bahninfrastruktur in Deutschland. Nicht nur die Fahrgäste kommen oft zu spät, sondern auch das Bahnpersonal hat bei jeder Verspätung später Feierabend, Tag für Tag. Deshalb kann ich nachvollziehen, dass die Gewerkschaft bessere Arbeitsbedingungen fordert – aber nicht die Art und Weise, wie sie das jetzt durchbringen will.

Stichwort Bahninfrastruktur: Hemmt so ein massiver Streik die Akzeptanz für die viel beschworene Verkehrswende?

Ja, eigentlich wollen wir Leute raus aus dem Auto holen. Maßnahmen wie der neue Streik der GDL bewirken genau das Gegenteil. Die Menschen müssen wieder aus dem klimafreundlichen System aussteigen, raus aus der Bahn, zurück auf die Autobahn. Das scheint beide Tarifpartner aber überhaupt nicht zu interessieren. Um zu verhindern, dass alle Leute dann doch wieder Auto fahren, fordert unser Verband seit Jahren einen Streikfahrplan. Den gibt es zum Beispiel in Frankreich und Italien. Dort fahren auch an Streiktagen einige Busse und Bahnen zuverlässig und die Fahrgäste bleiben nicht im Regen stehen.

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10 Kommentare

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  • "Um zu verhindern, dass alle Leute dann doch wieder Auto fahren, fordert unser Verband seit Jahren einen Streikfahrplan. Den gibt es zum Beispiel in Frankreich und Italien. Dort fahren auch an Streiktagen einige Busse und Bahnen zuverlässig und die Fahrgäste bleiben nicht im Regen stehen."



    Vielleicht müsste auch mal in der Politik laut über die Rahmenbedingungen im Streikrecht nachgedacht werden, wenn Daseinsvorsorge nicht gefährdet werden darf. Geht woanders in Demokratien ja auch.



    Bei uns im Ruhrgebiet fahren die "Privaten" übrigens sehr viel pünktlicher während des Streiks, weil viele lästige Überholvorgänge durch den Fernverkehr ausbleiben. Mehr Privatisierung im Bereich der noch quasi monopolistisch strukturierten Bahnbereiche wäre eine Überlegung wert. Auch die Automatisierung und Digitalisierung wird für Entlastung sorgen, wenn sich die Corporate Identity ändern muss.

  • Hier zeigt sich wieder ein großes Problem. Solange es möglich ist, dass in einem Unternehmen mehrere Gewerkschaften verhandeln dürfen, ist es für den AG fast unmöglich Ruhe reinzubringen.



    Sei es wie bei der Bahn EVG und GDL, oder bei Lufthansa VC, UFO und andere.



    Dazu kommt dann immer mal wieder Verdi, damit sie auch ja nicht vergessen werden. Sparten Gewerkschaften sind wichtig und richtig. Allerdings nicht mehrere für ein Unternehmen

  • Liebe aktuelle Bundesregierung, liebe künftige Bundesregierung, liebe alle nächsten Bundesregierungen,



    Macht die Bahn wieder zu einem für die Fahrgäste und vor allem für die Mitarbeitenden attraktiven und zuverlässigen Bahnunternehmen ohne globale Logistikambitionen und solchen Murks. (Kerngeschäft - you know?)



    Und wenn die Bahn dieses Unternehmen mal wieder ist, lasst sie so und versucht nicht mittels Privatisierung alles kaputt zu machen.



    Danke. Das ist eine große Aufgabe und wäre total lieb.

    • @Nansen:

      Das beschreibt Problem und Lösung perfekt, danke!

      (Es kann ja für Beobachtende nicht zuviel verlangt sein, einmal über die Nasenspitze der eigenen Betroffenheit hinaus Ursache und Wirkung zu identifizieren.)

  • Dem Herrn Wissing wird's freuen, wenn die Bahn nicht mehr als zuverlässig gilt. Naja, gilt ja schon seit einiger Zeit als kaum zuverlässig, aus bekannten Gründen. Dann ist das Auto eben wieder das Allheilmittel, für den der sich's leisten kann. Alle anderen gelten ja eh nicht als Leistungsträger der Gesellschaft, so ist jedenfalls der derzeitige liberale Ansatz - wirtschaftsliberal muss es heissen, nicht sozialliberal.

  • @LUFTFAHRER



    Absolut nachvollziehbar! Aber die GdL hat bei der Verkehrswende das Vorzeichnen falsch gesetzt.

  • Ich verstehe die Strategie der GdL:



    sobald genügend Fahrgäste auf andere Verkehrsmittel (z.B. Auto) verprellt sind, werden weniger Züge benötigt, damit braucht man weniger Arbeitsstunden fürs Personal und damit kann man dann auch ne 35h-Woche machen.

  • Danke Herr Neuß für das Interview. Ich teile Ihre Ansichten und war schockiert als Herr Weselsky die Wellenstreiks angekündigt hat. Da weiss man warum man ProBahn-Mitglied ist.

    In Bezug auf die Wellenstreiks wird Weselsky im Spiegel zitiert mit: »Damit ist die Eisenbahn kein zuverlässiges Verkehrsmittel mehr.« Dass ist eine Katastrophe und gilt es zu verhindern.

    Bei den vergangenen Streiks hat der Streikfahrplan einigermassen funktioniert(, wenn nicht die Oberleitung von einer Lok runtergerissen war). So konnte man sich wenigstens darauf einstellen. Als Person die auf den öV angewiesen ist, war das Angebot zu gering, aber wenigstens planbar.

  • Es ist schon erstaunlich, wie alle Beteiligten dafür sorgen, dass der gerade beginnende Bahnbonus im Beförderungsbereich möglichst schnell vernichtet wird. Hat da denn keiner Angst um das Unternehmen und die Arbeitsplätze? Liegt vielleicht auch am Eigentümer.

  • Wenn die Gewerkschaft Streiks nicht mehr ankündigt, wie unterscheide ich als Kunde ob die Situation bei der Bahn ein Streik oder Normalbetrieb ist?