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Premiere in der Berliner StaatsoperEiseskälte, Liebe und Vergebung

Die Staatsoper beging die Premiere von Leoš Janáčeks „Jenůfa“ im Stream. Musikalisch-dramatischer Hochgenuss unter der Leitung von Simon Rattle.

Foto: Bernd Uhlig

In Zeiten wie diesen muss mensch die Premieren nehmen, wie sie kommen. Diese war groß angekündigt: Schon im Vorfeld wurde medial eingestimmt auf die neue „Jenůfa“-Inszenierung der Staatsoper, die natürlich wie alles andere nicht vor echtem Publikum stattfinden durfte, aber quasi live, das heißt am selben Abend leicht zeitversetzt in Fernsehen, Radio und online gestreamt wurde. Eine gute Sache, doch immerhin besser als nichts, oder?

Natürlich: ja und nein. Leoš Janáčeks „Jenůfa“ jedenfalls ist ein Werk, dem die Verbannung ins Fernsehformat vergleichsweise wenig von seiner intrikaten dramatischen Wirkung nimmt. Die Handlung an sich wäre schon packend genug: Jenůfa, ein junges Mädchen auf dem Lande, ist nach dem Tod des Vaters von ihrer Stiefmutter aufgezogen worden, die ihre Tochter sehr liebt, aber mindestens ebenso große Stücke hält auf gesellschaftlichen Anstand und Ansehen.

Nachdem Jenůfa schwanger geworden ist und der nichtsnutzige Vater des Kindes sie nicht heiraten will, beschließt die verzweifelte Stiefmutter, das Neugeborene zu töten, um der Tochter wenigstens die Heirat mit einem anderen zu ermöglichen. Aber ausgerechnet am Tag der geplanten Hochzeit mit dem treuen Laca kommt es zum großen Showdown …

Janáček vertonte mit „Jenůfa“ ein Theaterstück der Autorin Gabriela Preissová und übernahm die Dialoge in gekürzter Form in sein Libretto. Das machte damals praktisch niemand; Anfang des 19. Jahrhunderts mussten Opernlibretti sich noch reimen. Doch Janáček hatte etwas ganz anderes mit dem Text vor, war er doch ein Komponist, der es sich, besessen von der melodischen Qualität sprachlicher Äußerungen, zur Aufgabe gemacht hatte, die tschechische Sprache in Musik zu verwandeln.

Die musikalische Leitung übernimmt Simon Rattle

Seine Opern sind durchkomponierte musikalische Dramen, deren Dialoge dadurch an psychologischer Eindringlichkeit gewinnen, dass sie nicht gesprochen, sondern unter Anverwandlung der ursprünglichen Sprachmelodie gesungen werden. Vor allem verselbstständigen sich aus den Dialogen heraus unablässig melodische, aus der Sprache gewonnene Motive, die im Orchesterpart aufgenommen und wiederholt sequenziert werden, wodurch die große Bedeutung mancher Worte regelrecht physisch erfahrbar wird.

Alldem kann ein Bildschirmstream nichts anhaben, wenn die Ausführenden wissen, was sie tun. Und wenn einer es weiß, dann ist es Simon Rattle, unter dessen Leitung die Staatskapelle Janáčeks Partitur so fein artikuliert, dass ihre Schichten mitunter dreidimensional den Raum (verflucht sei das ewige Wohnzimmer; wie schön wäre das in der Oper gewesen!) zu durchziehen scheinen.

Besonders effektvoll ist das, wenn noch nachklingende melodische Sprachmotive durchwirkt werden von Anklängen an mährische Volksmusik – ständig wiederkehrende Evokationen einer pastoralen Idylle, die vielleicht nur als Sehnsuchtsvorstellung der Menschen existiert. Die Wirklichkeit, in der sie leben müssen, sieht ganz anders aus.

Die SängerInnen wissen das auch und wirken zudem, angefangen bei Camilla Nylund mit ihrem zugleich weichen und starken (allerdings nicht wirklich mädchenhaften) Sopran als Jenůfa, stimmlich ausgesprochen gut disponiert. Zweifellos ist es für die sängerische Physis nicht nur von Nachteil, mal eine Weile kürzerzutreten.

Und es ist nicht die Schuld der Ausführenden, dass die Regie von Damiano Michieletto unter Pandemiebedingungen nur eingeschränkte Möglichkeiten der Personenführung hat. Ja, kann sein, dass es für diese Oper ganz gut passt, wenn sich die Menschen auf der Bühne nie nahekommen (mal Armlänge zwischen Jenůfa und Laca ist das höchste der Gefühle); aber ohne Ausnahmen von dieser Regel wird sie vom akzeptablen Regieeinfall zum Pandemiekorsett.

Bühneninszenierung ohne Aerosole

Überhaupt ist eine Bühneninszenierung in der Fernsehübertragung schwer zu bewerten, wenn die Kamera gern von einem Close-up zum nächsten geht, man nicht weiß, was die anderen Personen gerade tun, und nur zwischendurch mal die ganze Bühne zu sehen ist. Möglicherweise würde es einem aber auch richtig auf die Nerven gehen, permanent den riesigen Eisklotz sehen zu müssen, der vom Bühnenhimmel hängt.

Als Symbolik wirkt die allgegenwärtige Vereisung eher aufdringlich und trifft im Grunde auch weder Libretto noch Musik so richtig, die, deutlich differenzierter, keineswegs nur von menschlicher Kälte, sondern auch von Liebe und Vergebung handeln. Kann aber auch sein, dass dieses Bühnenbild im Saal sehr eindrucksvoll wäre; es ist schwer zu sagen.

Am Schluss applaudieren sich die Ausführenden gegenseitig. Der Chor hatte verteilt im Parkett sitzen müssen, daher gibt es immerhin zwei Seiten mit Menschen. Dabei erlaubt die Kamera ganz kurz einen etwas weiteren Blick in den Saal, dessen extra hoher Nachhallraum oben vor Leere gähnt. Bestimmt hätten doch in den oberen Rängen noch ein paar Dutzend ZuschauerInnen Platz finden können, ohne mit ihren Aerosolen jemandem zu nahe zu kommen.

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1 Kommentar

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  • "die natürlich wie alles andere nicht vor echtem Publikum stattfinden durfte"

    Vielleicht hatte sie nicht genug "Sakrales" an sich? Man hätte sie gleich in einer Kirche aufführen sollen, dann hätte die Premiere auch Publikum gehabt - denn in unserem zutiefst laizistischen Land finden natürlich nach wie vor Gottesdienste statt. Kulturelle Veranstaltungen natürlich nicht. Kackland.