Premiere für Privatunis in Griechenland: Adieu, staatliches Hochschulmonopol
Eigentlich verbietet die griechische Verfassung Privatunis. Dank eines Tricks der konservativen Regierung sind die ersten jetzt trotzdem gestartet.
Der Blick aus dem Fenster auf den Saronischen Golf ist von hier oben beeindruckend. Antonios Polemitis, großgewachsen, Scheitel, empfängt die taz an diesem milden Dezembertag in einem Konferenzzimmer im dritten Stock eines imposanten Gebäudes im südöstlichen Athener Vorort Ellinikon.
„Πάμε!“ – „Gehen wir!“, sagt er bereits nach ein paar Gesprächsminuten und steht auf. „Walk and talk! Wir haben eine Menge zu sehen.“ Spricht Polemitis, ist seinem Griechisch noch mehr Englisch beigemischt, als es für Zyprioten ohnehin typisch ist.
Sein Rundgang durch das supermoderne Gebäude auf dem Campus der privaten University of Nicosia, kurz: UNIC, führt durch lange Flure, die Bibliothek, einen Hörsaal, Labore, Räume mit Dummy-Patienten auf Behandlungsliegen. In der Filiale einer griechischen Kaffeehaus-Kette im Erdgeschoss wird Café frappé bestellt. Die Wände sind überall blütenweiß. Es riecht nach frischer Farbe.
Polemitis ist der Vize-Geschäftsführer von UNIC in Athen. Das Gebäude habe UNIC vor zwei Jahren gekauft, sagt er. Die Immobilie liegt direkt an dem Gelände des 2001 stillgelegten Athener Flughafens in Ellinikon, wo jetzt unentwegt für Europas größtes Bauprojekt gebaggert wird. Ein Filetstück, der teuerste Flecken der Vier-Millionen-Metropole Athen.
Trickreiche Umgehung der griechischen Verfassung
Polemitis zeigt auf die Decke. „Die Beleuchtung ist augenschonend“, sagt er. Das sechsstöckige UNIC-Gebäude mit seinen 12.500 Quadratmetern Fläche soll allerhöchsten Standards der Nachhaltigkeit gerecht werden, eine betreffende Zertifizierung wird erwartet. Sichtlich stolz sagt der UNIC-Vize: „Das hat bisher kein Uni-Gebäude in Hellas.“
Was es bis dato auch noch nicht in Hellas gab: Privatunis. Das untersagt jedenfalls eigentlich die griechische Verfassung: „Die Hochschulbildung wird ausschließlich von Institutionen des öffentlichen Rechts gewährt“ ist im Paragrafen 16 Absatz 5 aufgeführt. Gemäß Absatz 8 sei „die Gründung von Hochschulen von Privatpersonen verboten.“
Ein vermeintlich glasklarer Fall. Das in der Verfassung verankerte staatliche Hochschulmonopol zu brechen, hatte sich die konservative Regierung in Athen unter dem Premier Kyriakos Mitsotakis indes schon früh unverhohlen auf ihre Fahnen geschrieben. Sie schaffte es – ohne die Verfassung zu ändern, wofür sie die Opposition gebraucht hätte. Diese lief aber gegen die Etablierung von Privatunis Sturm.
Sich über Wochen hinziehende heftige Proteste auf der Straße brachten ebenso nichts. Der höchst umstrittene Gesetzentwurf des Athener Bildungsministeriums wurde nach hitziger Debatte in der Nacht zum 9. März 2024 im Parlament angenommen. Es reichte, dass 158 Abgeordnete der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia und ein unabhängiger Abgeordneter dafür stimmten.
Der Trick von Mitsotakis und Co., um das Verbot elegant zu umgehen: Fortan sollen Zweigstellen ausländischer Universitäten in Hellas erlaubt sein. Die Lizenz zur Gründung und dem Betrieb erteilt das Athener Bildungsministerium. Studienangebote müssen durch den Obersten Rat der Nationalen Behörde für Hochschulbildung (ETHAAE) zertifiziert werden.
Vier ausländische Unis haben Genehmigung erhalten
Premier Mitsotakis sprach von einem „radikalen Einschnitt im griechischen Bildungswesen“. Das Gesetz mit der Nummer 5094/2024 feierte der damalige Bildungsminister Kyriakos Pierrakakis in geradezu pathetischer Überhöhung. „Nach jahrzehntelangen Debatten beginnt eine große historische Veränderung“, jubelte er. „Wir haben 40.000 griechische Studierende im Ausland“, legte Pierrakakis den Finger in die Wunde. Sein Credo: Der Aderlass müsse gestoppt werden – durch Privatunis im eigenen Land.
Rechtliche Schritte gegen das ominöse Gesetz scheiterten. Griechenlands oberstes Verwaltungsgericht (StE) befand in seinem im Oktober dieses Jahres veröffentlichten Beschluss mit der Nummer 1918/2025: „Die Gründung und der Betrieb von Zweigstellen ausländischer Universitäten sind durch die Verfassung nicht verboten.“ Dies bedeutete: freie Bahn für „juristische Personen der universitären Bildung“ (N.P.P.E.), wie der Gesetzgeber die neuen, vermeintlich nicht-profitorientierten Bildungseinrichtungen nennt.
Doch nicht alle, die eine Zweigstelle in Hellas eröffnen wollten, konnten dies ab Oktober auch tun. Hatten ursprünglich zwölf ausländische Universitäten, darunter die Université Sorbonne Paris Nord oder die University Essex, die nötige Lizenz beantragt, erhielten bloß vier ausländische Unis eine Genehmigung für das akademische Jahr 2025/26.
Grünes Licht gab es für die britische The University of Keele, die im Athener Zentrum eine Zweigstelle eröffnete, ferner für Zyperns Universität von Nikosia (UNIC) mit ihrer Zweigstelle in Ellinikon, zudem für die britische The Open University, die in der Universität Anatolia in Thessaloniki eine Zweigstelle hat, und schließlich die City Universität in Thessaloniki, eine Zweigstelle der britischen University of York.
Studiengebühren bis zu 27.000 Euro im Jahr
Billig ist das Studium nicht. Im Gegenteil. Die Studiengebühren belaufen sich je nach Studienfach und Universität auf 7.900 Euro bis in der Spitze 27.000 Euro pro Jahr. Das ist 10.000 Euro mehr, als man in Griechenland im Schnitt in einem Vollzeitjob pro Jahr verdient. Unterrichtet wird maßgeblich auf Englisch. Die nichtstaatlichen Universitäten sind per Gesetz dazu verpflichtet, „Stipendien in Höhe von mindestens zehn Prozent der eingeschriebenen Studierenden pro akademischem Jahr zu gewähren“.
Hellas habe jahrzehntelang über die Zulassung von Privatunis diskutiert. „Und dies, obgleich das in fast allen Ländern der Welt erlaubt ist“, so UNIC-Vize Polemitis zur taz. Sogar in Nordkorea gebe es eine Privatuniversität, die Pyongyang University of Science and Technology. Wieso also sollte dies ausgerechnet nicht in Hellas gehen? Polemitis’ Augen funkeln, als er das sagt.
Ohnehin sei es nicht das Ziel, hierzulande die Staatsunis „zu ersetzen“, beteuert er. Vielmehr wollten UNIC und Co. nur eine „Ergänzung“ zum hiesigen staatlichen Hochschulsystem sein. Gleichwohl hat UNIC ehrgeizige Ziele: Geplant seien drei weitere UNIC-Bauten in Ellinikon, fügt Polemtis hinzu. Er sei davon überzeugt, dass Hellas „ein gewaltiges Potenzial“ biete. Nicht nur in der Lehre, auch in der Forschung.
Aber weshalb soll ein Student jährlich 27.000 Euro alleine an Studiengebühren für ein sechsjähriges Medizinstudium bezahlen – in Summe stattliche 162.000 Euro? Die Antwort von Polemitis: „Tausende Griechen verlassen Jahr für Jahr Hellas, um im Ausland zu studieren. Ihnen machen wir ein Angebot von allerhöchster Qualität zu vernünftigen Studienkosten.“
Das sieht der Analyst Stratos Stratigakis anders. Auf die Frage, wie viele Privatunis Hellas verkraften könne, verweist Stratigakis darauf, dass englischsprachige Studiengänge in den meisten europäischen Ländern „deutlich günstiger“ als an den neuen hellenischen Privatunis seien. Der Pool an potenziellen Studenten für die griechischen Privatunis sei indes durchaus vorhanden.
Überschaubare Anmeldezahlen
Heute hätten immerhin 20.000 griechische Schüler keinen Studienplatz an einer hiesigen Staatsuni ergattert, so Stratigakis. Andere wiederum hätten die zentrale schriftliche Aufnahmeprüfung, die sogenannten Panellinies, zwar bestanden. Sie seien aber nicht für das gewünschte Studienfach zugelassen worden oder nicht im gewünschten Studienort – oder beides.
„Ein Bewerber, der Medizin studieren will, aber in Biologie zugelassen wurde, hat weiterhin den Wunsch, Medizin zu studieren“, so Stratigakis. „Und wer für ein Jura-Studium in Thessaloniki zugelassen wurde, aber in Athen wohnt, steht vor dem Dilemma: ‚Soll ich nach Thessaloniki gehen oder lieber an einer Privatuni in Athen studieren?‘“
Fest steht: Zur Premiere blieb das Interesse an einem Studium an Hellas’ neuen Privatunis eher mau. Rund 300 Studenten haben nun ihr Studium an der UNIC Athen angefangen, alles Griechen aus dem ganzen Land. Mittelfristig wolle UNIC Athen jeweils die Hälfte der Studentenschaft aus Griechenland und dem Ausland generieren.
Während die Universitäten Keele (Athen) und City (Thessaloniki) betreffende Anfragen unbeantwortet ließen, teilt die Universität Anatolia in Thessaloniki der taz mit, dass dort „seit dem Start im Oktober über 200 griechische und ausländische Studierende aus 23 Ländern studieren“. Anatolias Zielgruppen seien „Griechen, die in einem internationalen Umfeld studieren wollen, Studierende aus dem Ausland sowie Gaststudierende aus Europa sowie den USA“.
Der Campus-Masterplan sehe „langfristig den Bau von vier neuen Gebäuden“ vor, wobei „die Fertigstellung des ersten neuen Gebäudes bis 2027 oberste Priorität“ habe, fügte die Anatolia Universität hinzu. Studenten aus dem Ausland biete Anatolia eine Unterkunft zur Miete. Die Gesamtzahl der Studenten wolle man „zukünftig auf 2.000 bis 2.500 steigern“, so Anatolia zur taz.
So viele Studenten hat schon die kleinste aller staatlichen Hochschulen in Hellas: die Höhere Schule der Schönen Künste in Athen. An den insgesamt 25 Staatsunis Griechenlands (außer den drei Höheren Militärschulen) waren laut ETHAAE-Erfassung im akademischen Jahr 2023/24 (jüngere Daten liegen noch nicht vor) genau 702.497 Studenten in Studiengängen eingeschrieben, die zu einem ersten Hochschulabschluss führen. Die Betonung liegt auf „eingeschrieben“. Nur 350.739 Studenten galten als „aktiv“. Bis Silvester sollen die „ewigen Studenten“ aus dem Studentenregister gelöscht werden.
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