Press-Schlag: Prinz und Arbeiterin
■ Paarlauf-Weltmeister Ingo Steuer braucht dringend eine neue Partnerin
Eigentlich liefen sie wie immer. Ingo Steuer, der immer etwas traurig guckende Mann aus Chemnitz, zirkelte wunderschöne Pirouetten auf das Eis und blieb auch bei den Sprüngen fehlerlos; seine Partnerin Mandy Wötzel landete hingegen beim Doppel-Axel nicht auf den Kufen. Fuchtig blickte sie gleich nach ihrem Patzer zu Steuer – als ob der die Schuld an ihrem Unvermögen hätte, einen bis zum Erbrechen geübten Sprung auch zu stehen.
Daß sie seit Mittwoch dennoch Weltmeister im Paarlauf sind, hat mit einer glücklichen Fügung zu tun: Die Zweiten, die russischen Titelverteidiger Marina Eltsowa und Andrej Buschkow, schafften es in Lausanne gleichfalls nicht ohne Haspler durch die Kür; die späteren Dritten Kazakowa/Dimitrijew liefen makellos, aber zu früh am Abend. Wahrscheinlich wollten die Eisrichter die Deutschen (WM-Zweite 1993 und 96) wenigstens einmal ganz oben auf dem Treppchen sehen.
Trotzdem mag sich nicht so rechter Jubel über diesen Triumph einstellen. Als hüben Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler Paarlaufchampions wurden oder später drüben Katarina Witt Titel en gros sammelte, zeigte man sich berührter. Nennt man diese Namen, wird auch deutlich, warum schon in zwei Jahren niemand mehr gerne an dieses Paar zurückdenken wird: Sie wirken wie Sportler, nicht wie Künstler,
die in ihr Paarlaufen einige sportive Höchstschwierigkeiten einbauen, als wäre es das Leichteste der Welt. Wobei diese Beobachtung nur eingeschränkt für Ingo Steuer (30) gilt. Der kann auf höchstem Niveau eislaufen – und es sieht dennoch nicht angestrengt aus: ein Prinz mit feiner Fünfziger-Jahre-Aura ist er, der fast scheu um seine Partnerin auf dem Eis wirbt; ein Verzweifelter natürlich, der beinahe depressiv schaut, wenn Mandy mal wieder zu verspannt ist und stürzt. [wer ist hier verspannt? – die k.in] Wötzel (23) hingegen, auch keine schlechte Kufenläuferin, sieht selbst im Fernsehen immer aus, als koste sie Mühe, worum sie sich müht.
EisläuferInnen müssen einen Hauch von Tragik und Tragödie, von Lust und Laune versprühen – wie Nancy Kerrigan oder Kati Witt. Müssen Teil eines Dramas werden wie Kilius und Bäumler, die sich auch hinter den Kulissen mit Tränen, Verzweiflung und Nervenzusammenbrüchen der Sowjets Ludmilla Beloussowa und Oleg Protopopow erwehren mußten.
Mandy Wötzel hat zwar „immer Kati Witt bewundert“, ist aber eine Arbeiterin auf dem Eis. Verkrampfter Ehrgeiz steht in ihrem Gesicht. Steuer hat schon öfter von Wötzel im wirklichen Leben eine Abfuhr bekommen. Bis Nagano sind es nur noch elf Monate: Warum wird er nicht mal fuchtig und sucht sich endlich eine neue Partnerin? JaF
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