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Pro & Contra zum KopftuchverbotNeutralität vs. Glaubensfreiheit

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax und Susanne Memarnia

Bei dem Kopftuchprozess vor dem Arbeitsgericht am Donnerstag werden gewichtige Prinzipien abgewogen. Für beide gibt es gute Argumente.

Für Berliner Lehrerinnen verboten. Foto: dpa

Negative Glaubensfreiheit

W as wiegt schwerer: die Glaubensfreiheit von LehrerInnen oder PolizistInnen – oder die staatliche Neutralität in Sachen Weltanschauung? Bei so einer großen Frage muss man wohl schwere Geschütze auffahren. Bitte schön: Wem die Errungenschaften der Aufklärung, allen voran die Trennung von Kirche und Staat, von Glaube und Vernunft, etwas bedeuten, kann nur für Letzteres stimmen. In einem demokratischen Rechtsstaat kann es nur eine „Bibel“ geben: das Grundgesetz.

Zwar ist es nicht per se erwiesen, dass Frauen mit Kopftuch oder Nonnenhabit oder Männer mit Kippa gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestellt sind. Aber wie soll jemand, der sein Handeln danach ausrichtet, was ihm Gott, Allah oder das Spaghettimonster einflüstern, Kinder zu mündigen Bürgern erziehen und ihnen beibringen, alles zu hinterfragen – inklusive der Dogmen ihrer LehrerInnen?

Ähnliche Zweifel gab es auch beim Bundesverfassungsgericht (BVG), auf dessen Urteil sich nun die Kopftuchfreunde berufen. Zwei Richter schrieben in ihrer abweichenden Meinung, es sei „nicht realitätsgerecht“ zu meinen, die negative Glaubensfreiheit von SchülerInnen und Eltern bleibe unbeeinträchtigt, wenn LehrerInnen religiös konnotierte Kleidung tragen. Wir reden schließlich von Kindern, einem Abhängigkeitsverhältnis – und einer Vorbildfunktion!

Zudem: Wenn der Staat zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist, was das BVG bejaht, sind das auch seine Amtsträger, seien es LehrerInnen oder PolizistInnen. Denn sie sind es, durch die der Staat handelt. Zwar ist es richtig, dass die Trennung von Kirche und Staat hierzulande nicht konsequent realisiert ist – Stichwort Religionsunterricht oder Kirchensteuer. Aber das ist kein Argument, den Laizismus nun komplett über Bord zu werfen. Susanne Memarnia

***

Berliner Pseudolaizismus

Ausgerechnet Berlin zögert, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Das liegt an der Feigheit der Hauptstadt-SPD, die fürchtet, andernfalls bei der Wahl im September Stimmen an die AfD zu verlieren, wenn sie das Kopftuch bei Lehrerinnen erlaubt.

Dabei steht das muslimischen Lehrerinnen in Deutschland nicht nur rechtlich längst zu. Berlin würde davon auch profitieren. Denn jede Frau mit Kopftuch, die als Lehrerin diesen Staat repräsentiert, ist ein Symbol für die Offenheit unserer Gesellschaft. Nichtmuslimische Schüler und Eltern könnten sehen, dass Frauen mit Kopftuch einen eigenen Kopf haben. Nicht jeder mag das ja glauben, gerade manche Atheisten sind sehr von ihrer eigenen geistigen Überlegenheit überzeugt. Lehrerinnen mit Kopftuch leben aber auch vor, dass sich muslimischer Glaube und die Identifikation mit diesem Staat nicht ausschließen müssen. Das ist das beste Argument gegen islamistische Rattenfänger, die das Gegenteil behaupten.

Die Berliner SPD versteckt sich hinter einem Pseudolaizismus, um den Status quo zu wahren. Wenn sie es mit der Trennung von Staat und Religion ernst meinen würde, dann müsste sie auch Weihnachtsfeiern, Nikolaus und Ostern an Schulen verbieten: So „neutral“ müsste sein, wer Religion per se für obskur hält. So weit geht sie aber nicht, denn das würde ja eine Mehrheit verärgern. Mit ihrer Doppelmoral gibt sie privaten Arbeitgebern, die sich sträuben, Frauen mit Kopftuch anzustellen, weil sie Angst vor den Reaktionen ihrer Kunden haben, ein schlechtes Vorbild ab.

Natürlich dürfen Lehrer und Lehrerinnen im Unterricht nicht missionieren. Aber das gilt für alle – nicht nur für Kopftuch tragende Lehrerinnen. Ein liberaler Staat sollte seinen Beamten aber auch keine diskriminierenden Bekleidungsvorschriften auferlegen. Daniel Bax

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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7 Kommentare

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  • Nur weil man an "Allah" oder an "Gott" glaubt, heißt es nicht das dieser Mensch nicht hinterfragt oder hinterfragen darf.

    Denn wir brauchen eben als Mensch logische Erklärungen.

    Wie sollen denn Menschen mit Vorwürfen wie beispielsweise gegen dem Islam, loswerden wenn doch der Staat und die Medien den selben Schwachsinn erzählen?

    Von wegen Kopftuchträgerinnen sollen unterdrückt werden, Sie selber tragen doch den Kopftuch?

    und wenn sie Sich dafür entschieden haben und sich so "sicherer fühlen" oder "die Pflicht nachgehen wollen", dann lasst sie doch!

    Warum spielt der Islam zurzeit in den Medien so eine wichtige Rolle?

    Außerdem hat doch der Mensch seine eigenen Grundrechte und ich dachte bis heute, wo bleiben diese "Grundrechte"? Wo bleibt die "Religionsfreiheit"?

     

    schönen Abend noch!

  • Selbstverständlich ist Religion obskur, und die Position der Politik dazu, nämlich zu entscheiden ob sie staatsgefährdend ist oder nicht, erreicht kaum die Möglichkeit einer Diskussion. Wenn schon offensichtlich ist, was keiner Kriegserklärung mehr bedarf, so lässt sich diese Politik mit dem Vorwand der Sorge noch über den Tisch ziehen. Dass Niemand dem seine persönliche Überzeugung über alles geht, in einer staatlichen Einrichtung arbeiten muss, geht dabei unter.

    MfG.

  • Einem Menschen von Anfang an ansehen, welche Überzeugung er auslebt, halte ich für nützlich, ganz gleich, ob es sich um Religion, Politik, Rockerklubs usw. handelt, denn es kann in vielen Fällen auch ein wichtiges Entscheidungskriterium sein. Eher bedaure ich, daß Diebe, Betrüger usw. darauf verzichten, mit einem entsprechenden Erkennungsmerkmal herumzulaufen.

  • Erinnert sich eigentlich noch jemand an das „Kruzifix-Urteil“ vor einigen Jahren?

    Ein Kläger in Bayern fand es „unzumutbar“, dass in bayerischen Klassenzimmern das christliche Kruzifix an der Wand hängt und so auch nicht-christliche Lehrer und Schüler „gezwungen“ seien, dieses zu sehen.

     

    Einige Leute, vor allem aus den Reihen der Grünen und der Linkspartei brachten einen bemerkenswerten Spagat fertig: Sie forderten einerseits die Entfernung der Kruzifixe aus den Klassenzimmern wegen der vorgeschriebenen „Neutralität des Staates“. Andererseits forderten sie die Aufhebung des „Kopftuch-Verbots“ mit Verweis auf den „Schutz der Religionsausübung“. Das verstehe, wer will!

     

    Natürlich wird es wieder Schlaumeier geben, die behaupten, das Eine hätte mit dem Anderen doch rein gar nichts zu tun. Oh doch! Wer das Kruzifix nicht mag, muss ja nicht hinschauen. Aber SchülerInnen müssen nun mal ihre LehrerInnen ansehen, ob sie diese nun mögen, oder nicht!

  • Früher hat man Kreuze aus den Klassenzimmern verband weil sich die Muslime und andere Religionen gekränkt füllten.

    Jetzt sollen wir Kopftücher akzeptieren!

     

    Nein.

    Religion hat da nichts zu suchen.

    Gleiches Recht für alle

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Anhand dieses Interviews das die Jungle World mit Lale Akgün führte, kann man sehen worum es bei dem Kopftuch eigentlich geht.

     

    Nämlich nicht in erster Linie um Religion, sondern um Sexualität, bzw. die Unterdrückung derselben und um die Ungleichbehandlung von Mann und Frau:

    http://jungle-world.com/artikel/2016/15/53848.html

  • "Jede Frau mit Kopftuch ist ein Symbol für die Offenheit unserer Gesellschaft."

    Das ist ja wohl die absolute Perversion. Das Kopftuch wurde von Religioten erfunden, um Frauen als lebende Propaganda für ihre patriarchale Philosophie und gegen Aufklärung zu missbrauchen, und nun kommt ausgerechnet ein "Aufklärer" von der linksliberalen TAZ und unterstützt die Islamisten, und das auch noch mit dem Argument, Kopftuch zulassen sei das beste Argument gegen Islamismus. Das Bild einer jungen Frau, die sich das Kopftuch herunterreißt (http://www.giordano-bruno-stiftung.de/sites/default/files/download/brosch-islamismus.pdf) wurde in den letzten Jahren von arabischen Frauenrechtlerinnen weltweit eingesetzt, um die (religiös begründete) Unterordnung der Frau unter den Mann anzugreifen. Vor allem im Iran hatte das Bild enorme Symbolkraft und führte u.a. zu einer weithin beachteten Kampagne, bei der sich Frauen ohne Kopftuch fotografieren ließen (siehe: https://www.facebook.com/gbs.org/videos/vb.135579333135073/1260305490662446/)