Prekäre Wohnverhältnisse: Wo das böse E-Wort kursiert
Im Sahlkamp in Hannover gibt es schon lange Probleme mit Vonovia-Wohnblöcken. Doch die Politik schaut weiter zu.
W enn es so etwas wie den Preis „Sisyphos des Jahres“ gäbe, stünde er wahrscheinlich Wjahat Waraich (SPD) zu.
Gerade hat der Bezirksbürgermeister der Stadtteile Bothfeld-Vahrenheide es mal wieder mit einem Thema in die örtlichen Medien geschafft, mit dem er nun auch schon über ein Jahr hausieren geht: Die skandalöse Art und Weise, auf die Vonovia mitten im Sahlkamp einen riesigen Wohnblock vergammeln lässt – und keiner fühlt sich in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen.
Deutschlands größter Immobilienkonzern geht nicht einmal ans Telefon, wenn der Ministerpräsident anruft, lästern böse Zungen. Die Desasterimmobilie liegt mitten in Stephan Weils Wahlkreis.
Seit wir das letzte Mal berichtet haben, ist es eher noch schlimmer geworden. Wochenlang habe im Winter das Wasser im Keller gestanden, der Schimmelgestank ist intensiver denn je, die Aufzüge funktionierten natürlich auch nicht, der Sperrmüll wird allenfalls durch Brandstiftung beseitigt, berichten Bewohner.
Immerhin hat man es geschafft, das kostbare Sanierungsprogramm mit dem der Stadtteil eigentlich hübsch gemacht werden soll (und teilweise auch wurde), noch einmal zu verlängern.
Bis 2029 gibt es noch öffentliche Zuschüsse. Es wird nur wahrscheinlich nichts nutzen, wenn der Eigentümer sich nicht rührt und ein Eigentümerwechsel nicht rasch genug in die Wege geleitet werden kann.
Dann schon lieber Bodycams
Das, auch darauf weist Waraich nimmermüde hin, hat Auswirkungen: einerseits wachsende Zustimmungsraten für die AfD und andererseits eine Krawallkultur, die sich nicht nur an Silvester zeigt.
Die Krawallkultur stand in der vergangenen Woche noch einmal auf der Tagesordnung des Rates: Man setzt auf Bodycams für Feuerwehrleute und Rettungskräfte.
Mir erschließt sich nicht so ganz, wie die wohl erfassen, aus welcher Ecke welche dunkle Gestalt nun den Böller oder die Rakete geworfen hat – aber vielleicht sind das ja technische Wunderwerke, von den ich nur wieder nichts verstehe.
Und vielleicht helfen sie am Ende wenigstens, ein paar pöbelnde und übergriffige Autofahrer, Gaffer und sonstige Zeitgenossen mit allzu kurzer Zündschnur dingfest zu machen – von denen Rettungskräfte ja auch jenseits des Jahreswechsels gerne mal angegangen werden.
An den schwer erträglichen und desolaten Wohnverhältnissen und der damit einher gehenden sozialen Verwahrlosung ändern die aber natürlich nichts. Der sonst eher gemäßigte SPD-Bezirksbürgermeister ist mittlerweile so verzweifelt, dass er sogar das böse Wort „Enteignung“ in den Mund nimmt. Aber den Stein kriegt man in diesem Land ja auch auf keinen Berg gerollt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen