Premiere in der Komischen Oper Berlin: Wir schaffen das
Barry Kosky inszeniert die „Großherzogin von Gerolstein“ von Jacques Offenbach. Und demonstriert die Macht des Theaters über die böse Pandemie.
War alles umsonst? So schien es, als letzten Mittwoch spät in der Nacht Angela Merkel nach der Krisensitzung im Kanzleramt die Entscheidung bekannt gab, dass auch Theater und Opern geschlossen werden. Gerade diese Institutionen hatten mit penibel befolgten Hygieneregeln gezeigt, dass mitten in der Pandemie Vorstellungen vor Publikum möglich sind, die allen Maßstäben der Kunst genügen.
Sie waren Refugien des Geistes, und insbesondere die Komische Oper in Berlin hatte mit Beckett, Schönberg und Dagmar Manzel ein eindrückliches Beispiel dafür geliefert, wie mit minimalistisch reduzierten Mitteln maximale Wirkungen erzielt werden können.
Nein, es war nicht umsonst. In den wenigen Herbstwochen vor dem Shutdown hat Barrie Kosky eine Version von Jacques Offenbachs Kassenschlager „Die Großherzogin von Gerolstein“ einstudiert, die womöglich noch darüber hinausgeht. Es gibt kein Bühnenbild mehr, es gibt nur noch Kostüme.
Kugelrund aufgepumpte Männer
Reifröcke von mehreren Metern Durchmesser für Frauen, Anzüge in absurder Übergröße für kugelrund aufgepumpte Männer. Koskys ständiger Kostümbildner Klaus Bruns hat sie entworfen, und sie sorgen dafür, dass der verordnete Mindestabstand zwischen möglicherweise infizierten Personen jederzeit eingehalten wird.
Auch im Orchestergraben diktiert das Virus die Regeln. Gerade mal 18 Musikerinnen und Musiker spielen nur die Instrumente, die unbedingt nötig sind. Keine Stimme ist mehrfach besetzt, selbst die Streicher sind auf das klassische Quartett reduziert, ein einsamer Kontrabass gibt den harmonischen Grundton vor. Daraus entsteht ein Offenbach, der so wohl noch nie zu hören war.
Es keineswegs eine der Not geschuldete Sparversion. Im Gegenteil, zu hören ist das, was man die „Essenz“ nennen könnte, nämlich das, worauf es wirklich ankommt in dieser Musik, auch dann, wenn sie mit großer Geste in vollem Klang daherkommt.
Lustig sind die Lieder
Musik ist selten in sich selbst komisch. Sogar in Mozarts Komödien sind die Situationen und Personen komisch, nicht die Töne. In Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ ist es umgekehrt. Die Handlung ist ein kompletter Unsinn. Eine alte Dame besucht ihre Soldaten auf der Suche nach einem Liebhaber. Lustig sind daran nur die Lieder zwischen dem albernen Gerede, wild durcheinander, mal tschingderassabumtätä, dann selig schwelgend oder in Gruppen, die im Rossini-Groove zusammenkommen.
Der eigentlich dafür eingeplante Dirigent blieb in irgendeiner Quarantäne stecken. Kurzfristig sprang die junge Russin Alevtina Ioffe für ihn ein. Sie dirigiert das nun endlich in allen Einzelheiten durchhörbare Konzentrat genialer Einfälle und Stilzitate so sicher und klar, dass auch die leise Trauer über die Vergeblichkeit unserer Liebesmühen mitklingt, die zu jeder echten Komik gehört, auch der innermusikalischen.
Darauf ließ sich großes Theater bauen, ein absolutes, universales Theater sogar, das jede denkbare Pandemie tödlicher Viren weit hinter sich lässt. Alles wird möglich. Der Bariton Tom Erik Lie zum Beispiel gehört seit Jahren zum festen Bestand des Ensembles. Er ist jetzt die Großherzogin. Das ist wörtlich zu nehmen. Er spielt keine Frau auf libidinösen Abwegen. Er ist ein Mann, deshalb singt er eine Oktave tiefer, als die Noten es vorsehen.
Die Großherzogin spricht Norwegisch
Er singt großartig und kommt aus Norwegen. Wenn er nicht singt, spricht er norwegisch. Das versteht hier niemand. Wozu auch? Die Großherzogin drapiert ihre Riesenrobe um einen winzigen Kindersitz herum und setzt sich hin. Minutenlange Generalpausen, die nicht in der Partitur stehen, erzeugen immer wieder eine hochdramatische Spannung, die es eigentlich auch nicht gibt.
Es ist Kindergeburtstag, Riesenpuppen führen Kriege, die es nie gab. Ivan Turšic, der Tenor, hat sich verliebt, aber Alma Sadé, der Sopran, steckt im Abstandsrock. Alles ist nur das, worauf es in jedem Theater ankommt, auch wenn es anders aussieht, tragisch und tiefsinnig. Es muss immer ein Spiel sein. Kann man bei Aristoteles nachlesen, bei Brecht auch. Bei Kosky kann man es sehen.
Mag sein, dass die Pandemie tatsächlich ein Brennglas ist, das sichtbar macht, was schon da war. Hier ist es kein Missstand, sondern ein Glück. Wir haben vergessen, welche Macht in jedem Theater steckt, weil es halt oft nicht so recht gelingt. Eine anrührend dankbare Stimmung lag über dem Saal, als die Premiere zu Ende war. Wir schaffen das. Nicht Angela Merkel, aber die Komische Oper. Sind nur ein paar Wochen Pause.
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