Prekäre Bedingungen an Hochschulen: Auf dem Weg zum „Entfristungspakt“
9 von 10 wissenschaftlichen MitarbeiterInnen an Hochschulen arbeiten befristet. Nun schließen sich Dozierende und Gewerkschaften zusammen.

Der Zusammenschluss fordert auch eine Frauenquote bei der Lehrvergabe Foto: dpa
BERLIN taz | Drei Verträge innerhalb von drei Jahren. Hanna Hilbrandt ist Architektin und Geografin und arbeitet seit ihrer Promotion an zwei Hochschulen – zum Teil gleichzeitig. Aktuell hat sie eine Vertretungsprofessur an der TU Dortmund und eine Postdoktorandenstelle an der HCU Hamburg. Beide auf kurze Zeiträume befristet. Eine prekäre Situation, mit der sie bei weitem nicht alleine ist: Mittlerweile liegt die Befristungsrate für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an Hochschulen bei über 90 Prozent.
Dies soll sich nun ändern: Ein Zusammenschluss aus den Gewerkschaften Verdi, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie dem Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss), in dem sich auch Hilbrandt engagiert, fordert einen Stopp der zunehmenden Zahl von Befristungen. Hintergrund ist der neue Hochschulpakt, den Bund und Länder aktuell aushandeln. Bereits 2007 wurde der „Hochschulpakt 2020“ verabschiedet, als Reaktion auf die seit Jahren zunehmende Zahl der Studierenden.
Um neue Studienplätze zu schaffen und damit dem großen Andrang der Erstsemestler*innen an den Universitäten gerecht zu werden, einigten sich Bund und Länder damals darauf, mit einer Laufzeit bis 2023 insgesamt 38,5 Milliarden Euro bereitzustellen. Mit den Geldern wurden seitdem zahlreiche neue Stellen für Lehrende geschaffen, zumeist jedoch nur mit kurzer Laufzeit.
Am 8. März veröffentlichen wir auf taz.de nur Beiträge von Frauen* und nicht-binären Menschen, und auch nur diese kommen darin vor: als Expert*innen, als Protagonist*innen, auf den Fotos. Trotzdem beschäftigen wir uns nicht primär mit dem, was im allgemeinen Sprachgebrauch gern als „Frauenthemen“ bezeichnet wird – sondern mit dem Tagesgeschehen.
Daher hat der Zusammenschluss aus Gewerkschaften und der NGAWiss diesen Donnerstag an Bund und Länder appelliert, aus dem Hochschulpakt einen „Entfristungspakt“ zu machen. Die Beschäftigten an Hochschulen und Forschungseinrichtungen leiden unter den hohen Befristungsquoten, heißt es darin, deshalb sollten Stellen, die anteilig oder insgesamt aus Mitteln des Hochschulpaktes finanziert werden, zukünftig als dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse eingerichtet werden.
Pendeln zwischen drei Städten
Die Hochschulen müssten in diesem Zusammenhang verpflichtet werden, zukünftig keine Zeitverträge mehr abzuschließen und im Zweifel mit Sanktionen belegt werden, wenn sie diese Vorgaben nicht einhielten. Außerdem soll eine Frauenquote bei der Lehrvergabe eingeführt werden, mindestens 50 Prozent der neu ausgeschriebenen Stellen sollen zukünftig an Dozentinnen gehen.
Vor allem aber müsse der neue Pakt verstetigt werden. Da die Zahlen der Studierenden auch langfristig steigen werden, hätten die Universitäten so einen sicheren Etat und könnten nicht länger argumentieren, mit der in kurzen Zeitabschnitten ausgeschütteten finanziellen Förderung nur kurzzeitige Stellen auszuschreiben.
„Wenn Kurse zu prüfen sind, kann ich nicht garantieren, dass ich im nächsten Semester noch an der jeweiligen Universität bin, um die Prüfungsleistungen auch abzufragen“
Reagieren Bund und Länder auf die Forderungen, würde das für Dozent*innen wie Hilbrandt bedeuten, zukünftig nicht mehr einen Vertrag nach dem anderen unterschreiben zu müssen. Bisher pendelt sie zwischen drei verschiedenen Städten hin und her, immer ohne Garantie auf eine weitere Beschäftigung nach Auslauf der Vertragszeit.
Auch für ihre Studierenden sei dies problematisch, erzählt sie: „Wenn Kurse zu prüfen sind, kann ich nicht garantieren, dass ich im nächsten Semester noch an der jeweiligen Universität bin, um die Prüfungsleistungen auch abzufragen.“ Aus diesem Grund solidarisieren sich auch Studierendenverbände mit den Forderungen des Hochschulpersonals. Gemeinsam, so hoffen die Initiator*innen des Appells, wollen sie Gehör bei Bund und Ländern finden.
Leser*innenkommentare
97287 (Profil gelöscht)
Gast
Sie könnte also als Geologin oder Architektin außeruniversitär arbeiten und damit Stellen für wissenschaftlichen Nachwuchs frei machen. Ich habe doch nicht automatisch Anspruch nach dem Abschluss bis an mein Lebensende in der warmen Badewanne der Universität vor mich hinzuforschen , ohne jeglichen Bezug zu außeruniversitären Einrichtungen. Ich fürchte eher, dass dies ein Kampf um Pfründe ist. Wer hätte nicht gerne eine unbefristete Stelle auf Lebenszeit?