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Praxistest für ReiseleiterFür viele ein Traumjob

Bei einer Reise nach Nordzypern können sich angehende ReiseleiterInnen in der Praxis ausprobieren. Eine akribische Vorbereitung ist unerlässlich.

Der romantische Innenhof des armenischen Klosters Sourp Magar Foto: Franz Lerchenmüller

Nein, aus dem Handgelenk schüttelt man so ein Wochenprogramm nicht: Ein Bummel durch die Hauptstadt Nikosia gehört natürlich dazu, die Burg St. Hilarion sowieso, ein altes Herbarium klingt ganz interessant, und Nadine hat im Vorfeld ein Schildkrötenprojekt ausgemacht, das auf jeden Fall einen Besuch lohnt. Passt noch ein Wochenmarkt hinein? Gibt es ein aktuelles Konzert, das man mitnehmen könnte? Kap Apostolos Andreas, der östlichste Punkt der Insel, darf auch keinesfalls fehlen. Ebenso wenig wie die Ausgrabungen von Salamis und die Befestigungen von Girne.

Aber sind da jetzt nicht zu viele Klöster vorgesehen – und keine einzige Moschee, in diesem türkischen, islamisch geprägten Nordzypern? Kann man die Entfernungen eigentlich in der angedachten Zeit bewältigen? Und, ach ja, essen muss man auch noch zwischendurch.

Auf dem Tisch türmen sich Reiseführer, Karten und handgeschriebene Pläne. Um ihn herum sitzen vier, sagen wir, Reiseleiter-Azubis, daneben Anne, ein normaler Reisegast aus dem Schwäbischen, und Mario, der Coach dieser Praxiswoche.

Der erste Morgen im Riviera Beach Hotel ist ganz dafür da, die kommenden Tage zu strukturieren. Denn fest stehen bei diesen Praxisreisen des Stuttgarter Veranstalters Travel & Personality nur die Flüge, die Unterkünfte und die Tage, an denen man ein Fahrzeug nutzen kann.

Doch nach und nach kristallisiert sich unter tätiger Mithilfe des Coachs ein Plan für die kommenden Tage heraus, ein informatives, abwechslungsreiches und hoffentlich nicht zu sehr vollgestopftes Programm. Astrid führt durch Girne, Anke macht Nikosia, Nadine ist zuständig für die Hilarion-Burg und das verlassene Kloster Sourp Magar, Jürgen für den Fahrtag nach ­Osten und dessen Inhalte. Auch die Vorträge finden ihren Platz, Referate zu Geschichte, Biologie, Politik und Brauchtum, von denen jeder zu Hause zwei vorbereiten musste.

Eine Alternative

Der Beruf des Reiseleiters ist für viele Menschen immer noch ein Traumjob, eine lebendige Alternative zum wenig aufregenden 40-Stunden-Woche-Dasein. Die vier Nachwuchskräfte sind zwischen 41 und 62 Jahren alt und fest entschlossen, ihrem Leben neue Facetten hinzuzufügen. Anke, ausgebildete Anästhesieschwester, würde gern Reisen für kranke oder auf andere Weise eingeschränkte Menschen konzipieren. Nadja, Heilpraktikerin aus der Schweiz, möchte Touren mit schamanistischen Elementen entwickeln. Die Münchner Violinlehrerin Astrid sucht nach einer neuen Herausforderung und will testen, inwieweit Reiseleiterin für sie infrage käme. Und Jürgen, der EDV-Spezialist, geht demnächst in Rente und denkt daran, Rad- oder Outdoorreisen nach Skandinavien zu begleiten.

Die Ausbildung

Veranstalter: Die Reiseleiter-Praxisreisen werden veranstaltet von Travel & Personality. Die nächsten beiden finden im September statt, führen nach Tadschikistan, dauern 13 Tage und kosten für Reiseleiter, die einen aktiven Beitrag leisten, 2.190 Euro, für Reisegäste 2.290 Euro.

Preis: Der fünftägige Reiseleiter-Ausbildungs-Lehrgang kostet im Münsterland 595 Euro, die achttägige Variante auf Mallorca 695 Euro. Als Abschluss gibt es ein Zertifikat. Travel & Personality, Im Betzengaiern 29, 70597 Stuttgart, Tel. 07 11 7 58 67 77, www.travel-and-personality.de

Nordzypern: Tourismus Zen­trum Nordzypern, Joachimstaler Str. 10–12, 10719 Berlin, Tel. 0 30 88 92 94 84, www.nord­zypern-touristik.de

Vor ein paar Wochen haben sie alle eines der fünftägigen Seminare des Veranstalters besucht, in denen theoretische Grundlagen vermittelt werden. Diese Woche nun erfolgt ihr Sprung ins kalte Wasser. Und da kommt so manche(r) schon mal ins Zappeln.

Denn es ist gar nicht so einfach, sich etwa in Girne zu orientieren, wenn man noch nie zuvor dort war. Die massige Festung, der Hafen, das älteste je entdeckte Schiffswrack, die ­Ruine der Abtei Bellapais – was muss man sehen, was kann man weglassen, wenn die Zeit knapp wird?

Direkt nach jedem Vortrag und am Ende des Tages erhalten die Akteure Feedback von ihren Mitreisenden. Die freilich gehen sehr nachsichtig miteinander um und neigen dazu, auch im Beinahescheitern noch eine prima Leistung zu erkennen. Der Coach aber spricht Klartext, wenn auch in einer sehr zugewandten Art: „Inhaltlich war das super, aber warum höre ich keine Leidenschaft in deiner Stimme? Du musst einfach noch den Umgang mit Karten üben! Platziere dich vor die Gruppe, nicht in ihre Reihe! Bei sieben Leuten kannst du diskutieren, in welchem Lokal ihr essen wollt – aber stell dir das mal bei 25 Teilnehmern vor. Und wo blieben deine Toilettenpausen?“

Nach jedem Vortrag erhalten die Akteure ein Feedback von den Mitreisenden

Auch im warmherzigen Umgang mit Busfahrer Hussein, Kellner Ali oder Rezeptionistin Fatima erweist sich Mario als echtes Vorbild: Er geht auf die Angestellten zu, zieht sie ins Gespräch, scherzt und fragt ernsthaft nach, kurz, er sieht sie als – meist schlecht bezahlte – Menschen, nicht als gesichtslose Leistungsroboter. Freundlichkeit liege durchaus auch im wohlverstandenen Eigeninteresse, betont er: Die Menschen vor Ort sind die wichtigsten Partner, mit denen ein Reiseleiter zurechtkommen muss. Und im besten Fall helfen sie einem sogar mit lokalen Tipps und eigenen Ideen weiter.

Die Stimmung in der Gruppe ist freundlich und manchmal ausgelassen, alle verfolgen die Arbeit der anderen konzentriert und versuchen, deren gute Ideen zu übernehmen und die Fehler zu vermeiden. Denn schon nach ihren ersten Auftritten haben alle verstanden, dass die Erzählungen und die tägliche Organisation, die den Profis im Bus und in den Hotels scheinbar so mühelos von der Hand gehen, in Wirklichkeit auf harter Arbeit und akribischer Vorbereitung beruhen.

So erarbeiten sich die sieben nach und nach Nordzypern. Sie klettern über die Mauern und Zinnen der Burg St. Hilarion, die wagemutig auf graue Felszacken getürmt wurde. Auf der flachen Halbinsel Karpas lässt die Nachmittagssonne die Ähren golden leuchten, Landarbeiter winken herüber und wollen auf ein Foto. Abends am Strand probiert die Gruppe Mezé, die Vorspeisentafel, die über ein Dutzend Schälchen umfasst. „Nur wer selbst genießen kann“, lautet das Motto, „kann die Freude an der Welt anderen weitervermitteln.“

Die frischgebackenen LeiterInnen erzählen von Richard Löwenherz und mordlüsternen Königinnen, verteilen regionales Gebäck und Erinnerungspostkarten, und im Stadion von Salamis deklamiert Mario mit Löwenstimme den Anfang der „Odyssee“ und demons­triert, wie man Reisen sinnlich aufpeppt. Vor den Fensterhöhlen der zerfallenden Hotelburgen in Famagusta, die einst als die „Riviera Zyperns“ galten und seit der Besetzung des Nordens durch die Türkei 1974 leer stehen und militärisches Sperrgebiet sind, handelt Jürgen die schwierige Geschichte der Insel ab. Und am Golden Beach darf sogar auch einmal gebadet werden.

Nadine verdient sich besondere Anerkennung. Sie hat Harzperlen von Mastix, Styrax und Zistrose mitgebracht, den drei wichtigsten Räucherpflanzen Zyperns. Die entzündet sie zur Untermalung ihres Themas „Botanik“ im romantischen Innenhof des armenischen Klosters Sourp Magar, das schon vor 100 Jahren verlassen wurde, und erzählt von den diversen Anwendungen.

Nicht alle Termine klappen

Aber nicht alles klappt wie vorgesehen. Die Schildkröten etwa wollen sich am Abend nicht zur Eiablage am Strand einfinden. Auch die im Reiseführer versprochenen steinzeitlichen Großfiguren finden sich am Ende einer Wanderung einfach nicht. Und das viel gepriesene Herbarium wird seit über einem Jahr umgebaut. Was nun? Was passiert, wenn ein Gast klagt: Genau deswegen habe ich gerade diese Reise gebucht? Diskussionen.

Länder, in denen touristisch noch nicht alles reibungslos klappt, sind besser zum Üben, erklärt Mario. Ganz realistisch geht es diesmal trotzdem nicht zu: Schließlich ist die Gruppe, anders als sonst, mit sieben Personen extrem klein. Und Quengler, Alles-besser-Wisser und Nur-nach-Mängeln-Sucher bleiben den Nachwuchskräften erspart.

Anne, der einzige „normale“ Gast, hat schon zwei solcher Reisen, nach Albanien und Moldawien, miterlebt und würde immer wieder daran teilnehmen. Die spontanen Abstecher gefallen ihr, der Raum, der für Unvorhergesehenes bleibt, und die Abwechslung, die dadurch entsteht, dass jede Frau und jeder Mann „ihrem“ und „seinem“ Tag einen ganz speziellen Stempel aufdrückt. Von ihren Fragen und Anmerkungen profitieren die Azubis sehr.

Und sie werden von Tag zu Tag besser. Natürlich sind sie noch längst keine Profis: Die einen feilen daran, klare Ansagen zu machen und stets die Uhr im Blick zu behalten, andere können sich bei Vorträgen nur schwer vom Blatt lösen und verzetteln sich in Details. Aber sie haben Feuer gefangen und wollen weitermachen. Alle. Auch die, die zwischendurch Tränen vergossen haben, weil die Fülle des Stoffs sie zu erschlagen drohte. Und auf ihre erfahrenen Kollegen blicken sie nun, nach den ersten eigenen tastenden Versuchen, mit einem ganz neuen Respekt.

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