Preissteigerungsrate bei fast 8 Prozent: Inflation wie zu Willys Zeiten

Die Inflationsquote steigt im Mai auf 7,9 Prozent – so hoch wie zuletzt im Winter 1973/1974. Das bringt reale Verluste für Löhne und Altersvorsorge.

Historisches Foto von Personen bei Protesten mit Plakat und Megafon.

Streik bei Ford in Köln für Inflationsausgleich 1973 Foto: Klaus Rose/imago

BERLIN taz | Die Älteren dürften sich an den Ölpreisschock erinnert fühlen: Damals, 1973, waren für die sozialliberale Koalition unter Kanzler Willy Brandt Fahrverbote die Antwort auf knappes und teures Benzin. Im Mai ist die Inflationsrate in Deutschland laut einer Schätzung des Statistischen Bundesamts unerwartet kräftig auf 7,9 Prozent gestiegen. So hoch war sie zuletzt im Winter 1973/1974. Im April 2022 hatte die Teuerungsrate noch bei 7,4 Prozent gelegen.

Die Energiepreise legten um 38,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zu, auch Nahrungsmittel verteuerten sich mit 11,1 Prozent überdurchschnittlich stark. Weitere Preistreiber sind Lieferengpässe durch unterbrochene Lieferketten aufgrund der Coronapandemie, die andere Waren teurer machen. ÖkonomInnen sind sich uneins, wie es mit der Geldentwertung weiter geht: „Die Inflation befindet sich jetzt nahe an ihrem Gipfelpunkt“, sagte Friedrich Heinemann vom konservativen Mannheimer Wirtschaftsinstitut ZEW. Ab der Jahresmitte werde die Inflationsrate „aus statistischen Gründen fallen, weil dann die kräftigen Preissteigerungen des ersten Halbjahres 2021 aus dem Vorjahresvergleich herausfallen“.

Weiter „Druck im Inflationskessel“ sieht dagegen Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank. Die Europäische Zentralbank habe zu lange die Folgen des Energiepreisanstiegs unterschätzt. Die Kosten für Energie würden sich „in das breite Preisgefüge hineinfressen“. Die EZB hat erste Zinserhöhungen für Juli angekündigt, um die Inflation abzubremsen.

Bei „Gütern und bei Nahrungsmitteln steckt wohl noch etwas Druck in der Pipeline, bevor die Lage sich ab dem Herbst entspannen dürfte“, sagte der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding. „Der Tankrabatt und andere Eingriffe dürften aber dafür sorgen, dass die Inflationsrate in den kommenden Monaten in Deutschland nicht weiter steigt.“

Milliarden-Ausgleich des Bundes ab Juni

Während die Bundesregierung in den 70ern am Wochenende den Verkehr lahmlegte, versucht es die aktuelle Ampelkoalition mit Geld. Als Ausgleich für die hohen Preise hat der Bund ab Mittwoch, 1. Juni, ein Entlastungspaket vorgelegt.

Der Bund verzichtet so in den kommenden drei Monaten auf etwa drei Milliarden Euro an Steuern, um Benzin und Diesel günstiger zu machen. Rein rechnerisch bedeutet dies bei Benzin 29,55 Cent und beim Diesel 14,04 Cent pro Liter weniger. Auch das 9-Euro-Ticket für den Öffentlichen Personennahverkehr könnte kurzfristig entlasten.

„Die nun anstehenden drei Monate mit einer steuerlichen Entlastung für Kraftstoffe und verbilligten Nahverkehr sind keine echte Verbesserung, sondern eher das Lehrbuchbeispiel für fiskalischen Aktionismus“, kritisiert LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch.

Die stark steigenden Verbraucherpreise belasten längst die Kaufkraft der Deutschen. Zwar stiegen die Löhne im ersten Quartal um 4,0 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Da die Preise in dieser Zeit aber um 5,8 Prozent zulegten, sanken die Reallöhne um 1,8 Prozent.

Reallohnverluste bis zum Jahresende

Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) geht deshalb davon aus, dass die Reallohnverluste zumindest bis zum Jahresende anhalten. „Im kommenden Jahr ist eine Trendwende möglich“, sagte der wissenschaftliche IMK-Direktor Sebastian Dullien der Nachrichtenagentur Reuters. „Allerdings dürften auch dann nicht sofort alle Reallohnverluste aufgeholt werden, die sich aus der hohen Inflation 2022 ergeben.“

Mickrige Zinsen plus hohe Inflation – das belastet auch die Altersvorsorge von Millionen Menschen. Angesichts der stark gestiegenen Teuerung forderte die Deutsche Aktuarvereinigung am Montag Lockerungen der Vorgaben für die private und betriebliche Altersvorsorge. Die Realverzinsung bei „Bank- und Versicherungsprodukten, die nicht in Aktien oder andere chancenreiche Substanzwerte investieren“, sei im Moment „so negativ wie nie zuvor und sie wird mittelfristig auch negativ bleiben“, erläuterte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung, Maximilian Happacher, am Montag in Köln.

Die Politik solle „die rechtlichen Rahmenbedingungen so anpassen, dass Versicherer mehr in chancenreiche Anlagen investieren können“. Dies beginne mit einer Lockerung der strengen Vorgaben für den vollständigen Beitragserhalt bei der Riester-Rente beziehungsweise in Teilen der betrieblichen Altersversorgung und umfasse auch die Anpassung handels- oder aufsichtsrechtlicher Hürden für Investments in Aktien und Infrastruktur. (mit Agenturen)

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