Premier tritt ab nach neuen Protesten: Sudans „Jahr des Widerstands“
In Sudans Hauptstadt formieren sich neue Demonstrationen gegen das Militär. Nun ist Regierungschef Hamdok zurückgetreten.
„Das Militär in die Kaserne“ und „Alle Macht dem Volke“ riefen Berichten zufolge die Demonstranten, die dem Aufruf gefolgt waren, 2022 als „Jahr des Widerstands“ einzuläuten und Gerechtigkeit für die über 250 Menschen zu fordern, die von Polizei und Armee seit dem Sturz des Militärdiktators Omar Hassan al-Bashir beim Niederschlagen ziviler Proteste getötet worden sind.
Bewaffnete – im Einsatz sind nicht nur reguläre Armeesoldaten, sondern auch Angehörige paramilitärischer Milizen unter dem Kommando einzelner Generäle – setzten erneut Tränengas und scharfe Munition ein, um die Demonstranten daran zu hindern, sich dem Regierungsviertel in Khartum zu nähern. Es soll wieder zwei Tote gegeben haben.
Erst am Donnerstag und Freitag, den beiden letzten Tagen des Jahres 2021, waren Tausende von Menschen auf die Straße gegangen, am ersten der beiden Tage landesweit. Sechs Menschen starben als Ergebnis dieser Proteste. Zuvor hatte es besonders große Massenproteste am 19. und am 25. Dezember gegeben
Der andauernde Druck der Demokratiebewegung auf Sudans Militär erzielte am Abend einen ersten Erfolg: der machtlose zivile Ministerpräsident Abdalla Hamdok erklärte seinen Rücktritt. „Ich habe beschlossen, die Verantwortung abzugeben und meinen Rücktritt als Premierminister anzukündigen, um einem anderen Mann oder einer anderen Frau dieses ehrwürdigen Landes die Chance zu geben, ihm dabei zu helfen, das, was von der Übergangszeit übrig geblieben ist, zu einem zivilen demokratischen Land zu machen“, sagte Hamdok am späten Abend in einer im Fernsehen übertragenen Rede.
Eine Diskussion am runden Tisch sei notwendig, um zu einer neuen Vereinbarung für den politischen Übergang des Sudans zur Demokratie zu kommen, so Hamdok weiter.
Brutales Vorgehen gegen Demonstranten
Die Konfrontation in Sudan verschärft sich beständig seit dem Militärputsch vom 25. Oktober, als General Abdel Fattah al-Burhan – Chef des „Souveränitätsrats“, eine Art kollektive Übergangspräsidentschaft Sudans – die zivile Übergangsregierung abgesetzt und Premierminister Hamdok unter Hausarrest gestellt hatte.
Am 21. November setzte das Militär Hamdok wieder in sein Amt ein, aber die Protestbewegung lehnte das als Legitimierung des Militärputsches ab, da Hamdok seither keine freie Hand zur Regierungsbildung oder zu sonstigen Entscheidungen hat. Mehrfach hat er seitdem seinen Rücktritt angedroht – und diesen nun vollzogen.
Hamdoks spektakulärer Schritt erfolgt vor dem Hintergrund des Blutvergießens bei den Protesten vom 30. Dezember. Vier Menschen wurden in Omdurman, der Schwesterstadt Khartums am westlichen Nilufer, von Soldaten erschossen, berichteten Ärzteverbände. Mehrere Dutzend wurden verletzt.
Eine fünfte Person, die von einem Tränengaskanister direkt getroffen worden war, starb am Freitag, eine sechste mit Einschüssen im Beckenbereich am Samstag. Die Straßensperren des Militärs hindern Krankenwagen daran, Verletzte in die Krankenhäuser zu bringen. Am Sonntag setzten die Sanitäter daher stattdessen Motorräder ein.
Nach Berichten des Radiosenders Dabanga drangen Soldaten am Donnerstag auch in die Büros des TV-Senders Al-Arabiya aus Dubai und des saudi-arabischen TV-Senders Asharq ein. Bei Al-Arabiya feuerten sie Tränengas ins Studio, verprügelten die Mitarbeiter und verwüsteten das Set. Eine Asharq-Moderatorin wurde mitten in einer Liveschaltung von Soldaten unterbrochen und konnte noch erläutern, dass sie jetzt nicht mehr weitermachen dürfe. Sie wurde mitgenommen und mit einer Kollegin einen Tag lang festgehalten.
Ein Fotojournalist wurde auf der Straße in Khartum von Soldaten bewusstlos geschlagen und mit zerstörter Kamera und gebrochenen Händen auf der Straße liegengelassen.
Neuer islamistischer Geheimdienstchef
In Vorbereitung einer harten Linie hatte Sudans Militärführung Ende November kurz nach der Wiedereinsetzung Hamdoks auch die Polizei und die Geheimdienste reorganisiert und einen Scharfmacher als Geheimdienstchef eingesetzt: Ahmed Ibrahim Ali Mofadl, Angehöriger der islamistischen Muslimbrüder und unter der Bashir-Diktatur unter anderem Gouverneur des Bundesstaates Süd-Kordofan, wo die Regierung einst mit brutaler Gewalt bis hin zu Chemiewaffeneinsätzen gegen Aufständische in den Nuba-Bergen vorging.
Er wolle die Geheimdienste „professionalisieren“, zitierten sudanesische Medien Mofadl nach seiner Berufung Ende November. Vergangene Woche erteilten die Militärmachthaber Geheimdienstmitarbeitern generelle Straffreiheit und ermächtigten sie, Festnahmen durchzuführen.
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